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EM 2024: Mal wieder Fußball?

Die Entwicklung des Fußballgeschäftes hat seit der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien rasante Formen angenommen. Es begann mit dem Transfer eines Spielers für das Äquivalent einer Air Bus Maschine, Magnaten übernahmen Vereine, von ihrer Herkunft her nicht unbedingt aus Ländern, in denen das Fußballspiel auf eine beachtenswerte Tradition blicken kann. Dass man mit dem Metier Geld, sehr viel Geld verdienen kann, ist allerdings bekannt. Dort, wo es in Bezug auf Finanzbewegungen besonders heftig zugeht, sind entweder Ölmagnaten, Baulöwen oder sogar Fonds im Spiel. Die großen Stars des Metiers spielen dort, wo das meiste Geld gezahlt wird. Viele Vereine, vor allem in den Ländern mit einer großen Fußballtradition, sind nicht mehr im großen Spiel und verlieren, zumindest was das Sammeln von Titeln anbetrifft, massiv an Bedeutung. Mehr noch, sie kämpfen ums Dasein. Und es hilft nicht weiter, mit dem Finger nach Spanien oder Großbritannien zu zeigen, auch im eigenen Land schaffte es der Primus, 11 mal hintereinander die Meisterschale zu holen. Man nennt so etwas auch Monopol.

Die jetzige Europameisterschaft mit deutschem Austragungsort sollte der durch monetäre Exzesse weitgehend demoralisierten Branche und dem Überdruss über furchtbare politische Entwicklungen ein Ende bereiten. Mit Namen wie dem eines Rudi Völlers und eines juvenilen Julian Nagelsmanns soll der deutsche Fußball, wie er sich immer selbst definierte und wofür er international geachtet wurde, wieder zum Leben gerufen werden. Weg von Konzepten aus der Beraterszene, in denen Module changiert werden, hin zur Bereitschaft, sein letztes Hemd zu geben und die Freiheit, situativ dem eigenen Instinkt folgen zu dürfen, sollen dem Spiel wieder etwas Leben einhauchen. Das ist, man höre und staune, bis jetzt in einer gewissen Weise gelungen. Fast höre ich meinen Vater, der aus dem Grab die Sätze von sich gibt, „mach, was du kannst, und sei, was du bist.“

Der Fußball ist, so, wie er gespielt wird und so, wie er organisiert wird, immer ein Abbild der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse. Insider wussten das schon immer und diejenigen, die mit dem Spiel nichts am Hut haben, werden es nie begreifen. Und da wären wir an einem Punkt, der weniger positiv stimmen kann. Momentan reden wir von den Teams aus Europa. Bis dato haben sich keine Anzeichen für irgend eine Innovation gezeigt. Vielleicht ist es sogar symptomatisch, dass  – stand jetzt – noch nie so viele Eigentore zu bilanzieren waren. Fast könnte man auf die Idee kommen, es handele sich um eine Metapher für die europäische Außenpolitik.

Und da ist es wiederum interessant, dass trotz der permanenten medialen Mobilmachung und trotz der andauernden verbalen Militarisierung ausgerechnet die Fußballfans aus den angereisten Ländern zumeist nur das Interesse an einer guten, friedvollen Zeit mit netten Begegnungen haben. Das parallel zu täglichen Meldungen über das Ansteigen der Gewaltdelikte im Alltag! Man kann es auch anders formulieren: die Fußballfans, die sich hier versammelt haben, trotzen dem Gedanken des Krieges.

Und, es ist immer ratsam, sich bei den Spielen auch ab und zu die Bandenwerbung anzuschauen. Dass die Bundesbahn den durch die täglichen Verzögerungen ramponierten Ruf damit wieder herstellen könnten, ist eine Illusion. Aber dass, auch und gerade in Stuttgart, von Mercedes Benz nichts zu sehen ist, während das chinesische Label BYD (Build Your Dreams) von allen Seiten lacht, kann auch noch einmal ein Hinweis darauf sein, wo sich der Industriestandort Deutschland momentan befindet.

Ob das Spiel, welches die Brasilianer das schöne nennen, im weiteren Verlauf noch wird begeistern können, steht in den Sternen. Fest steht, dass es bis dato nichts Neues gibt. Aber vielleicht steht es an einem Wendepunkt. Das wäre schon einmal etwas. Oder? 

Nach Katar: Kann man in Deutschland die Europameisterschaft 2024 abhalten?

Ein immer kluger wie geistreicher Beobachter des Zeitgeschehens schrieb vor kurzem, wie es wohl sei, wenn ausländische Fernsehteams sich Zugang zu den Schlachthäusern eines gewissen Fleischproduzenten in Gütersloh verschafften und dort Aufnahmen über die Arbeitsbedingungen wie die Wohnverhältnisse der ausländischen Leiharbeiter machten. Und dieses Material angesichts der anstehenden Fußballeuropameisterschaft 2024 in Deutschland dazu nutzten, die Frage zu stellen, ob es angemessen sei, in einem solchen Land das Turnier abzuhalten. Die Frage ist mehr als berechtigt und sie zeigt das ganze Dilemma. Es herrschen unerträgliche Verhältnisse und Ungerechtigkeit auf dieser Welt und wenn man richtig sucht, so findet man das Übel tatsächlich überall.

Wer kennt nicht die Berichte aus den USA, wo in eigentlich blühenden Metropolen Tausende auf der Straße schlafen oder in ihren abgetakelten Autos leben. Wer kennt nicht das Schicksal der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Fleischindustrie, das der Erntehelfer oder das der Paketboten hierzulande, wer kennt nicht die Hungerküchen für Beschäftigte im englischen Gesundheitswesen? Die Liste lässt sich beliebig verlängern, ohne dass die noch weitaus längeren Listen aus Afrika, Südamerika oder aus Asien vergessen wären. Was bleibt, wenn zumindest ein Funken Ehrlichkeit vorhanden ist, ist die Erkenntnis, dass die sozialen Verhältnisse weltweit noch einer gewaltigen Verbesserung bedürfen.

Sich in einer derartigen Gemengelage zum Richter über die Verhältnisse anderer Länder machen zu wollen, entspricht einer großen Portion Verlogenheit. Wer nur das Negative auf der Welt sieht, sollte lieber Hand an sich legen, als zu versuchen, den Rest der Welt aufgrund von Feindbildern sich ebenbürtig machen zu wollen. Kurz: Die moralische oder wie auch immer begründete Erhebung über andere ist das Werk mieser Charaktere. Davon existieren genug auf dieser Welt, nur sollte man ihnen nicht die Regie überlassen.

Bleiben wir bei dem eingangs erwähnten Gedankenspiel. Wie wäre es, das bevorstehende europäische Fußballturnier hier in Deutschland dazu zu nutzen, die hiesigen Verhältnisse anzuprangern. Und, gemäß der mit vollem Spektakel abgewickelten Kampagnen gegen alle Fußballweltmeisterschaften und Olympiaden der Vergangenheit gegen die Gastgeberländer, sofern sie nicht dem westlichen Bündnis angehören, jetzt ein Feuerwerk der Kritik abzubrennen. 

Stoff gibt es genug. Da gibt es die Einschränkungen der Grundrechte, das Nicht-Ahnden von Steuerflucht, einen neuen Radikalenerlass im öffentlichen Dienst, miserable Arbeitsbedingungen, fortschreitende Armut, Bildungsdefizite en masse, eine marode Infrastruktur, eine Doppelmoral, die es zur Staatsräson geschafft hat und im Kontrast dazu Unsummen, die in die Aufrüstung und in den politisch motivierten Waffenexport fließen. Wie, so stellt sich die Frage, kann man da die Chuzpe besitzen, andere zu einem auch hier total kommerzialisierten Sportfest einladen und so tun, als sei alles in bester Ordnung. 

Und dieselben, die in Katar mit einer Symbolbinde und Leichenbittermiene auf der Tribüne standen, werden lächelnd die gute Atmosphäre bei diesem Sportereignis im liberalsten Land der Welt loben, in dem allerdings, bleiben wir bei den Fakten, bis heute kein Akteur sich getraut hat zu outen. Und was beim Fußball hinsichtlich der sexuellen Orientierung gilt, macht sich mit rasender Geschwindigkeit im Bereich der Politik und der sie betreffenden Meinungsfreiheit breit. Ein Gesetz nach dem anderen wird verabschiedet, welche eine anderes Weltverständnis unter Strafe stellen. Mal als Desinformation, mal als Delegitimierung der Regierung. 

Kann man an einem solchen Ort Fußball spielen? Ja, gerade dort, man muss ja nicht den Mund halten.