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Slaughterhouse Number Five

Er inhaliert Quoten wie psychedelische Drogen. Der Moderator des leichten und beschwingten, manchmal auch einfach geschmacklosen Politjournalismus in Form der paratherapeutischen Talkrunde. Der Mann, der die Oma schon lägst verkauft hatte, als diese sich noch in Freiheit wähnte, der auf Betriebsversammlungen von Trickbetrügern als Zugpferd auftrat und Goldene Berge versprach und damit zum Ruin vieler beitrug, der machte natürlich im deutschen TV weiter Karriere. Er sieht aus wie ein Oberschüler, auf dem Hof einer solchen hätte man ihn ein Backpfeifengesicht genannt. Warum, so muss gefragt werden, reüssieren in diesem Land, das durchaus seine Reize hat, im Kulinarischen wie im Landschaftlichen, zuweilen sogar in Kunst und Poesie, warum mag die Masse solche Figuren. Sie operieren wie der manchmal zitierte Weltmann aus dem 17. Jahrhundert, dessen Strategie uns bis in unsere Tage so bekannt vorkommt: Was ist politisch sein, heißt es da, versteckt im Strauche liegen, fein zierlich führen um, und höflich dann betrügen.

Nicht, dass es falsch wäre, Menschen, die unterschiedliche Interessen und Meinungen vertreten, an einen Tisch bringen zu wollen. Da ist gut so, und der Konflikt ist die Mutter der Erkenntnis. Aber aus einer Situation, die von Anfang an geprägt wurde durch die Diffamierung aller möglichen Gruppen, von Flüchtlingen bis zu hiesigen Politikern, und zwar durch eine Partei, die mit allen Techniken des Populismus arbeitet, in einen Rahmen zusetzen, in dem der Eindruck entstehen konnte, dort handele es sich um schlecht Verstandene und ungerecht Behandelte, das ist ein schweres Vergehen. Und wie von selbst begann am Tag Eins nach der sonntäglichen Diskussion ein mediales Treiben, das die Täter zu Opfern machte.

Das war nicht das alleinige Verdienst des anfänglich erwähnten Quotenjunkies, sondern zudem einer Koinzidenz zu verdanken, die tatsächlich unheimlich anmutet. Denn die Polizeibehörden im fernen Dresden verbaten jede Art von Demonstration am kommenden Montag, weil eine Terrorwarnung vorlag. Genau genommen gegen eine Person, die man hätte schützen und separieren können oder die sich hätte, bei nur einem Funken Verantwortungsgefühl, selber fernhalten können. Wahrscheinlich war das überreagiert, vielleicht war es intentional überreagiert. Denn plötzlich war es demokratische Tugend, für die Bedrohung von Toleranz und Freizügigkeit Mitleid zu empfinden. Und die Kanzlerin gab gar die Parole aus, wenn Sachsen darum bäte, dann könne auch der Bund Demonstrationen solcher Art sichern. Da kommen plötzlich kuriose Bilder auf, die eher an Vonneguts Slaughterhouse Number Five als an das Dresden unserer Tage erinnern. Vorne ein Leo, der vor einem Demonstrationszug mit schwenkender Kanone rollte, um Pegida gegen Bomben aus dem Morgenland zu schützen. Das ist weder Wildwest noch Wildost, das scheint eine Realität in der Vorstellungswelt der bundesrepublikanischen Staatsidee unserer Zeit zu werden.

Innerhalb einer Woche bekam das Publikum zwei Szenarien vor Augen geführt, die schlimmer nicht hätten voneinander differieren können. In Paris der Demonstrationszug einer Bevölkerung, die mit den Idealen einer bürgerlichen Revolution aufgewachsen ist. Bei aller Apathie, bei aller Reformschwäche, bei der dramatischen Differenz von Selbst- und Fremdwahrnehmung, es war eine machtvolle Demonstration darüber, wie es aussehen müsste, wenn eine Demokratie bedroht wird. Und das Pendant: Ein Deutschland, das sich mit nachhaltiger Logikschwäche dafür entscheidet, Ursache und Wirkung der Krise systematisch zu vertauschen und zu Szenarien tendiert, die einfach nicht das Monströse der Geschichte abzustreifen in der Lage sind. Heinrich Heine, der Düsseldorfer Jude, hatte es schon immer gewusst und den Satz geschrieben, der einfach nichts an seiner fatalen Wirkung eingebüßt hat: Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht.

Zwischen Kriegstreiberei und Appeasement

Die Dresdner Montagsdemonstrationen, die unter dem Namen Pegida vonstatten gehen, haben sich nicht nur als eine rechtsradikale Angelegenheit, sondern auch als ein Wanderzirkus entpuppt. Die steigenden Teilnehmerzahlen sind in starkem Maße auch auf Demonstrationsreisende zurückzuführen, die aus der ganzen Republik erscheinen. Das sind zumeist alt bekannte Rechtsradikale aus den unterschiedlichsten Organisationen und Regionen. Es zeigt, wie attraktiv eine rechte Renaissance für einige doch ist und es verdeutlicht, dass Dresden mit seinem Potenzial wohl an der Obergrenze steht. Es relativiert, aber es beruhigt nicht.

Zunehmend wird deutlich, dass die formulierten Ziele der dortigen Bewegung eine Politisierung des Futterneides darstellen. Mit dem Mantra, die Ausländer fressen uns hier alles weg, reklamiert eine Region, die seit der Wiedervereinigung mit die größten Transferleistungen erhalten hat, dass dieses so bleibt und kein noch so bedürftiger Flüchtling egal von wo aus der Welt der sächsischen Selbstverständlichkeit ein Ende bereiten darf. Die Botschaft ist so gut angekommen, dass die politische Konsequenz sehr einfach sein dürfte. Der sofortige Stopp jeglicher Transferleistungen nach Sachsen, bis der ganze Spuk ein Ende hat, wäre die einzige Maßnahme, die sofort griffe und demonstrieren würde, dass man es ernst meint. Wer jetzt dagegen davon schwafelt, man müsse die Ängste und Sorgen derer, die dort demonstrieren, ernst nehmen, ist Bestandteil des Problems.

Resolutionen kreisen, in denen gegen das Unding Pegida mobilisiert wird. Das ist gut und zeigt, dass jenseits der sich zunehmend entlarvenden Politiker aus der ehemaligen DDR so langsam wieder ein Impuls entwickelt, der das vegetative Nervensystem der Demokratie belebt. Aber auch hier sollte die Freude über die spontane und zahlreich zum Ausdruck kommende Bewegung nicht darüber hinweg täuschen, dass die politische Schlagkraft solcher Solidarisierungswellen relativ ist. Vielen, die sich hier eintragen, ist die Dimension der Notwendigkeiten gegenüber der Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft nicht deutlich. Fern ab vom Ort des Geschehens ist der Mut oft ohne Risiko. Äußert sich jedoch die Repression in der eigenen Lebenssphäre, dann sind gerade die, die gegen eine Entwicklung in der Ferne so heftig protestieren, zahm wie die Lämmer und nehmen alles hin. Das ist keine Substanz. Leider ist diese Attitüde im Netz sehr weit verbreitet, für einen politische Bewegung mit einer gewissen Durchsetzungskraft reicht das nicht.

Der beste Kampf gegen Pegida, d.h. einer auf archaischen Trieben basierenden Radikalisierung der Gesellschaft, ist Zivilcourage und Widerstand in den konkreten Lebenssituationen, in denen sich Rassismus, Herrschaft und Unterdrückung äußern. Alles andere ist ein Gestus, der unter dem Strich nichts bewirkt. Das Maulheldentum ist eine wachsende virtuelle Erscheinung, die gesellschaftlich keine Veränderung mit sich bringen wird. Diejenigen, die sich jetzt wieder so wohl fühlen, weil sie es im Netz Pegida so richtig gezeigt haben, müssen bei der nächsten Gelegenheit in ihrem eigenen Umfeld darauf hingewiesen werden, dass das Phänomen, hinter dem sich Pegida verbirgt, auch in ihrer eigenen Lebenssphäre wirkt und ganz genau da, vor Ort, Courage und Widerstand erfordert.

Letztendlich ist in den letzten Monaten deutlich geworden, dass Politikerinnen und Politiker, die in der früheren DDR sozialisiert wurden, nicht in die Kontur einer modernen, demokratischen Republik, die sich in einem globalen Kontext zu bewegen hat, passen. Diese Realität muss jetzt ausgesprochen werden. Entweder, sie entwickeln sich, wie im Falle der Ukraine, zu regelrechten Kriegstreibern, oder, wie im Falle Pegida, sie formulieren eine Appeasement-Politik gegenüber dem Neo-Faschismus, die nicht minder gefährlich ist wie ihre Kriegstreiberei.

Die Empathie des Dr. de Maizière

Die Sorgen und Ängste vieler Menschen vor den Herausforderungen unserer Zeit müssen wir ernst nehmen. So der gegenwärtige Minister des Innern, Thomas de Maizière. Das hört sich vernünftig an, bei genauer Betrachtung ist es jedoch für einen Politiker, der sich professionell um die Angelegenheiten der Allgemeinheit kümmert, eine niederschmetternde Plattitüde. Aber wahrscheinlich nimmt er es in der Regel nicht so ernst, wer weiß. Interessant ist natürlich, aus welchem Anlass der Minister des Innern plötzlich so rührselig wurde. Es waren nämlich die Demonstrationen in Dresden unter dem schauerlichen Namen Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Über zehntausend Demonstranten marschierten unter diesem Slogan durch Dresdens Straßen. Und damit nicht genug, sie skandierten auch noch den Slogan Wir sind das Volk!

Nun muss tatsächlich vieles, was in den letzten Jahrzehnten in Deutschland an Einwanderung vonstatten ging, kritisch unter die Lupe genommen werden. Dabei ist allerdings sehr deutlich, dass die Menschen, die sich in diese Gesellschaft eingebracht haben, zu ihrem Wohlstand beitrugen. Das politische Design, das Zuwanderung zu regeln hat, muss allerdings als ein kleingeistiges, provinzielles und dilettantisches Gemurkse charakterisiert werden.

Es wurde in unsinnige Bürokratie investiert und Fehlentwicklungen wurden durch sozialtherapeutische Apparate festgeschrieben, anstatt Lösungsansätze zu entwickeln. So entstand eine Armee von Integrationsspezialisten, die längst eine Eigendynamik entwickelt hat, die mit dem ursprünglichen Auftrag sehr wenig zu tun hat. Und es hat eine Entwicklung gegeben, die mit traditioneller und religiöser Rückständigkeit weitaus verständnisvoller umgeht, als es angebracht zu sein scheint. Aber, und das sei gesagt, angesichts der vorliegenden Ergebnisse der Internationalisierung der deutschen Gesellschaft muss von einer positiven Weiterentwicklung gesprochen werden, die noch ganz andere Möglichkeiten in sich birgt. Und was die Dimension der Einwanderung anbetrifft, liegt Deutschland in keiner wie auch immer gearteten dramatischen Zone.

Eine dramatische Zone hingegen scheint ein Pflaster wie Dresden zu sein. Eine Stadt, die im Rahmen der Wiedervereinigung und der letzten zweieinhalb Jahrzehnte tatsächlich aus der Ruine zurück in die Prachtarchitektur aus der Vergangenheit zurück geholt wurde. Diese Stadt, die sich wunderbar für Fotoserien eignet, wenn man Steine fotografieren möchte, in der man allerdings nach lebenden Motiven suchen muss, die dazu passen. Denn es fehlen die Menschen, die mit dem steinernen Protz korrespondieren. Dort, wo der Ausländeranteil unter die Promillegrenze fällt, dort, wohin Transfermilliarden aus den Rentenkassen flossen, ausgerechnet dort mobilisieren die vermeintlichen Patrioten gegen eine Islamisierung der Gesellschaft. Entschuldigung, wer diesem Unsinn mit Verständnis begegnet, der hat entweder den Verstand verloren oder er folgt einer politischen Programmatik, die nicht minder problematisch ist als die organisierte Xenophobie.

Thomas de Maizière, der gebürtige Rheinländer, aufgrund der Rolle seines Berliner Onkels Lothar zu Zeiten der Wende schnell in den Windschatten der Kanzlerin geraten, hat die Ochsentour durch eine ostdeutsche Sozialisation konsequent hinter sich gebracht. Staatsminister im Kultusministerium in Mecklenburg-Vorpommern, dann Chef der Sächsischen Staatskanzlei, Sächsischer Staatsminister der Finanzen, Sächsischer Staatsminister der Justiz und Sächsischer Staatsminister des Innern. Danach war er Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes. Als Karl Theodor von Guttenberg dem öffentlichen Druck wich, machte Merkel ihn zum Bundesverteidigungsminister, im neuen Kabinett Minister des Innern. De Maizière, Merkels Funktionsmaschine, dreht mit seinen Äußerungen an einer Schraube, die genau die Ursache für wachsende gesellschaftliche Verwerfungen ist. Er führt den Double Standard innerhalb Deutschlands ein. Für die Sorgen im Osten hat er Verständnis, in Duisburg oder Köln fordert er brachiale Härte. Der Putsch, so scheint es, hat längst stattgefunden.