Nachrichten aus Germanistan, 14. August 2024
Liebe Freunde da draußen! Es ziemt sich nicht, eine Korrespondenz sogleich mit einem großen Aufreger zu beginnen. Da fehlt dann das, was man Neudeutsch gerne als Warm-up bezeichnet und das Pulver ist schnell verschossen. Also möchte ich mit dem beginnen, was derzeit sowieso das sommerliche Leben prägt und wofür wir im Deutschen so schöne Bezeichnungen haben. Die Saure-Gurken-Zeit existiert, so weit in weiß, auch im Englischen als frivole pickle time, aber das Sommerloch oder die Hundstage sind ziemlich Deutsch. Sie drücken aus, dass sich die Menschen erholen und den Sommer genießen wollen, dass die meisten Geschäftsprozesse herunter gefahren werden und vor allen Dingen die Parlamentarier in den Ferien sind. Man muss allerdings hinzufügen, dass es hier, in Germanistan, es in dieser Zeit noch recht betriebsam zugeht, wenn man es mit den mediterranen Ländern vergleicht oder auch mit Russland. Da sind jetzt nahezu alle bei ihren Datschen und haben aus den schönen Blumenbeeten wieder Nutzflächen gemacht, um im Notfall die Nahrung auch aus dem eigenen Garten zu bekommen.
Und dennoch, hierzulande sind Ferien, in vielen Regionen plagt die Hitze und in den Ballungsgebieten, in denen viele Menschen leben, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind, ist es erstaunlich ruhig und leer, weil diese zu ihren Verwandten in die Heimat gereist sind. Die großen politischen Themen flackern in den Medien immer wieder einmal auf. Die Kriege in Europas Osten und im Nahen Osten sind bei der Berichterstattung etwas ins Hintertreffen geraten. Wäre da nich eine neue Partei, die immer noch den Namen einer einzelnen Person trägt, die alle Mitbewerber für bevorstehende Landtagswahlen im Osten Deutschlands dadurch zur Weißglut triebt, weil sie – in Anbetracht zu erwartender eigener guter Ergebnisse – für eine Koalition mit anderen Parteien die Bedingung stellt, dass in der Ukraine-Russlandfrage die Ausrichtung auf einen militärischen Sieg gegen Russland beendet wird, weitere Waffenlieferungen ausbleiben und mit Verhandlungen begonnen wird. Das ist eine wuchtige Bedingung und die Reaktion zeigt, in welchem Dilemma sich Germanistan momentan befindet.
Entgegen aller Behauptungen ist ein Großteil der Bevölkerung gegen diesen Krieg und gegen die Teile der Regierung, die von der Vernichtung Russlands als Vorbedingung eines Endes der Kampfhandlungen in der Ukraine spricht. Wäre es anders, würden nicht die Parteien, die sich gegen die Sichtweise von USA/NATO/Bundesregierung stellen, einen derartig großen Zuspruch erhalten. Aber wir kennen das ja zur Genüge, was die Mentalität in Germanistan anbetrifft! Wenn man der Logik nicht mehr folgen will, dann müssen teuflische Kräfte wirken, auf die wir keinen Einfluss haben.
Bemerkenswert ist, dass die beiden sportlichen Großereignisse, die Fußballeuropameisterschaft in Deutschland wie die Olympischen Spiele in Frankreich, trotz des ausgesprochenen Interesses bei unseren Landsleuten nicht dazu hat führen können, dass diese beiden Fronten sich nach wie vor mit scharfen Kanten gegenüberstehen. Derweil ist die Ratlosigkeit sehr groß, wie es denn wohl weiter gehen wird. Zwar tauchen immer mal wieder gewisse Sterndeuter auf, die uns die Zukunft voraussagen. Aber daran glauben die wenigsten. Auch, weil die Prognosen, je nach Frontverlauf, so unterschiedlich sind. Die einen versprechen der gegenwärtigen Politik ein schnelles Ende, die anderen behaupten das Gegenteil. Um das Wort eines vor nicht langer Zeit verblichenen parlamentarischen Urgesteins zu benutzen, fährt Germanistan in Bezug auf seine politische Perspektive auf Sicht. Das ist für ein Land, in dem die Strategie wie die Organisation von Gesellschaft und Wirtschaft immer einen großen Stellenwert hatte, eine sehr betrübliche Feststellung. Wenn man so will, könnte man die emotionale Befindlichkeit während der Sommerferien auch so beschreiben: überall wirken die Kräfte des Teufels und wir wissen nicht, wie es weiter gehen wird. Dafür ist die Stimmung erstaunlich gut.
