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Toxischer Feminismus

Ein Schauplatz, der bis heute zu wenig in den Fokus der Beobachtung geriet, verdient einen tieferen Blick. Was ist eigentlich passiert, wenn eine bundesdeutsche Außenministerin die Maximen ihrer Politik feministisch nennt und das wohl etablierteste Organ des neohistorischen Feminismus, die Zeitschrift Emma, gegen eben diese Form der Außenpolitik vehement argumentiert. Man muss im Kopf haben, dass es besonders bei Emanzipationsbewegungen immer sehr hart zur Sache geht, wenn um die Deutungshoheit der zentralen Begriffe gerungen wird. Das ist bei den sozial-revolutionären Bewegungen sogar zu einem historischen Standard ausgewachsen. Eine Spaltung folgte der nächsten und kein Klassenfeind konnte so gehasst werden wie die Opponenten im eigenen Lager. Bereinigen wir also diese Vehemenz aus der Debatte. Und dennoch: es existieren zwei komplett konträre Vorstellungen von einer feministischen Außenpolitik.

Es wäre anmaßend, den Mainstream der Vorstellungswelt eines feministischen Verfahrens im internationalen Verkehr hier definieren zu wollen. Nur soviel: nach dem tradierten Verständnis hätte eine solche Diplomatie zum Ziel, Kriege zu verbannen und die Augenhöhe derer, die am jeweiligen Tisch sitzen, anzustreben. Dieses ist meines Wissens zu Teilen in den Weltregionen untereinander gelungen, die hier aus dem kalten Norden so gerne als der globale Süden bezeichnet werden. Hier, im Zentrum der Welt, gilt das nicht. 

Deshalb hat sich in Europa und den USA auch so etwas wie ein Krypto-Feminismus gebildet, der die Persönlichkeiten, die sich in der einst männlich dominierten Sphäre durchgesetzt haben, damit für ihr Vorgehen entschuldigt, dass es in einer Welt von Männern nicht anders ginge. Wenn dem so ist und sich alle Erklärungsmuster darauf reduzieren, dann ist die Frage zulässig, warum dann noch von Feminismus im Zusammenhang mit politischer Macht gesprochen werden muss. Reicht da nicht der immer und überall vulgarisierte Machiavelli? Für viele Männer, die ihre Macht mit Frauen teilen, wäre dass vollkommen in Ordnung. 

Wenn jedoch bestimmte Exemplare mental alles übertreffen, was die männlichen Autokraten dieser Welt propagieren und zu verantworten haben, dann muss doch mit der Strenge der Lehre Maß angelegt werden. Ja, immer wieder und wieder sind die Erklärungen zu hören, dass es in dem rauen maskulinen Umfeld notwendig sei, mit gleicher Münze zu zahlen, so übertrifft dieses Zahlungsmittel oft alles, was in der realen Welt in Umlauf ist.

Die Rede ist von einer Art toxischem Feminismus, der nicht nur doppelmoralisch daherkommt, sondern auch das Völkermorden toleriert, der vom Belehren lebt, der zu Kreuzzügen aufruft, der den Krieg verherrlicht und seinen Auftraggebern ins Gesicht lügt. Und je einfältiger und impertinenter die Manöver, desto berauschender scheinen sie auf die Verursacher zu wirken.

Und das, was diese toxische Form des Feminismus auf der einen Seite generiert, wird nicht selten gespiegelt durch eine Unterwürfigkeit, die das Bild vom Hündchen auf dem Schoß von Hegemonen hervorruft. Da ist dann nichts mehr von Eigenständigkeit, Souveränität, einem eigenen Willen, Selbstachtung und Durchsetzungsvermögen zu beobachten. 

Als Diagnose bleibt da nur noch der alte Satz, dass Macht als grausamer Faktor die schwachen Seelen kirre macht. Ob sie nun männlich oder weiblich sind. Manche sind ihr einfach nicht gewachsen und sollten die Sphäre so schnell wie möglich verlassen. Oder die Weitsichtigeren sollten sie schnellstens entfernen. Der Gedanke der Emanzipation ist zu wichtig, als dass er in dieser Weise kolportiert werden dürfte.    

Aushalten! Weitermachen!

Der Philosoph Herbert Marcuse, dessen Biographie sich liest wie ein gelungener Duktus zur Charakterisierung der neueren deutschen Geschichte, liegt nach einer langen Reise auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin. Berlin war seine Heimatstadt, dort hatte er sich blutjung in einem Arbeiter- und Soldatenrat engagiert, hatte später studiert und ging, wie sollte es anders sein, wenn das Leben eines intellektuellen Juden nicht in irgendwelchen Folterkellern oder in einem Vernichtungslager endete, ins Exil nach New York. Dort arbeitete er, lehrte er, war eine Inspiration für die studentische Protestbewegung Ende der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts und blieb. Herbert Marcuse wurde Amerikaner. Bei einem Besuch in Deutschland 1979, ausgerechnet bei Jürgen Habermas, verstarb er an einem Hirnschlag am Starnberger See. Seine Überreste wurden in Österreich verbrannt, die Asche ging zurück in die USA und die Urne  verschwand irgendwo, bis sie seine Söhne fanden und 2003 beschlossen, sie dorthin zu bringen, wo für Marcuse alles begonnen hatte. Der Grabstein Marcuses ist schlicht gehalten. Was ihn außergewöhnlich macht, ist die dort in Stein gemeißelte Aufforderung: Weitermachen! 

Die Vorstellung, das Leben aus einem Zustand der Unterdrückung und Bevormundung zu befreien, heißt, das wissen alle, die sich diesem Unterfangen gewidmet haben, dass es immer wieder Zustände gibt, die nicht dazu geeignet sind, euphorisch zu werden. Man kann die Geschichte der Emanzipation auch so sehen: sie ist eine Anreihung von Rückschlägen, von Widrigkeiten und Niederlagen. Wer dabei stehen bleibt und sich nicht verdeutlicht, dass das Werk in seiner Dimension vielleicht die eigene Existenz übersteigt, hat alle Voraussetzungen, um in einen Zustand der Depression zu verfallen. Wer allerdings von Beginn an nicht der Illusion verfällt, dass das Werk der Emanzipation mit seiner eigenen Biographie kongruent ist, für den ist es nichts besonderes, wenn auf dem eigenen Grabstein die Parole steht, die Herbert Marcuses Grab in Berlin ziert: Weitermachen! Ohne Bitterkeit, ohne Ressentiment und vor allem ohne Selbstmitleid. 

Das Weitermachen bezieht sich auf den verbleibende Zeitraum der eigenen Vita wie auf die Aufforderung an alle, auch danach aktiv zu bleiben. Und der Zustand, der immer, jeden Tag und überall, erreicht werden muss, um überhaupt an das Weitermachen zu denken, ist der des Aushaltens. Im Sport existiert die Formulierung, dass manche Akteure auch dorthin gehen, wo es weh tut. Es beschreibt, um es kurz zu fassen, so etwas wie ein Löwenherz. Zu wissen, dass etwas schmerzt, es dennoch zu tun, auch wenn man selbst Schaden und Schmerz erleidet. Die Sprache ist von Nehmerqualitäten. Die Formulierung wird im Sport zumeist mit großer Hochachtung benutzt, im gesellschaftlichen Leben ist sie etwas außer Mode gekommen. Bleibt man im Sport und führt sich die Menschen vor Augen, die nahezu Heldenstatus erlangt haben, dann sind es genau die, die dorthin gingen, wo es weh tat, die Giganten des Aushaltens waren. Ihr Heldenstatus dokumentiert, was wir bewundern. 

Das, was heute als smart gilt, hat damit nicht mehr viel zu tun. Es klingt wie eine post-heroische Attitüde. Obwohl auch das eine wertvolle Eigenschaft ist, aber ob sie ausreicht, um die bestehenden Verhältnisse mit ihren Mächten und Besitzständen zu ändern, ist nicht erwiesen. In Zeiten wie diesen, in denen alles im Fluss ist, in denen sich so etwas offenbart wie ein finaler Kampf zwischen Tyrannei und Befreiung, können die Maximen, denen sich jedes Individuum verschreiben muss, das von der Selbstbestimmung überzeugt ist, nicht oft genug wiederholt und beherzigt werden: Aushalten! Weitermachen! 

Die Macht der Verklärung

Nichts ist gefährlicher als die eigene Verklärung. Warum gefährlich? Weil sie dem Selbst ebenso ein falsches Bild übermittelt wie den anderen, die auch angesprochen werden sollen. In diesen Tagen ist wieder so eine Gelegenheit für die Verklärung. Die Grünen feiern ihr vierzigjähriges Bestehen und sie selbst wie eine Menge von Chronisten fügen Ereignisse zusammen und versuchen ein Bild zu malen, das der Geschichte einigermaßen gerecht wird. Dass das schwierig ist, ist zweifelsfrei, denn die Grünen waren eine Reaktion auf verschiedene Ausdrucksformen, die in der Gesellschaft herrschten und sie verstanden sich zunächst als Sammlungsbewegung. Letzterer ist zu eigen, dass sich verschiedene, höchst unterschiedliche Strömungen dort finden, die nicht unbedingt miteinander korrespondieren müssen. Ich habe in meinem Gedächtnis gekramt und nach Eindrücken, Begegnungen und Einschätzungen gesucht, und es entstand ein Bild, das ich so gar nicht erwartet hatte.

Da waren die ersten Treffen, die so bunt waren, wie es heute gar nicht mehr existiert. Schräge Vögel wie den Bauern Baldur Springmannn, exaltierte Pazifistinnen wie Petra Kelly und ihren General und Vertreter, die aus dem Maoismus kamen, wie Ebermann und Trittin. Und natürlich die Frankfurter Fraktion mit Dominas wie Cohn-Bendit und später Fischer. Das alles geschah zu einer Zeit, als der Kalte Krieg noch tobte und Abrüstung eine Option sein sollte. Und sie griffen den Gedanken des Umweltschutzes auf, den niemand bis dahin auf dem Schirm hatte.

Sehr positiv war, dass diese neue Bewegung dem vorher in allen Lagern vorherrschenden Dogmatismus abschwor und nahezu libertäre Züge trug. Was der anfänglichen Aufbruchstimmung sehr schnell einen herben Rückschlag verschaffte, waren die intensiv und lange geführten Debatten über sexuelle Kontakte mit Kindern. Die Bedeutung und die Lautstärke dieser irrsinnigen Diskussion wird bis heute unterschätzt und sie führte dazu, dass der Idee der neuen Bewegung  viele gute Köpfe verloren gingen, weil sie sich abwandten. Der bis heute mysteriöse Selbstmord von Bastian und Kelly war auch so ein Ereignis, das nicht nur Verstimmung hinterließ.

Mit der Etablierung zur Partei, die in Parlamenten vertreten war und die allmählich auch Regierungsverantwortung übernahm, änderte sich sukzessive vieles. Der Gedanke pazifistischer Politik ging radikal verloren. Die aktive Beteiligung an dem völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieg bildete den dramatischen Auftakt, die Unterstützung der NATO-Osterweiterung und die Kriegshetze, die von Teilen der Grünen gegenüber Russland formuliert wird, sind der entsetzliche Endpunkt eines Pokers um die Macht, in dem ein Steckenpferd willentlich verhökert wurde. An diesem Spieltisch saß ein grüner Außenminister, Joschka Fischer, der heute in einem amerikanischen Think Tank sitzt und die Großmachtpläne des amerikanischen Imperiums unterstützt. 

Die anfänglich toleranten, liberalen, emanzipatorischen Ansätze sind, ebenfalls im Laufe der Jahre, einem Ensemble von Dogmatismus getragenen Gesetzen und Verhaltensvorschriften gewichen. Die Leichtigkeit, mit der der gesellschaftliche Diskurs geführt wurde, ist durch eine  starreHaltung der Beharrung ersetzt worden. Die Muster sind und waren immer Weltuntergangsszenarien, aus denen sofortige Maßnahmen abgeleitet werden müssen, ansonsten geht das Dasein den Bach herunter. Wer nicht mitmacht, opfert die Welt, Angst und Hysterie sind oft die Trigger, nicht die Ratio. Und das Recht, sich zu dieser Ideenwelt im Gegensatz zu befinden, existiert nicht. Die Antwort ist Ausgrenzung. Mit Emanzipation hat dieses Besteck nicht mehr viel zu tun. 

Obwohl sich immer noch viele Menschen dieser Bewegung anschließen, weil sie in an die positive Zielsetzung, Emanzipation, Frieden und Ökologie glauben, hat sich vieles in das Gegenteil verkehrt.