Manchmal ist es hilfreich, mit der Zeit zu spielen. Sich in eine andere historische Epoche zu versetzen und die Frage zu stellen, wie hätten sich die heutigen Verhältnisse dort gemacht? Wie hätte die Gesellschaft reagiert? Wären diese Verhältnisse überhaupt möglich gewesen? Oder, anders herum, historische Ereignisse auf das Heute zu hieven und durchzuspielen, wie die aktuelle Gesellschaft damit umgegangen wäre. Letzteres wird gerade in einer großen Kampagne gemacht. Da werden die heutigen Verhältnisse als Analogie zum Aufkommen des Nationalsozialismus gesetzt und daraus der Slogan gemacht: Nie wieder ist Jetzt! Vom Marketing-Aspekt ist das eine gelungene Volte. Ob der Vergleich stimmt, darüber lässt sich streiten. Denn vieles, was einer rechtsradikalen Gefahr zugeschrieben wird, ist ein zunehmend deutlicher werdendes Abbild dessen, was man zu bekämpfen sucht.
Bei der Übung, mit der Zeit zu spielen, drängt sich eine andere Variante auf. Zunächst sollte man sich der eigenen politischen Biographie bis vor wenigen Jahren vergegenwärtigen. Dann das letzte Jahrzehnt als große Abwesenheit nehmen. Und bei der Rückkehr würde vieles, womit man bei der Rückkehr konfrontiert würde, als undenkbar erscheinen und als groteske Regie in einem Spiel wirken, das man für unmöglich gehalten hätte. Da wäre allenthalben die Forderung zu lesen, schwere Waffen für Freiheit und Frieden zu liefern, da würden Bomben geworfen für unsere Werte, da würden Verbündete sich so verhalten, dass eigentlich der Bündnisfall ausgerufen werden müsste, da ließe man Menschen, die aus Gebieten geflüchtet sind, in denen das eigene Bündnis Kriege vom Zaun gebrochen hätte, wissentlich auf ihrem Weg im Meer ertrinken gelassen, da würden vermeintliche Feinde sanktioniert, wodurch das eigene Land mehr getroffen wird als die beabsichtigte Adresse und da werden alle, die auf diese Missstände hinweisen, ausgegrenzt und dessen bezichtigt, was man eigentlich selber verkörpert. Und damit aus allem ein Schuh wird, werden sukzessive alle Rechte, die eine Demokratie ausmachen, beschnitten, ausgehebelt und durch proaktive Überwachungsmaßnahmen ersetzt.
Vor einem solchen Szenario mit dem Slogan konfrontiert zu werden: Nie wieder ist Jetzt! mutet an wie eine Montage aus den dystopischen Gesellschaftsromanen des XX. Jahrhunderts.
Das Traurige an diesem Spiel ist nur, dass es sich um kein Spiel und um kein seminaristisches Setting handelt, sondern um die nackte Realität. Die Kriegsgeilen, die weder für die liberale Demokratie noch für die Freiheit irgend eines Landes stehen, sondern für die Börsenkurse der Waffenindustrie, werden gewürdigt als tapfere Demokraten. Und keine Perversion, die nicht doch noch zu steigern wäre. Jüngst war zu vernehmen, dass ein Erbe aus der Rüstungsdynastie Krauss Maffei, seinerseits Mitglied der Grünen, darauf hinwies, wie wichtig weitere Waffen für die Ukraine nun seien. Solche Zustände sind die Faktizität des Spotts.
Bei der Betrachtung solcher Zustände kann die Schlussfolgerung nur sein, dass wir uns in einem neuen Zeitalter des Kannibalismus befinden. Und den Teufel treibt man nicht mit dem Beelzebub aus. Das ist eine alte, immer noch gültige Gewissheit. Der passende Slogan muss anders heißen: Nie wieder so wie Jetzt!
