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„Ewig jung ist nur die Phantasie“

In Zeiten, in denen eine Dystopie die nächste jagt, in denen das Gros der Gesellschaft sich nur noch über den Auslöser der nächsten Krise streitet, ist es ratsam, nach anderen Paradigmen zu suchen, die geeignet sind, einen anderen, positiveren Blick auf die Zukunft werfen zu können. Weg von den Pandemien, weg vom neuen Kalten Krieg, weg vom Klimawandel, weg von der Suche nach den geeigneten Schuldigen für das eine wie das andere! Zukunft, so lehrt uns schon der Deutsche Idealismus, findet im Kopf statt. Und ist das, was dort entsteht, von Miseren und Malaisen kontaminiert, dann kann daraus nichts Positives entstehen. Die Betrachtung ist weit von dem unvermittelten Slogan entfernt, den viele kennen, wenn ein Elefant aus dem Areal der bestehenden Verhältnisse unvermittelt den Rat erteilt, man solle doch einfach einmal positiv denken. Das wird nichts, das wissen wir alle, wenn dem nicht eine tatsächliche Perspektive zugrunde liegt.

Grundvoraussetzung für die Wende zu mehr Zuversicht ist die Toleranz gegenüber dem Unausgeprochenen. Wenn die Gefahr besteht, schon bei der gedanklichen Artikulation in einer Kategorie zu landen, die jede weitere Diskussion ausschließt, dann wird das Gedachte nie materialisiert werden können, dann bleibt es bei der Paralyse, dann haben die Dystopien Hochkonjunktur und dann wird es bei dem Elend bleiben, ausschließlich nach Schuldigen zu suchen. Ohne die tatsächliche, und nicht nur die formale Freiheit des Wortes kann es nichts werden mit dem Entwurf einer inspirierenden Zukunft. 

Friedrich Schiller, der große Inspirator des Deutschen Idealismus, hatte einen Blick dafür. E sah den Konnex von Jugend und Zukunft, er wusste um die Notwendigkeit der Gedankenfreiheit, deren Postulat im Don Carlos die Theaterhäuser nicht nur seiner Zeit erschütterte. Und er wusste, dass nur die Phantasie der Schlüssel zu neuen, befreienden Perspektiven sein konnte. „Ewig jung“, so schrieb er, „ist nur die Phantasie. Was sich nie und nirgends hat begeben, das veraltet nie.“ 

Ein Blick auf die gegenwärtigen Zustände vermittelt ein Bild, das eher in die Galerie der Dystopien passt, weil es zu sein scheint, dass die Phantasie nur wenig Beachtung findet. Eingeschlossen und verbarrikadiert in festen Systemen des Denkens, leben Gedanken, die das Phantastische zum Inhalt haben, in gefährlichen Zeiten. Wer ihnen freien Lauf lässt, der riskiert das Bashing der Hyänen aus den Foren sich der selbst bestätigenden Hordenbildung. Das Resultat ist bekannt: Das höchste Gut der Veränderung, das gedankliche Konstrukt einer Zukunft, das die Malaisen des Bekannten hinter sich lässt, ist zu einer gefährlichen Fracht verkommen, derer man sich besser nicht annimmt.

Eine Übung aus Zeiten, die mit dem Titel Aufbruch beschrieben werden kann, begann mit dem schönen Satz: Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich… Heute, in einer Epoche der erschrockenen Erstarrung, dokumentiert die Aufforderung, aus diesem Satz etwas zu formulieren, das ganze Dilemma. Zumeist schweigen die Menschen, denen die Möglichkeit gegeben wird, ihren Gedanken und Wünschen freien Lauf zu lassen, oder sie brechen die Übung nach kurzer Zeit ab und melden zurück, dass das alles sowieso nichts bringe.

Bleibt der mentale Lockdown, verharren die Lager in ihren heimeligen Dystopien, kann es nichts werden mit der befreienden Wirkung der Phantasie. Dann droht das Schicksal veralteter Gesellschaften, die keine Zukunft mehr vor Augen haben.

Soviel Weisheit, soviel Feuer

Don Carlos in Mannheim

Unter dem Motto Macht Geschichte wurden am 2. Juni die jährlichen Schillertage in Mannheim eröffnet. In der Stadt, in der die Räuber uraufgeführt wurden und der deutsche Idealismus seine erste Sternstunde feierte, pflegt man diese Tradition, auch in Zeiten, in denen die Ideale des bürgerlichen Hochgefühls längst verschwommen sind. Mit der Neuinszenierung des Don Carlos wurde in diesem Jahr ein Thema gewählt, mit dem der Autor Friedrich Schiller vom Sturm und Drang zur Klassik reüssierte.

Die zeitgenössischen Gepflogenheiten bei der Inszenierung klassischer Sujets sind mit relativ wenigen Ausnahmen schnell auf den Punkt gebracht: Man versuche das Opulente des historischen Interieurs zu reduzieren auf das Feng Shui der modernen Büros und arbeite ein wenig mit phonetischen Arrangements und Lichteffekten, man transportiere etwas Hochtechnologie in die Veranstaltung und die so genannt moderne Inszenierung hat ihr Signet. Insofern hat der Mannheimer Don Carlos keine neuen Maßstäbe gesetzt. Was hingegen glänzt ist ein lakonischer Stil, der in der Intonation des klassischen Textes genau das leistet, was die optischen Inszenierungsversuche nicht mehr vollbringen: er transportiert den Text in einer Klarheit, die verblüfft.

Schillers Text aus dem Jahre 1787 ist die wohl rasanteste Referenz an die universale Konfliktlinie von individueller Emotion und dem Handeln der Macht, beides antagonistisch verschärft in dem Unterschied der Generationen und der Aporie in der Beurteilung von Gut und Böse, verursacht durch die fluoreszierende Linie unterschiedlichster Motive. Und gerade diese textliche Qualität kommt zum wuchtigen Vorschein durch die lakonische, nicht wie sonst euphorische Proklamation des idealistischen Textes. Die Reduktion des Interieurs auf das profane Erscheinungsbild des XXI. Jahrhunderts, die Stereotypie der Boss Anzüge und die quälende Präsenz von Laptops konfigurierten die Aufführung zu einem Deutungsangebot für die Welt der Broker und Berater wie für die Blaupausenwerkstätten politischer Entscheidungen.

Was die flandrische Unabhängigkeitsbewegung mit der Liebe des spanischen Thronfolgers zu seiner französischen Stiefmutter, der Königsgattin Elisabeth von Valois
zu tun hat oder die Heilige Inquisition mit der Prinzessin von Eboli auf dem Bettlaken des spanischen Königs Philipp II. sind die Schlüsselverstrickungen, die aus Don Carlos eine Folie machen, die das Nachdenken über die Motivationslagen im Lager der Mächtigen so anreichert. Der Irrglaube, das nachfolgende Zeitalter der Vernunft hätte das Spiel der Macht der Emotion und der individuellen Begehrlichkeit entledigt, entpuppt sich als Illusion erster Klasse.

Schillers Don Carlos ist nicht nur einer der Schlüsseltexte des deutschen Idealismus, die Inszenierung anlässlich der Mannheimer Schillertage trägt dazu bei, den Urtext als Quelle zu einem besseren Verständnis der Verstrickungen von Macht in der Moderne wirken lassen zu können.