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Die Dogs of War erziehen keine Lämmer

So geht es einfach nicht. Aber es geschieht trotzdem. Jeden Tag. Gerade, an einem Sonntag, höre ich die Ausführungen eines Berliner Theologen im Morgenradio, wie er über die Grenze von friedlichem Protest und dem Übergang desselben zu einer Aufforderung zu Straftaten spricht. Nicht, dass nicht jeder Mensch zu jedem Thema seine Meinung sagen dürfte. Einen Fachmann in Sachen Gott und Religion zu einem Grundrecht und dessen Ausübung als Experten zu befragen, grenzt schon an groben Unfug. So ist es jedoch geschehen und so erleben wir es jeden Tag. Entsprechend war auch das Resultat.

Er leitete zum Beispiel aus dem bei den Bauernprotesten häufiger verwendeten Symbol des Galgens, an denen eine Ampel hing, eine Aufforderung zum Lynchen konkreter Personen und verurteilte diese Form des Protestes scharf. Dass die Justiz nicht dieser Meinung war, lässt sich daran ablesen, dass nirgendwo eine Staatsanwaltschaft und keine unabhängigen Rechtspersonen diesen besonderen Aspekt des Protest zum Anlass genommen haben, um Anzeigen zu erstatten oder zu ermitteln. Sie betrachten diese Aktionen als symbolische Handlungen, die als politische Aussagen gemeint waren und verstanden wurden.

Die Signifikanz dieser Episode besteht darin, dass die Form und das Maß der Interpretation in Bezug auf die Ausübung demokratischer Rechte durch Teile der Bevölkerung als harsch und drakonisch bezeichnet werden. Durch die jeweilig politischen Verantwortlichen, durch die meinungsbildende Kommunikationsindustrie wie durch selbst ernannte Experten. Das Phänomen hat seit der Corona-Epidemie absurde Formen angenommen. Widerspruch, so die Devise, ist immer nah an der Aufforderung zum Staatsstreich und der Zerstörung der Demokratie.

Und auch hier sollte nicht vergessen werden, dass ausgerechnet die genannten Vertreter aus Politik, Presse und vermeintlichem Expertentum außenpolitisch einen Verhalten an den Tag legen, dass sie innenpolitisch scharf verurteilen. Da wird eskaliert, da werden Waffen an jeden verkauft, der auf dem Hof erscheint und mit den Scheinen wedelt und da wird kein Gedanke daran verschwendet, zu wieviel Mord und Ungerechtigkeit es führt und – und das ist die Pikanterie an dem Verhalten – welche Rechtsverletzung die Folge ist. 

Wie oft haben wir seit der russischen Invasion der Ukraine gehört, dass es sich bei der Aktion um eine Verletzung des Völkerrechts handelt? Ich habe einmal grob überschlagen, die Formulierung ist mittlerweile mehr als 25.000mal allein aus Kanälen wie der Tagesschau oder dem heute journal ertönt. Und, bleiben wir einmal beim Recht, allein die gestrigen Attacken des Jemens durch amerikanische wie britische Bomben, Drohnen und Raketen, die den Zweck haben, den Seeweg für Transporte durch das Rote Meer gegen Angriffe vom Territorium des Jemen zu sichern. Mit dem Völkerrecht hat diese Intervention in keiner Weise etwas zu tun. Warten wir einmal ab, ob und wann in der politischen Kommentierung, in der Berichterstattung oder in einer Expertenanalyse dieser Sachverhalt benannt wird. Nehmen Sie ruhig ein dickes Buch zur Hand. Und warten Sie bitte nicht bis zum jüngsten Tag.

Die Stabilität eines politischen Systems hängt unter anderem davon ab, inwieweit es gelingt, das Handeln derer, die Funktionen ausüben und derer, die sie kommentieren, in Einklang steht zu dem, was die Bevölkerung von diesen erwartet und umgekehrt, d.h. inwieweit die Appelle an die Bevölkerung in Hinblick auf das der Situation entsprechende Verhalten auch von denen vorexerziert wird, von denen die Appelle kommen. Die Dogs of War, wie es im Englischen so schön heißt, erziehen keine Lämmer. Diesen einfachen Zusammenhang sehen sie nicht.

The Dogs of War

Der Dollar steigt, der Euro fällt, der Rubel rollt in den Keller.

Folgst du dem Geld, so wird das Bild erheblich heller.

Wer Waffen anwendet, wer Waffen liefert, spielt das Spiel.

Die Dogs of War sitzen in ihren Domänen, in Ost und West, in Nord und Süd, und lecken sich lüstern die Lippen.

Die Kurse steigen, die Preis ist hoch.

Den anderen Preis, unvergleichlich höher, zahlen andere.

Sie sitzen in den Kellern, sie liegen zerfetzt auf den Feldern und kennen kein Morgen mehr.

Big Business bedeutet Macht, und je größer diese ist, desto mehr sterben die Lämmer.

Der Schein, täglich produziert, vermittelt Erklärungen, die wenig Wahrheit vermitteln.

Die Wahrheit stirbt mit dem ersten Schuss.

Angst schlägt um in Hass, und Hass belebt das Geschäft, der Hass ist die Währung des Krieges. 

Die Macht bedient sich kleiner Marionetten, die auf der Bühne stehen, die nicht mehr flüstern, sondern brüllen, je höher die Aktien stehen.

In der Logik der Vernichtung ist nichts Gutes, für das sich zu kämpfen lohnt.

Da gibt es keine Seiten, nur die zwischen Opfern und Gewinnern.

Wer am Tod verdient, gehört zu den Dogs of War. 

Existenzielles am Heiligen Abend 1957

Frederick Forsyth. The Shepherd

Zuweilen ist für einen Schriftsteller nichts hinderlicher als ein Welterfolg. Darunter haben viele von ihnen gelitten und immer wieder hat das Messen der Nachfolgewerke am großen Erfolg einen kontraproduktiven Effekt auf das weitere Schaffen gehabt. Entweder waren es regelrechte Blockaden oder, auch das nicht minder bedauernswert, es reduzierte den Drang, etwas Neues zu schaffen und prolongierte das Mühen um eine ähnlich erfolgreiche Kopie. Nun käme das etablierte literaturwissenschaftliche Kolleg nie auf die Idee, den gelernten Journalisten Frederick Forsyth zu den Schriftstellern von Rang zu zählen, aber näher hinschauen sollte man schon, denn auf seinen Spionage-Weltbestsellerthriller Der Schakal folgten auch kleinere Schriften, die durch eine hohe epische Qualität und Handlungen jenseits der die Welt bewegenden Geheimdiplomatie überzeugen.

Frederick Forsyth, geboren 1938 in Ashford, Kent, England, war, bevor er den Beruf des Journalisten erlernte, von 1956 bis 1958 Pilot bei der britischen Luftwaffe, der Royal Air Force. Mit 19 Jahren erhielt er sein Patent und war damit der jüngste Pilot. Danach arbeitete er als Reporter für die Nachrichtenagentur Reuters, für die er in England, Frankreich, Spanien, Belgien, der DDR, der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakei unterwegs war. Vor allem seine Berührung mit der internationalen Politik an den Nahtstellen des Ost-West-Konfliktes brachten ihm die Kenntnisse, die er in seinen späteren Romanen umsetzte. Mit Der Schakal landete er 1972 seinen größten Erfolg. Nur drei Jahre später erschien eine Art Weihnachtsgeschichte unter dem Titel The Shepherd, die auf seine Zeit als Pilot bei der Royal Air Force zurückgreift.

Die insgesamt auf 120 Seiten erfasste Erzählung hat als Handlungsrahmen den Flug eines britischen Piloten von einer Basis im deutschen Niedersachsen nach England. Es ist der Heilige Abend 1957, im Cockpit sitzt ein blutjunger Pilot, der feststellen muss, dass sämtliche elektronischen Instrumente nach Verlassen der Maschine des europäischen Festlandes ausfallen. Den weiteren Verlauf der Handlung kann und muss man den Leserinnen und Lesern empfehlen, auch wenn die Handlung gar nicht das ist, was den Text ausmacht. Vielmehr geht es um die Vermeidung sprachlicher Redundanz und den Einsatz einer suggestiven Metaphorik.

Was der vom Welterfolg ereilte Autor im Alter von 37 Jahren mit dieser Erzählung inszenierte, ist erwähnenswert, weil es einer Weigerung seiner Reduktion auf den Thriller-Intendanten gleichkommt. Mit einer sehr restringierten, aber zutreffenden Sprache, die sich terminologisch auf die Sphären von Technik, Geographie und Naturbeschreibung beschränkt, gelingt es Forsyth, in der Stille des Heiligen Abends einen non-verbalen Diskurs über das Verhältnis des Individuums zwischen Natur, Technik und seiner sozialen Systeme zu führen. Die Bilder, die Forsyth in diesem Kontext einsetzt, sind so stark, dass sie keiner weiteren Deutung bedürfen, um die Botschaft zu dechiffrieren. Wenn die sozialen Systeme sich auf den Zustand der Stille einigen und die Technik versagt, dann bleibt nur die Rückbesinnung auf die eigenen Fähigkeiten und die Aktivierung der Gattungsgeschichte, um das Überleben zu erreichen. Natürlich ist es gewagt, im Zeitalter der positivistischen Weltverklärung auf eine existenziell philosophische Haltung zu verweisen, die primordial ist zum Überleben.

Auch wenn Der Schakal, Cobra, The Afghan, Dogs of War, The Odessa File und wie die Erfolge alle heißen das Bild des Autors Frederick Forsyth geprägt haben mögen, mit der kleinen Erzählung The Shepherd hat er bewiesen, was er wirklich kann.