Schlagwort-Archive: Dominanz

Jenseits der Imperialismen

Die Rechnungen sind zur Genüge bekannt. Die eine Seite wirft der anderen vor, was tatsächlich vorzuwerfen ist, begründet damit aber ein eigenes Handeln, das ebenso zu verwerfen ist. Aus der Ferne und kühlen Blutes betrachtet, gibt es kaum etwas dürftigeres als diese Logik. Was auffällt, ist die Tatsache, dass es immer noch genügend Menschen gibt, die bereit sind, dieser Logik zu folgen. Und die Auseinandersetzungen darüber sind so alt wie der Imperialismus und seine Kriege selbst. Die aggressive, angreifende Seite, verspricht nicht selten, dass damit ein Akt der Befreiung einhergehe und die angegriffene, dass das Recht auf Selbstverteidigung ein hohes Gut sei. Was dabei vergessen wird beziehungsweise bewusst unter den Tisch des Spieles fällt, ist die Tatsache, dass es immer, auf beiden Seiten, um Dominanz und Zugriffsrechte geht. Verlassen Sie sich darauf, egal, was ihnen Krieg führende Parteien erzählen, hinter denen Imperialismen wie der amerikanische oder der russische stehen, es geht um Macht und Einfluss. 

Sich gut zu fühlen, wenn man auf einer dieser Seiten zumindest verbal in den Krieg zieht, gehört zu den größten Trugschlüssen unserer Tage. Dass es zu diesem Krieg gekommen ist, war eine Notwendigkeit im Denken des jeweils eigenen Lagers. Was daran gut sein soll, muss jeder selbst für sich entscheiden, und dass die Imperialisten, Kolonialisten und Bellizisten im eigenen Lager genau die Feinde sind, die zu bekämpfen sind, versteht sich vorn selbst. Wäre das nicht so, würde sich nichts ändern. Wer Stellvertreter in den Krieg schickt, kann selbst nichts gewinnen, unabhängig davon, dass in Kriegen niemand von denen, die in ihnen kämpfen, überhaupt etwas gewinnt.

Ja, das alles hört sich an wie eine bittere Ausweglosigkeit. Ist es aber nicht. Denn das Gestümper der Marionetten, die im eigenen Lager in den imperialistischen Kanon eingestimmt haben, ist allgegenwärtig und es wird nicht mehr lange dauern, bis das Fass zum Überlaufen kommt. Darauf zu setzen, dass in Russland die Revolution ausbricht und sich hier von einer Notstandsmaßnahme in die nächste Entrechtung treiben zu lassen, zeugt von einem Wahrnehmungsdefekt, der das Resultat jahrelanger Indoktrinierung und Bewusstseinstrübung ist, was die Sache nicht besser macht. Die Frage, die für alle, die dem destruktiven Treiben, das sich aus dem imperialistischen Ansatz ergibt, ein Ende bereiten wollen, egal, wo auf der Welt, stellt sich ganz einfach: Was kann ich, was können wir tun, und zwar im eigenen Land und Lebensbereich, um dem immer wieder Kriege produzierenden Imperialismus ein Ende zu bereiten? 

Jeder Verweis auf andere Zonen der Welt ist die pure Ablenkung. Wenn in Russland Journalisten, die einen kritischen Blick auf die Verhältnisse werfen, im Gefängnis landen oder gar irgendwo tot aufgefunden werden, dann ist das schlimm und nie zu akzeptieren. Aber, ehrlich gesagt, die sukzessive Liquidierung eines Julian Assange im eigenen Lebensbereich berührt mich mehr, weil ich mich zu Recht mit dafür verantwortlich fühle. Wenn die ganz Mutigen Putin aufgrund derartiger Verhältnisse einen Faschisten nennen, was dann die Justiz im Fall Assange? Ein Volksgerichtshof?

Die imperialistische Logik ist die Einladung in einen Teufelskreis, der zu nichts führt als zur Beibehaltung untragbarer Verhältnisse und der eigenen Verwirrung. Deshalb geht es darum, sich jenseits der Imperialismen zu versammeln und darüber zu beraten, wie eine bessere Welt auszusehen hat. Erobern wir uns die kreative Energie zurück!  

Umbrüche

Wenn die großen Umbrüche stattfinden, dann bleibt zumeist nichts so, wie es einmal war. In der Erinnerung verklären sich dann die Bilder, vielen Menschen erscheint es dann so, als hätten sie in goldenen Zeiten gelebt und alles, was an Neuem entstanden ist, kann unter diesen Eindrücken nicht mehr imponieren. Nichts ist trügerischer als diese Art von Erinnerung. Sie liegt nämlich unter einem Schleier, der alles verdeckt, was in der Vergangenheit an Dreck, an Unrat, an Schmerz und an Verzweiflung existierte. Die so genannte gute, alte Zeit, entpuppt sich, wenn der realistische Blick die Oberhand gewinnt, als eine Fata Morgana. Zumindest für diejenigen, die sich erfolgreich aus ihr heraus gekämpft haben. 

Denn diejenigen, denen das nicht gelungen ist, die sind schon längst nicht mehr unter den Lebenden. Und, sollten sie es dennoch sein, dann haben sie keine Stimme mehr. Die einzige Gruppe, die zu recht über die goldene Vergangenheit sprechen kann, sind die ehemaligen Gewinner, die sich in Ruhm und Reichtum sonnen konnten, bis das alles zusammenbrach. Doch sie sind in einer verschwindenden Minderheit, wie immer. Das Gros der Gesellschaft muss kämpfen. Das war so in der verklärten Vergangenheit, das ist so während der Zeiten der großen Umbrüche und das wird so sein, wenn sich alles neu sortiert hat.

Umbrüche hat es immer gegeben. Auf der Oberfläche lassen sie sich als etwas beschreiben, das die Dominanz der Kräfte, die für ein bestimmtes Zeitmaß die Entwicklung maßgebliche bestimmt haben, an einem gewissen Zeitpunkt den Zenit erreicht hat. Dann lassen sich neue Kräfte beobachten, die innovativer sind, die mehr Dynamik besitzen und die andere Interessen verfolgen und die sich zum Angriff auf das Bestehende formieren. Zunächst erscheinen die herrschenden Verhältnisse dann als nicht mehr so gut wie allgemein dargestellt, vieles bekommt das Attribut „marode“ und die Eliten vermitteln ein Bild, als seien sie sich des Ernstes der Lage gar nicht bewusst.

Es ist wie eine Wiederholung der Kapitel in den Geschichtsbüchern, in denen die späte Dekadenz von Gesellschaften beschrieben wird. Da steht nur noch das eigene, in Verschwendung und Unmaß badende Wohlergehen im eigenen Fokus, da wird nichts mehr investiert, da findet keine Erneuerung mehr statt, da werden Probleme verdrängt und es wird ein Lied angestimmt, in dem die eigene Glorie auf Ewigkeit besungen wird, obwohl sie längst am Abgrund steht. Die späte Dekadenz am Ende einer Epoche ist das verlässlichste Zeichen für einen gravierenden Umbruch.

Denn während dieses Lärms, der durch die Sattheit und Verschwendung hier wie der wachsenden Not und dem Überdruss gegenüber dem Alten dort verursacht wird, wirken bereits die Kräfte des Wandels. Sie nutzen den Alltag, um die Routinen zu Fall zu bringen, sie erneuern alles, sie reden nicht viel und sie haben mit dem, was auf der großen Bühne passiert, nicht viel im Sinn, weil sie mit der Veränderung des Alltags alle Hände voll zu tun haben. Wenn diese Vertreter einer neuen Ordnung die Bühne betreten, dann ist bereits alles vorbei – für die alte Zeit und deren Prinzipien. Sie kann sich dann verklären lassen, von denen, die damals das Sagen hatten und denen, die an den Schmerz nicht mehr erinnert werden wollen. 

Die neuen Kräfte hingegen werden sich mit dem Neuen selbst, das oft technischer und wirtschaftlicher Natur ist, auseinanderzusetzen haben und dann daran gehen müssen, politisch ihre Interessen zu vertreten, um eine neue soziale Ordnung zu etablieren. In Zeiten des Umbruchs, wenn er denn in vollem Gange ist, bleibt für diejenigen, die ihn betreiben keine Zeit, in der Verklärung des Vergangenen zu verharren. 

Und wer bei der hiesigen Beschreibung bestimmte Bezüge zum Zeitgeschehen gewittert hat, verfügt über eine gute Nase.

 

Die Rolle der Generationen

Beim Aufbau und bei der Entwicklung von Organisationen kommt immer wieder eine Vorstellung auf, die aus den Fehlern der Vergangenheit resultiert. Sie geht davon aus, dass eine bestimmte Generation die Organisation vehement nach vorne bringen, oder langfristig sichern oder im jetzigen Zustand erhalten kann. Dann wird die Karte für eine Generation gezogen und die anderen, die noch vertreten sind, finden kein Gehör mehr. Letztendlich ist so etwas dann eine verhängnisvolle Entwicklung. Das hat auch eine große gesellschaftliche Relevanz. Wenn eine Generation die Geschäfte dominiert, ist bereits mittelfristig großer Schaden abzusehen. Historisch gibt es dafür unzählige Beispiele. Weder die Diktatur der Alten, noch der Pragmatismus der Mittleren und auch nicht die Radikalität der Jungen gewähren die Vereinigung lebenswichtiger Perspektiven. Wer steht für was, und warum sind die drei Generationen, die zumindest gesellschaftlich präsent sind, für eine gute Entwicklung wichtig?

Spätestens als die Proteste gegen den neuen Bahnhof in Stuttgart begannen, wurde deutlich, dass dort eine Generation dominierte, von der gesagt werden kann, dass sie bei Bauende nicht mehr unter den Lebenden weilt. Bei der Abstimmung über die Schulreform in Hamburg verhielt es sich ähnlich. Die über Sechzigjährigen hatten den Ausschlag dagegen gegeben. Bei den Bildungsreformen in den 1970iger Jahren war es umgekehrt. Die in diesem Zusammenhang gegründeten Bildungseinrichtungen wurden mit den damals Jungen exklusiv bestückt, was einen Entwicklungsstillstand von vierzig Jahren bedeutete, weil niemand mehr nachkam. Noch heute leidet unser Schulsystem darunter. Und der Historiker Götz Aly weist sehr profund auf das Ensemble der aufkommenden Nationalsozialisten hin. Es war die mit Abstand jüngste Bewegung der Neuzeit. 

Wenn es darum geht, eine Generation exklusiv zu favorisieren oder andere zu diskreditieren, ist der erste Fahler bereits gemacht. Alles spricht dafür, dass die unterschiedlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und sozialen Skills es vernünftig erscheinen lassen, alles unter einem Dach zu nutzen. In der Gesellschaft wie in Organisationen. Wenn beides funktioniert, existieren in der Regel drei Generationen von Relevanz: Die Jungen, die Mittleren und die Alten.

Die besonderen Stärken der Jungen sind in Zeiten technischer Revolutionierung offensichtlich. Sie kennen in der Regel die neuesten Trends, beherrschen die Methoden der neuesten Technologien, verfügen über die allgemein aktuellen Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik. In bestimmten Zeiten zeichnen sie sich auch durch einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn aus und tendieren zu schnellen, radikalen Lösungen. 

Die Mittleren stehen bei Betrachtungen meistens nicht im Fokus, was ihrer Rolle nicht gerecht wird. Denn sie sind in der Regel die Träger der Macht. Das resultiert daraus, dass sie immer noch im historisch aktuellen Trend liegen und dass sie die Funktionsweisen von Organisation wie Gesellschaft so gut kennen, dass sie in der Lage sind, die wichtigsten Funktionen inne zu haben. Sie sind die Generation, die die Macht ausübt, jedoch zumeist vom Tagesgeschäft absorbiert wird.

Die Alten sind weit weg von neuen Kenntnissen und Methoden, sie sind nicht selten vom Spiel der Macht verschlissen, wenn es ihnen gelingt, sich von den gewonnen Ressentiments zu lösen und wenn sie in der Lage sind, sich von selbst von der Macht zu lösen, dann sind sie eine unschätzbare Bereicherung für das Ganze, weil sie die Dimension der sozialen Auswirkungen jeder organisatorischen wie gesellschaftlichen Handlung abzuschätzen vermögen. 

Vieles spricht für eine soziale Komposition, in der jede historische Phase des gesellschaftlichen Bewusstseins und der gesellschaftlichen Befindlichkeit präsent ist.