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Eliten: Stillstand oder Bewegung?

Bei der Betrachtung von Gesellschaften spielt das Thema immer wieder eine wichtige Rolle. Es geht um die Eliten. Ihre Zugehörigkeit ist in der Regel ein Beschleunigungsfaktor im sozialen Vergleich und befördert die innere Dynamik. Die Art der Definition sagt sehr viel über die Befindlichkeit der Gesellschaft selbst aus und das Verhalten derer, die sich zur Elite zählen, lässt Prognosen über zukünftige Perspektiven derselben zu. Die Definition des Elitebegriffs ist relativ trivial, er hält sich immer an die lateinische Wurzel der Auslese und schränkt eine kleine Gruppe als das ein, worum es geht. Weitaus interessanter beziehungsweise weiter führender ist die Soziologie der Elite und die damit verbundene gesellschaftliche Diagnostik.

Bei allen möglichen Konfigurationen dominieren soziologisch vor allem zwei Kategorien von Eliten, die nur durch bestimmte Adjektive verwässert werden, die einen Mikrokosmos ausweisen, der nur bedingt gesellschaftliche Wirkung zeigt. Das können Metiers wie Bildung, Musik oder Sport sein. Die wesentlichen Kategorien sind allerdings weit mächtiger. Es handelt sich dabei zum einen um die Elite, die sich nach Status definiert. Ihr geht es um Insignien wie Macht und Reichtum. Die Frucht des elitären Daseins wird dort zum Zweck. Ohne einer Bewertung vorgreifen zu wollen, ist dieser Elitebegriff kein gesellschaftlich gestaltendes, sondern ein verzehrendes Moment. Wer sich einer Status-Elite zugehörig fühlt, der hat es in der Regel geschafft, zu dem auserwählten Kreis zu gehören. Damit hat es sich dann aber auch bereits getan. Ein Blick auf diese Eliten zeigt in der Regel eine relative Lust- und Trostlosigkeit, weil die alles erschlagende Metapher die der Sattheit zu sein scheint. Die, die dorthin wollen, haben den Hunger nach Bestätigung, die, die bereits dort sind, sind zwar auch nie satt, aber ihnen ist es permanent schlecht.

Im Gegensatz dazu ist die Definition der Elite nach Funktion respektive Leistung eine andere Geschichte. Dabei geht es zwar auch um Macht und Privilegien, diese resultieren jedoch nicht aus einem Selbstzweck, sondern aus einer Gestaltung innerhalb der Gesellschaft. Wer in Funktionen denkt, wird vom Wunsch nach Gelingen und nicht dem nach Verweilen getrieben. Demnach ist es nicht übertrieben zu schlussfolgern, dass die Eliten des Status den Stillstand und die der Funktion die Bewegung verkörpern.

Und genau an diesem Punkt wird es interessant. Dominiert in einer Gesellschaft der Wunsch nach der Zugehörigkeit zu einer Status-Elite, dann ist das eine Referenz für relativen gesellschaftlichen Stillstand. Überwiegt die Attraktivität einer Funktionselite, dann lässt das auf eine dynamische Gesellschaft schließen. Eine Analyse der eigenen, gegenwärtigen Gesellschaft bleibt jedem selbst überlassen. Wer gilt als Elite und welcher Elitebegriff dominiert?

Interessant ist der Versuch, einen Spagat zwischen Status und Funktion zu vollziehen. Traditionell ist diese Version in der chinesischen Kultur verwurzelt. Dort existierten immer schon Meritokratien, d.h. Eliten, die sich über Funktionen definierten, die einen bestimmten Status versprachen, den man aber nur erlangte, wenn man sich durch Leistung verdient gemacht hatte. Folglich könnten sie Verdienst-Eliten genannt werden.

Die europäische Adaption dieser sehr klugen Konstruktion resultiert ideell aus dem revolutionären Frankreich. Auch die Französische Revolution war ein vehementes Aufbegehren gegen die aristokratischen Status-Eliten. Leistung sollte durch Besitz ersetzt werden, und zwar Leistung im Sinne der gesellschaftlichen Erfordernisse. Diese Dynamik ist momentan allerdings kaum identifizierbar.

Revisionismus der Eliten

Es gibt einen interessanten Zusammenhang zwischen dem Zustand eines Staates und dem allgemeinen Befinden und Verhalten der eigenen Eliten. Sind letztere einigermaßen eingeschworen auf Staat und Gesellschaft und begreifen sie den Konnex zwischen eigenem Verhalten und der Legitimationsfähigkeit des gesamten Staates, dann kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass eine Kohärenz zwischen den verschiedenen sozialen Klassen besteht. Das ist logisch. Denn wer von anderen fordert und selbst zu verstehen gibt, dass das auch für ihn gilt, der kann erwarten, dass man ihn zumindest für glaubwürdig hält. Herrschen andererseits Verhältnisse, die an das berühmte Zitat Heinrich Heines erinnern – ich kenne die Weise, ich kenne den Reim, ich kenn auch die Herren Verfasser; sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser -, dann befindet sich die Herrschaft bereits in einer Legitimationskrise.

Eine böse Evidenz für das Versagen von Eliten und daraus resultierende gesellschaftliche Dauerkrisen liefern die so genannten Schwellenländer. Bezeichnend für diese sind auf der einen Seite in der Regel nationale Reichtümer wie Bodenschätze etc., eine Juvenilisierung der Gesellschaft und ein damit verbundener Sturm auf die Bildungseinrichtungen sowie das Überspringen technologischer Entwicklungsstufen im Rahmen einer rasanten Modernisierung. Konterkariert werden derartig traumhafte Bedingungen für die Weiterentwicklung des Gemeinwesens zumeist durch eine fatal resistente Korruption im Staatsapparat und eine Illoyalität der etablierten Eliten, die durch Raub an nationalem Eigentum und der strikten Weigerung, ihren kometenhaften Reichtum zu versteuern. Flankiert wird dieses Verhalten zumeist durch eine äußerst biegsame Justiz.

Betrachtet man die Entwicklung der Befindlichkeit der Eliten in den so genannten zivilisierten und entwickelten Ländern, dann könnte der Verdacht aufkommen, dass ein Revisionismus im Zuge ist. Revisionismus deshalb, weil bei Staaten, die durch die bürgerliche Revolution beflügelte Quantensprünge vollbracht haben, eben auch weil die Loyalität der Eliten zu dem neuen Staatswesen gegeben war, eine Rückorientierung auf das alte System der Privilegierung ohne Verdienst ins Auge gefast haben. Das passiert nicht schlagartig, sondern es handelt sich um einen schleichenden Prozess. Das alte protestantische Ideal von dem Chef, der als erster im Betrieb ist und als letzter geht, der sich dadurch auszeichnet, dass er sparsam ist und für sich selbst immer den geringsten Anteil verlangt, es sei denn, es kommt dem großen Ganzen zu Gute, dieser Chef oder diese Chefin sind passé. Um das zu bemerken, dazu muss man kein Mythendeuter sein. An seine stelle sind mehrheitlich die Coupon-Schneider getreten, die über Beteiligungen Gewinne einstreichen und deren Verbundenheit mit denen, die ihren Reichtum schaffen, gegen Null geht.

Ein weit verbreitetes Phänomen dieser Besitzenden ist ihr ständiges Streben, ihren Erwerb nicht zu versteuern. Um diesem Ziel näher zu kommen, flüchten sie in so genannte Steueroasen oder operieren dort teilweise. Das Inakzeptable besteht genau in diesem Punkt: Bildung, Infrastruktur und die mentale Disposition derer, die produzieren, sind genau die Verdienste des Landes, das sie mit ihrem Verhalten betrügen. Sie entziehen sich der Investitionen, derer es erfordert, dass Reichtum geschaffen wird. Dass ein Land wie die Bundesrepublik in diesem Kontext noch mit einem Gesetz unterwegs ist, das aus kaiserlichen Zeiten stammt und die Amoral der Eliten hofiert, in dem sie diesen eine Straffreiheit garantiert, wenn sie Reue zeigen ob ihres Deliktes der Steuerhinterziehung, das spricht wieder einmal für den tatsächlich lauen Geist, der die Demokratie in diesem Lande prägt. Und die Eliten, und gerade die mit einer exponierten medialen Präsenz, die leuchten schon wie ihre Brüder und Schwestern in den Schwellenländern.

Verschmähte Eliten

Eine eigenartige, so gar nicht mit den Kassandrarufen der offiziellen Bulletins korrespondierende Entwicklung verschattet die Zukunft der Republik. Der hysterische Verweis auf die Demographie, deren Entwicklung uns auch die Eliten nähme, derer eine hoch komplexe Zivilisation bedarf, scheint sich als ein Manöver zu entpuppen, das schon im alten Rom von den numerisch abnehmenden Patrizierfamilien befolgt wurde. Der vermeintlich ausbleibende Nachwuchs bezog sich nur auf die Abnahme des eigenen Blutes und damit der Furcht, das Spiel der Macht nicht mehr vollständig alleine beherrschen zu können. Aber schon in der Geschichte Roms zeigte sich, dass es auch anders ging und dass eine republikanische Definition des Staatswesens sich nicht reduzieren lässt auf genetische Linien der Machtausübung.

In unserer Republik, die gegenwärtig noch mit ganz anderen Dingen zu kämpfen hat, die eine demokratische Erosion zur Folge haben könnten, sehen wir eben diese alt eingesessene Elite, wie sie dabei ist, ihren numerisch abnehmenden Nachwuchs von den allgemeinen Höfen einer gesellschaftlichen Sozialisierung zu separieren. Closed Shop-Kindergärten, Privatschulen, exklusive Internate und sozial codifizierte Sportvereine sind zu Foren einer Nachwuchsförderung geworden, die das allgemeine Volk gezielt ausschließen und die dort betreuten Zielgruppen von den Erfahrungswerten des Restes der Gesellschaft isolieren. Die Zeiten, dass man die Schulbänke zusammen mit Bergarbeiter- und Fabrikbesitzerkindern drückte, zusammen Fußball spielte und sich hinterher im Leben noch treffen konnte und auf eine gemeinsame Sprache zurückgreifen konnte, sind für die hermetisch abgeschirmten Bildungseliten Vergangenheit. Sie werden, wenn sie einmal in Macht und Position sein werden, nicht nur nicht mehr begreifen, welche Nöte und Sorgen diejenigen haben, die das harte Brot der Armut essen mussten, sondern sie werden auch nicht mehr in der Lage sein, mit diesen Menschen zu kommunizieren. Insofern sind die deutsch-nationalen Strategien der Elitenbildung nicht nur egoistisch, sondern auch beschränkt und wenig weitsichtig.

Auf der dunklen Seite des Mondes, aus den Mietskasernen, Fabrikhallen und Billiglohnsektoren heraus haben sich hingegen mittlerweile zwei Generationen von Migrantenkindern durchaus zu einem ansehnlichen Teil aufgrund ihrer Qualifikation und sozialen Erfahrung zu dem entwickelt, was man als eingelöstes Anforderungsprofil einer Leistungselite bezeichnen könnte. Ihre Eltern kam noch als einfache Arbeiter aus Anatolien, sie selbst wuchsen in den so falsch bezeichneten prekären Quartieren der großen Städte auf, erkämpften sich Zugang zu Bildung gegen Vorurteile der Deutschen und falsch verstandene Tradition der eigenen Herkunft, qualifizierten sich in hohem Maße, sprechen mehreer Sprachen und verfügen in den meisten Fällen über soziale Empathie. Dennoch haben sie keine Chance, ihre ungezählten Bewerbungen scheitern an einem Ü zuviel im Namen, ihrem orientalischen Aussehen oder am zu starken Bartwuchs. Viele von ihnen, zu viele, sind bereits gegangen, nach Izmir oder Istanbul oder sonst wo hin. Sie haben dort, wo sie aufwuchsen und sich erfolgreich durchsetzen konnten, in den wichtigen Positionen in Wirtschaft und Gesellschaft keine Chance. Nicht dafür zu kämpfen, dass sie sie doch noch bekommen, wäre unrepublikanisch!