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Paris an der Spree, Krakau an der Ruhr und der Balkan am Neckar

Wenn die Formulierung zutrifft, dann jetzt. So, als gäbe es kein Morgen mehr, wird hierzulande wieder einmal über die Einwanderung schwadroniert. Als wäre es nicht seit Jahrzehnten klar, dass unser geliebtes Germanistan im Herzen Europas mitten im Strom der Migrationszüge läge, wie es in der Vergangenheit nämlich auch schon immer war, mit mindestens zehn Nachbarn, mit einem Hin und Her von Ost nach West und von Süd nach Nord, mit ungeheuren Bereicherungen und gewaltigen Integrationsleistungen, kommen jetzt in der Diktion von irgendwelchen politischen Topfpflanzen die Zuwendungserschleicher aus Transsylvanien und der Walachei und frönen der Trunksucht und Völlerei auf unsere Kosten und schänden unsere Töchter.

Da stellt sich doch zu Recht die Frage nach Zurechnungsfähigkeit. Wie kann es sein, dass ein Zentrum der globalen Hochtechnologie, des Erfindergeistes und der Trendahnung bewohnt wird von zivilisationsfernen Horden, die die Ränder der Mittelgebirge säumen und tatsächlich mit der Routine demokratischer Wahlen vertraut sind und sich tatsächlich von derartigen Geschichten wie den gerade kursierenden beeinflussen lassen in ihrem Urteil über den Zustand und die Perspektive unseres Gemeinwesens. Da hilft es wenig, dass es immer so ist, d.h. diejenigen, die am weitesten weg wohnen von den Gebieten, wohin die Neuen kommen, sind diejenigen, die am heftigsten dagegen sind. Schön zu sehen im benachbarten Frankreich, wo es genauso funktioniert.

Die logische Folge wären die Organisatin eines neuen Massentourismus, der unter dem Slogan „Deutschland, das Treibhaus fremder Wurzeln“ fungieren könnte. Es sollten Busreisen vom bayrischen Wald ins Ruhrgebiet organisiert werden, wo allein der Besuch der Friedhöfe, auf deren Grabsteinen mehr polnische als deutsche Namen zu lesen sind, eine Ahnung davon geben könnte, wer das neue, industrialisierte Deutschland eigentlich mit aufgebaut hat. Man könnte entgegengesetzt von Meckpom mal eine Bahnfahrt in die Kurpfalz veranstalten, wo sehr schnell deutlich würde, wie groß der Einfluss der französischen, italienischen und flämischen Immigranten auf die frühe Aufklärung war. Oder man betriebe mit den vielen Radikalskeptikern aus dem Brandenburgischen einen kleinen Kurs zum Thema Quellenkunde, in dem man als einziges Studienobjekt das Telefonbuch von Berlin nähme, um darauf hinzuweisen, wie groß der hugenottische Einfluss auf das Fundament der heutigen Hauptstadt war. Oder man brächte eine Delegation von oberfränkischen Landbewohnern in den Großraum Stuttgart, um zu verdeutlichen, in welchem Konnex der Elan dieser Region mit den Menschen aus dem Balkan steht.

Derartige Aktionen initiierten zwar einen Lernprozess, der allerdings angesichts der Dringlichkeit der erforderlichen Immigration nicht gerecht würde, weil Lernen Zeit in Anspruch nimmt, die wir nicht mehr haben. Die Diskussionen um die Immigration in Deutschland ist ein Gradmesser für die Fähigkeit des hiesigen Gemeinwesens, Zukunft gestalten zu können. Die xenophobischen Aspekte der immer wiederkehrenden, immer rückwärtsgewandten und nie nach Möglichkeiten, sondern immer nach den Gefahren suchenden Auseinandersetzungen um die Frage, ob wir ein Einwanderungsland sind oder nicht, attestieren gleichzeitig das Verfallsdatum.

Wären da nicht diejenigen, die irgendwann aus Polen, Russland, Dänemark, Holland, Belgien, Frankreich, Italien, Spanien, Serbien, Kroatien, Griechenland, der Türkei, Tunesien, Marokko, Chile oder Vietnam kamen, die lange genug da sind, als dass irgendwer noch auf die Idee käme, bei ihnen von Migranten zu reden. Sie alle beweisen das Gegenteil dessen, was die volksverhetzende Propaganda suggeriert. Weil keinem mehr auffällt, dass sie es sind, über die wir reden.