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Konzertierte Realitätsverweigerung

Ehrlich gesagt, die Anteile des Pessimismus bezüglich des Allgemeinzustandes meines Landes sind noch einmal in die Höhe geschnellt. Denn obwohl seit Jahren zwei Entwicklungstendenzen immer stärker werden, die Anlass zu einer negativen Stimmung geben, sind die Gaukler der öffentlichen Meinung anders unterwegs. Die eine bedrohliche Kulisse ist die der inneren Entzweiung der Gesellschaft, ihre tiefe Spaltung in Arm und Reich, in Privilegiert und Ausgeschlossen, in Überfluss und Not. Und die zweite Katastrophe ist die seit nahezu zehn Jahren betriebene Isolation Deutschlands im internationalen Kontext. Austeritätspolitik bei der Bankenverschuldung hier und eine psychopathologisch getriebene Konfrontationspolitik mit Russland haben alle Voraussetzungen für ein neues internationales Debakel geschaffen, in dem Deutschland eine Hauptrolle spielen wird.

Und da stehen nun Bundestagswahlen an und es treffen sich die Kanzlerin und ihr Herausforderer in einem Fernsehduell. Die Realitätsverweigerung in diesem Land geht soweit, dass die Fragen, die essenziell für den Fortbestand der gegenwärtigen Verhältnisse stehen, gar nicht angesprochen wurden, weil die Weichen zu den beschriebenen Tendenzen sowohl von Christdemokraten als auch von Sozialdemokraten gestellt wurden. Sowohl bei der inneren Spaltung als auch bei der äußeren Isolation. Dass die beiden Akteure des gestrigen Abends nicht auf diesen Themen herumritten, ist nur logisch und dass die Qualität von Journalisten, die im öffentlichen Fernsehen ihre Auftritte bekommen, nicht dazu ausreicht, um den Anschein einer vierten Gewalt zu erwecken, ist seit langem bekannt. Und die, die zugelassen waren, gehören zur renommierten Claque der Regierung.

Die Felder, über die gesprochen wurde, wirkten im Verhältnis zu den Themen, die interessieren sollten, eher öde, denn sie dienten dazu, von den großen Problemen, die essenziell wirken werden, abzulenken. Dennoch, und ohne a priori Partei ergriffen zu haben und das a posteriori zu wollen, der Herausforderer Schulz hat, sofern das in einem Konsensgespräch überhaupt möglich ist, die weitaus bessere Figur in vielerlei Hinsicht abgegeben. Was die Meinungsanalysen nach der Sendung daraus gemacht haben, mag all jene bestärken, die mittlerweile mit einem großen Kontingent guter Argumente von einer Propagandamaschine der Regierung sprechen.

Dass die Partner einer großen Koalition sich nicht gegenseitig das Fell abziehen können, ohne sich selbst zu verleugnen, entspricht einfacher Logik. Daher ist es unsinnig, dem Herausforderer mangelnde Aggressivität. Die Kritik und der Schluss aus diesem Duell können eigentlich nur heißen, dass eine satte Koalitionsmehrheit von 75 Prozent im Parlament an Einheitsstaaten erinnert und der Republik auf Dauer nicht gut tun kann. Die Grundsätzlichkeit der Entscheidungen, die hinsichtlich der Alleingänge und Abenteuer in den letzten Jahren getroffen wurden, hätten eine massivere Opposition verdient.

Das alberne Design des Duells mit seinen Spielregeln, die Art der Fragen, die anschließende Diskussion im kleinen Kreise, die Berichterstattung über das politische Public viewing, die Analysen der Meinungsforschungsinstitute und die Rückschlüsse, die daraus resultierten, haben deutlich gemacht, dass die Demokratie noch mehr gelitten hat als in den goldenen Zeiten des Wettbewerbs um die Macht für möglich gehalten wurde. Einhergehend mit der Marginalisierung der parlamentarischen Opposition hat die Monopolisierung der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten zu einer freiwilligen Unterwerfung der dortigen Journalisten unter die Doktrin der Regierung geführt.

Keine nennenswerte Opposition im Parlament, kein kritischer Journalismus, der die Gelegenheit ergriffen hätte, dieses Missverhältnis zu thematisieren oder mit dem Finger auf die wahren Probleme zu zeigen, nichts von dem ist geschehen. Drei Wochen vor der Wahl. Das ist eine geniale Form der konzertierten Realitätsverweigerung. Einfach weltmeisterlich!