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Denkfabriken

Irreführung gehört zum Konzept. So und nicht anders ist vieles von dem, womit wir konfrontiert werden, zu erklären. Eine dieser irreführenden Zauberworte ist der Begriff der Denkfabrik. Suggeriert werden soll mit ihm, dass positive Kräfte in einem industrialisierten, verfleißigten Verfahren vereint werden, um etwas zu leisten. Wie immer übersetzen die Deutschen sehr eigenwillig aus fremden Sprachen. Der Brain Trust, ein wehrhaftes Bündnis der Gehirne, wird da schon einmal so mir nichts dir nichts heruntergeorgelt zu einer Denkfabrik nach dem Muster Henry Fords. Arbeitsteilung und Arbeitszersplitterung als Basis für den positiven Prozess des eigenständigen Denkens zu benutzen zeugt vom Versagen des Horizonts. Die Taylorisierung der Fabrikproduktion zu benutzen für die Synergie von intellektuellen Leistungen zeugt von der Verinnerlichung der Unterordnung in einer Perfektion, die sprachlos macht.

Doch nehmen wir es so, wie es ist. Sieht man sich das an, was so genannte Denkfabriken in unserem Lande leisten, dann drängt sich doch der Eindruck auf, dass das harte Urteil für einen Übersetzungsfehler vielleicht doch zu Unrecht verhängt wurde. Denn die Denkfabrik hierzulande arbeitet wie eine Fabrik, genauso wie Controlling in Deutschland bekanntlich mit „K“ geschrieben wird und folglich nicht Steuern, sondern Kontrollieren bedeutet. So entstehen Arten, die unverkennbar sind. In den Denkfabriken unseres Breitengrads werden Serienprodukte erstellt und wird nicht nach einem innovativen Design gesucht.

Jüngstes Produkt einer solchen fabrikmäßigen Auftragsarbeit ist signifikant für den Vorgang. So gibt die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung eine Reihe heraus, die unter dem Label Internationale Politik und Gesellschaft figuriert. In diesen Publikationen wird versucht, die Betrachtungsweise einzelner politischer Ereignisse, Prozesse und Personen positiv zu beeinflussen. In ihrer neuesten Ausgabe erschien ein Artikel unter dem Titel „Mythos Ostpolitik“, in dem sich der Autor darüber auslässt, dass der Slogan der sozialdemokratischen Vertreter der neuen deutschen Ostpolitik und der Entspannung, der einen Kontrapunkt zum Kalten Krieg gesetzt hatte und das in Gang gesetzt hatte, was lange Zeit als „Wandel durch Annäherung“ bezeichnet wurde, ein kläglicher, historisch bedeutungsloser Versuch war, die Sowjetunion in die Knie zu zwingen. In Wahrheit, so der Autor, sei mit dieser politischen Programmatik die Hegemonie der UdSSR nur zementiert worden. Was er nicht ausführt, wohl auch, weil er sich auf sozialdemokratischen Druckfahnen bewegt, wäre die Schlussfolgerung, dass letztendlich das Aufrüsten den Frieden gebracht hat, und nicht die wachsende Durchlässigkeit der Systeme. Für sozialdemokratische Ohren muss das starker Tobak sein, aber es steht dort Schwarz auf Weiß.

Womit das Thema Denkfabrik noch einmal eine neue Dimension erhält. Anhand dieser von der Qualität her einzigartigen Leistung. Mit der historische Erkenntnisse über einen sehr erfolgreichen Weg der Diplomatie derartig manipuliert und in ihr Gegenteil verkehrt werden, stellt sich die Frage, ob die Industrialisierung von Denkleistung nicht genau das produziert, was als Grundlage der Dialektik der Aufklärung gelten kann. Die Überhebung der Methode über das Subjekt führt zu einer Technik des Denkens, die systematisch Erkenntnis ausblendet und das Subjekt in eine passive Rolle drängt. Die Mitglieder solcher Denkfabriken zeichnen sich nicht aus durch einen wachen Geist oder ein hohes Maß an gestalterischer Individualität, sondern durch die Hemmungslosigkeit der Auftragnehmer im Hinblick auf die Zweckausrichtung. Wenn es darum geht, Aggression zu verharmlosen und Friedensperspektiven zu diskreditieren, so haben wir es mit einem Vorgang zu tun, der sich nicht von maschineller Waffenproduktion unterscheidet. Das macht die so genannten Denkfabriken äußerst unsympathisch. Gäbe es dort noch so etwas wie ein Schamgefühl, wären alle ihre Gebäude in ein warmes Rot getaucht. So sind sie nur grau und kalt.

Die Entspannung entlässt ihre Kinder

Vor kurzem starb Wolfgang Leonhard. Viele, die die Nachricht erhielten, werden ihn nicht mehr gekannt haben und viele, die ihn kannten aus der Zeit, als er es in die Schlagzeilen brachte, glaubten, er sei bereits seit langem tot, weil nichts mehr von ihm oder über ihn zu lesen war. Wolfgang Leonhard erlebte seine Prominenz mitten im Kalten Krieg, und das hatte seinen Grund. Er war ein hoffungsvoller, junger Mann, der es sehr schnell auf der Karriereleiter des neuen Staates DDR zu etwas gebracht hatte. Zum Teil in Moskau aufgewachsen, ein glühender Verfechter der sozialistischen Idee, reüssierte er schnell im neuen Deutschland. Allerdings fiel ihm früh auf, dass vieles, was die Utopie versprach, in der Alltagspraxis auf der Strecke blieb. Es begann ein Prozess der Entfremdung zwischen ihm, der Partei und dem Staat. Irgendwann floh er dann, rüber in den freien Westen, wie es damals hieß. Im Gepäck hatte er ein Buch mit dem Titel: Die Revolution entlässt ihre Kinder.

Der Rest ist schnell erzählt. Leonhard, der das System systemisch erklärt hatte und die Metamorphose vom emanzipatorischen Programm zum Repressionsstaat beklagte, wurde aufgesaugt von dem medialen Hype des Kalten Krieges. Letztendlich ließ er sich vor den Karren spannen. Und als es ruhiger um ihn wurde, hatte er längst einen Job an der Seite der konservativen Regierung als Berater für östliche Affären. Die Revolution entlässt ihre Kinder, als Momentum selbst, sollte, bei aller Kritik des historischen Kontextes, ein denkenswerter Appell bleiben, wenn es um die Bewertung von Prozessen geht, zu deren Beginn eine positive besetzte Idee und an deren Ende nicht selten etwas steht, das mit der Idee kaum noch etwas zu tun hat.

Gerade in diesen Tagen liegt es nahe, den Gedanken einmal auf die Entspannung anzuwenden. Die Idee der Architekten der Entspannungspolitik war es, den Kalten Krieg zwischen Ost und West zu überwinden und vor allem die Völker Zentraleuropas aus dem Zangengriff der beiden Supermächte zu befreien. Vor allem die deutsche Sozialdemokratie unter Willy Brandt hat diese Idee in die Welt gesetzt und letztendlich auch zum Erfolg geführt. Es war kein leichtes Unterfangen, die eigene Siegermacht im Rücken, auf die andere zuzugehen, ohne beide Seiten immer wieder in die Muster es Kalten Krieges zu treiben. Manchmal gingen die Protagonisten auch ein Stückchen mit bei der Eskalation, aber nur, um im entscheidenden Moment die Chance der De-Eskalation zu ergreifen.

 Als vor 25 Jahren die Sowjetunion implodierte und der Gedanke der Selbstbestimmung den Kalten Krieg überwunden hatte, wurden die Lehren aus dem Prozess allenthalben proklamiert. Das Enttäuschende an der Entwicklung Europas seit 1990 ist die Tatsache, dass anscheinend vor allem die Profiteure der Entspannung diese selbst nie begriffen hatten. Aus heutiger Sicht wurde sofort alles unternommen, um die Grundlagen für eine Verständigung zwischen unterschiedlichen Interessen wieder zu erschweren. Es ist nachvollziehbar, wenn Menschen, die unter einem bestimmten politischen System gelitten haben, zumindest emotional immer skeptisch bleiben. Es ist aber unverzeihlich, wenn sie ganze Staaten in eine Konfrontation treiben, die die Schreckensszenarien des Kalten Krieges zu einer realen Vorstellung werden lassen. Das ist die Stunde derer, die für die Entspannung stehen und die nicht gewillt sind, sich als Konkursmasse der Geschichte verramschen zu lassen. Es gehört zu der Ironie, die der Geschichte immer wieder nachgesagt wird, dass Figuren wie Joachim Gauck und Angela Merkel, deren Biographien in der Mediokrität versunken wären, hätte es keine Entspannungspolitik gegeben, nun diese Idee verbrennen. Die Entspannung entlässt ihre Kinder.

Vision und Pragmatismus, Diplomatie und Charisma

Egon Bahr. „Das musst du erzählen!“ Erinnerungen an Willy Brandt

Egon Bahr, geboren 1922, hat es nicht lassen können und die Gelegenheit genutzt, der Nachwelt doch noch etwas zu erzählen von jenen bewegten und bewegenden Jahren, die die Geschichte zwischen den beiden deutschen Staaten dramatisch verändern sollte, die die Weichen stellte für eine neue europäische Konstellation und letztendlich auch als ein Sargnägel für die Zweiteilung der Welt werden sollte. Egon Bahr erzählt in dem vorliegenden Buch vor allem von seinem Aufeinandertreffen mit Willy Brandt Anfang der Sechziger Jahre, als dieser Regierender Bürgermeister in Berlin war, über den Wechsel nach Bonn als Außenminister der Größen Koalition bis zum Bundeskanzler der sozial-liberalen Koalition und seinem Rücktritt 1974 nach der Guillaume-Affäre.

Bei der Lektüre eines in einem rar gewordenen, exzellenten Deutsch geschriebenen Buches drängten sich zumindest dem Rezensenten immer wieder zwei Begrifflichkeiten auf, die das Wesen des Verhältnisses zwischen Willy Brandt und Egon Bahr zu beschreiben in der Lage sind. Zum Einen ein immer mehr in die Vergessenheit geratender Begriff wie der des Weggefährten, der ausdrückt, dass die festzustellenden Gemeinsamkeiten aus einer gleichen Zielsetzung wie der Übereinkunft über den einzuschlagenden Weg hin zu diesem Ziel resultieren. Und bei dem anderen Terminus handelt es sich um den der Kongenialität, der ausdrückt, dass verschiedene außergewöhnliche Begabungen zusammenkommen und zusammen etwas positiv bewirken. Um all das, was Egon Bahr an situativem Handeln beschreibt und anhand eigener charakterologischen Studien ausführt zusammenzufassen, könnte man aus gutem Grund zu der Quintessenz kommen, bei Egon Bahr und Willy Brandt handelte es sich um kongeniale Weggefährten.

Neben dem Menschlichen, das bei den Aufzeichnungen zutage tritt und in mancher Hinsicht auch neu ist, und welches nie die Grenze des Respektes und der Diskretion überschreitet, liefert das Buch noch einmal im Zeitraffer das Projekt der neuen deutschen Ostpolitik. Das, was wohl ohne Wenn und Aber das große historische Verdienst des Kanzlers Willy Brandt bleiben wird, die Befähigung zu einer friedvollen Deutschland- und Europapolitik aus dem machtpolitischen Chaos, das dem II. Weltkrieg erwuchs, wird noch einmal deutlich gemacht. Die Leserinnen und Leser erfahren, wie schwierig es war, sowohl Deutsche aus Ost und West als auch die Siegermächte um die Lager USA und UdSSR wieder sprechfähig zum Thema Deutschland zu machen. Dazu bedurfte es einer politischen Vision und eines sehr elaborierten Verständnisses von Politik, wie es zu diesem Zeitpunkt wohl nur Willy Brandt mitbrachte und einer diplomatischen und kommunikativen Brillanz, die Egon Bahr zu dem unverzichtbaren Partner des Politik-Architekten Brandt machte. Die Kongenialität der beiden materialisierte sich in einer Kombination aus Vision und Pragmatismus sowie aus Diplomatie und Charisma.

Die Erinnerungen Egon Bahrs sind in vielerlei Hinsicht eine sehr wertvolle Ergänzung zu den bereits vorliegenden Werken der Historiographie. Da erzählt einer, der tatsächlich den später so oft bemühten Hauch der Geschichte verspürt hat, wie es war, als man mit den Russen im Kalten Krieg klandestin verhandelt hat, wie es sich anfühlte, wenn die Kränkungen Willy Brandts durch die Revanchisten zu persönlichen Krisen führten oder wie irritierend es sein konnte, wenn die Amerikaner die beiden Sozialdemokraten in einem Hotel in Washington abhörten, harsche Kritik der beiden vernahmen und dennoch die Unterstützung nicht versagten. Bahr beschreibt sehr authentisch die Empathie und Verletzlichkeit seines Freundes Willy Brandt. Und er fasst das mit gestaltete Kapitel deutscher Geschichte mit einer Prägnanz zusammen, das heutige Journalisten erblassen lassen muss. Da bleibt nur die höchste Empfehlung.