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Diversität: Scheinheilige Inquisitoren und die Potenziale der Gestaltung

Es existieren Denkweisen, die zu verheerenden politischen Folgen geführt haben und deren Ende nicht absehbar wäre, wenn nicht ausgerechnet dort, wo es am wenigsten vermutet worden wäre, seit langem bereits das Produktive der Idee umgesetzt würde. Zudem scheint die Missinterpretation der ursprünglichen Idee vor allem in den individualistisch ausgeprägten Gesellschaften geradezu prädestiniert zu sein. Dort hat ihre praktische Handhabe nahezu zum Totalschaden der sie aufgreifenden politischen Bewegung geführt. Die Rede ist von dem Gedanken der Diversität.

Zum Massenphänomen wurde er in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts und er wurde im Westen in erster Linie eingeschränkt auf den Diskriminierungsfokus. Man kümmerte sich ausschließlich auf die Schikanierung, Behinderung und Vergewaltigung so genannter Minderheiten. Diese festzustellen war wichtig, das Register allerdings wie eine Monstranz vor sich herzutragen und als Verdienst der Diskriminierten darzustellen gehört wohl zu den verheerendsten Fehlern, die im Lager derer, die sich für Emanzipation aussprachen, in der Neuzeit jemals begangen wurden. Nicht nur, dass in Jahrzehnten relativ wenig in Bezug auf die Gleichstellung erreicht wurde, sondern vor allem hinsichtlich der politischen Lähmung. Der große Paradigmenwechsel von der vorherigen Zeit, in der soziale Ziele und die damit verbundene politische Bewegung dominierten, und der Idee der Anti-Diskriminierung war der vom Kampf zum Opferdasein. Geändert hat es nichts. Noch schlimmer: jetzt, in der Krise, ist Hochsaison für Rassismus, Chauvinismus und die damit verbundene Diskriminierung.

Während in Europa die Mahnwachen dominierten, existierten in Asien bereits regierungsgeförderte Programme, die aus der Chance, nicht aus dem Problem(!), der kulturellen Diversität regelrechte Personalentwicklungsprojekte machten, um die Kommunikation und Kooperation untereinander zu verbessern und produktive Synergien zu schaffen. Da wurden indische Hindus zu Projektmanagern im schiitischen Iran, syrische Sunniten moderierten Reformprozesse auf den katholischen Philippinen, indonesische Muslime bildeten Teams mit japanischen Kollegen und vietnamesische Beamte leiteten Teams in Sri Lanka. Zumeist waren es Regierungsprogramme und das Ergebnis ist nicht nur die Kompetenz, die dadurch vermittelt wurde, sondern eine sich in Funktion und Amt abzeichnende Generation von Politikerinnen und Politikern, die etwas breiter aufgestellt als die aus den klassischen westlichen Sozialisationsschemata.

Zur gleichen Zeit, als das kollektive Lamento aus einer Diskriminierung per se Leistung und Verdienst machten, begannen international operierende Firmen damit, eigene Forschungen darüber anzustellen, welche interkulturellen Kompositionen zu einer Steigerung der Gestaltungspotenziale führen könnten. Die Ergebnisse liegen vor und sie haben seit langem Einzug in das Design und Setting von internationalen Projekten gefunden. Das Fazit: Interkulturalität kann produktiv sein und erhöht die Chancen, positiv zu gestalten.

Jetzt, in der Krise, zeigt sich, wohin die Dominanz des Leidensgedankens führen wird, nämlich zur Restauration des Zustandes, der am Anfang stand. Während in anderen Teilen der Welt und in Sektoren der Privatwirtschaft an den positiven Seiten der Idee gearbeitet wurde, hat sich die politische Bewegung nahezu in einer sektiererischeren Leidensgeschichte verwoben, die Niederlagen garantiert. 

Für die politische Bewegung ist es überfällig, zu demonstrieren, dass Diversität einer Monokultur in der komplexen Kommunikations- und Kooperationsstruktur einer vernetzten Welt vorzuziehen ist. Es ist zu zeigen, wie gut das funktionieren kann, vor allem anhand der unterschiedlichen Kernkompetenzen, die, vernetzt, ganz andere Ergebnisse zu erbringen in der Lage sind wie nur die eine, im Heimatland so bevorzugte. Ja, alle Länder sind verschieden, und es ist immer ein guter Rat gewesen, das anzuerkennen und die vorgefundenen Spezifika nicht ausschließlich mit dem eigenen Maßstab zu begutachten. Letzteres ist allerdings der momentane Standard vor allem auch derer, die sich als Kämpfer gegen die Diskriminierung positionieren. Das ist ein Widerspruch in sich. Die Konsequenz kann nur heißen, sich von den scheinheiligen Inquisitoren zu trennen und endlich zu beweisen, dass die Idee der Diversität eine gestaltende ist.

Das Wesen der Korporation

Es reicht nicht aus, eine Institution zu gründen, um sie zu einer wirksamen Akteurin des Geschehens werden zu lassen. Doch der Irrglaube herrscht oft in der technokratischen Welt. Den Buchhaltern der gegenständlichen Bilanzen ist es genug, ein Kästchen auf einem Blatt Papier zu haben, das die Institution und ihren Zweck darstellt. Im Appendix mag dann noch stehen, wer in dieser Institution versammelt sein muss, damit sie ihren Zweck erfüllt. Das ist formal wichtig und richtig, aber damit fängt die Arbeit erst an.

Institutionen sind die Organisation unterschiedlicher Perspektiven mit dem Ziel, sie zu einer bestimmten Wirkungsrichtung zu vereinen. Das können unterschiedliche professionelle Sichtweisen sein oder unterschiedliche Gruppeninteressen. Der Unterschied gehört zum Wesen der Korporation, aber er muss allen Beteiligten deutlich sein. Die unterschiedliche Perspektive ist es gerade, die innerhalb der Institution die Bereicherung darstellt. Sie als Abweichung zu bezeichnen heißt, den Zweck der Institution als bereits erfüllt zu unterstellen.

Der Diskurs innerhalb der Institution, der, wie gesagt, unterschiedliche Sichtweisen wie Interessen zum Thema hat, muss geleitet werden von dem Konsens der formalen Zweckbestimmung. Das erscheint zunächst als ein Widerspruch, weil die Subjektivität der einzelnen Akteure zumeist zum dem Schluss verleitet, gerade ihre Sichtweise entspräche dem Zweck der Institution. Institutionalisierung jedoch ist der formale Rahmen für eine Meinungsbildung aus Diversität heraus. Das Sammeln verschiedener Aspekte, die die den Zweck der Institution zu stützen vermögen, ist die Arbeitsweise der institutionellen Konstituierung.

Dieser Prozess bezeichnet das Wesen der Korporation wie das Wesen der Institution und er ist analog und er verhält sich analog zu den Funktionsbedingungen der Kommunikation. Letztere funktioniert nur, wenn alle Seiten mit einer gemeinsamen Intentionalität ans Werk gehen. Nur, wenn klar ist, dass alle Beteiligten, die am Prozess der Kommunikation teilnehmen, den Willen haben und signalisieren, dass sie trotz unterschiedlicher Voraussetzungen eine Verständigung wollen, kommt Kommunikation zustande. Und genauso ergeht es der Institution. Sie wird nur dann ein wirksames Instrument der Zweckbestimmung, wenn die internen Teile, d.h. die unterschiedlichen personifizierten Aspekte innerhalb der Institution daran interessiert sind, den Zweck der Institution zu unterstützen und dieses für alle vernehmlich signalisieren. Alles andere sind Machtkämpfe auf der Strecke, die das Ziel sabotieren. Die Aufgabe institutioneller Sinnhaftigkeit wird am besten illustriert durch die Dominanz des Partikularismus. Er ist der Leichengräber der Korporation.

Mit der Gründung einer Institution ist es nicht getan. Der Prozess einer geeigneten Strategie und Programmatik wird muss gehen über den Diskurs. Dabei sind sowohl die unterschiedlichen Sichtweisen der Interakteure zu betrachten wie die unterschiedliche Sozialisation und das damit verbundene Rollenverständnis zu klären. Beides ist ein langer Prozess, der oft als unnötig und zeitraubend diffamiert wird. Die Diagnostik von fehlgeschlagenen Institutionen führt jedoch immer wieder zu genau diesem Defizit: Die mangelnde gedankliche Klärung der subjektiven Sichtweisen und unterschiedlichen Rollenverständnisse. Dass Institutionen in der Regel ins Leben gerufen werden, damit sie gleich arbeiten und funktionieren, macht die Sache nicht leichter, weil die Investition in die Klärung der eigenen Disposition bei laufenden Geschäften erfolgen muss. Aber ohne geht es eben auch nicht. Wer das Wesen der Korporation ausblendet, wird schwerlich Erfolg haben bei dem Versuch, eine solche, die funktioniert und eine neue Qualität ausmacht, ins Leben zu rufen und am Laufen zu halten.

 

 

Der heiße Tanz der kollektiven Charaktere

Zugegeben. Vor allem das taktische Konzept der deutschen Mannschaft gegen Algerien hat eine gewisse Traumatisierung ausgelöst. Die auch auf dieser Blog-Seite dokumentierte Expertise hat dieses Phänomen eher noch beflügelt. Genauso wie die Tatsache, dass der Bundestrainer an seiner Lesart des zu spielenden Fußballs festhalten will. Das ist die eine, weniger amüsante Seite des Turniers, und die Fragen, die sich daraus ergeben, sollten uns die Freude am Rest der Veranstaltung nicht nehmen. Ganz im Gegenteil. Auch der gestrige Abend und die folgende Nacht lieferten beherzte Duelle, gespickt mit latenten und offenen Botschaften und voller Leidenschaft und Herzblut.

Und so, als gäbe es tatsächlich ein Regiebuch für die Mythendeutung während dieses Turniers, waren die Parts so klar umrissen, als seien sie nicht Ergebnis der Realität, sondern etwas Artifizielles. In den letzten beiden Begegnungen des Achtelfinales trafen Argentinien und die Schweiz sowie Belgien und die USA aufeinander und natürlich siegten Argentinien und Belgien. Vermeintlich natürlich und außergewöhnlich knapp, weil in beiden Partien gleichwertige Gegner aufeinandertrafen, die alles in die Waagschale warfen. Alle blieben dem Trend der WM treu, mit Passion zu spielen. Und so wie sie es taten spielten sie tatsächlich, weil es bei einer Niederlage kein Morgen mehr gibt.

Dabei präsentierte sich Argentinien als ein Teil Amerikas, dessen Charakter wohl mit am stärksten von den europäischen Immigranten geprägt wurde, vor allem von denen, die im Turnier das alte Europa repräsentierten. Sie kombinieren das Feuer ihres Kontinents mit den Fertigkeiten der Immigranten, von der Mentalität schwankten sie zwischen beiden Polen, was sie verletzlich macht und nicht umsonst auch im richtigen Leben dazu führt, dass Buenos Aires zur Weltmetropole der psychoanalytischen Heilung avancierte. Die Schweiz dagegen agierte wie eines der nach ihr benannten Uhrwerke. Präzise, unbeirrbar, schlagfest. Das Pendant zu dieser funktionalen Kühle lieferten die Immigranten aus den warmen, merkantilen Zonen dieser Welt und das Team vermittelte das Bild einer Schweiz, um dessen Konturen noch heftig gestritten wird. Dem Deutschen aus dem Markgräflerland gelang es, aus einer skandalisierten Ethno-Mischung eine festgefügte Meritokratie zu schmieden, der es zum Schluss an Glück, aber nicht an Zukunft fehlte.

Und dann kamen Belgien und die USA! Marc Wilmots, das einstige Schalker Kampfschwein, ist dabei, dem neuen Belgien, das seit eh und je zerrissen und immer wieder ohne Regierung ist, eine neue Seele einzuhauchen. Wallonen wie Flamen harmonieren zusammen mit den Immigranten aus den ehemaligen Kolonien und auch in diesem Team zeigte sich, dass die Grundannahme, Diversität als Chance und Potenzial zu sehen mehr verspricht als deren Problematisierung. Vielleicht deutete das belgische Team an diesem Abend mehr an, als nur Fußball. Vielleicht ist in diesem oft belächelten Land mehr an europäischer Perspektive vorhanden als so mancher Monolith glauben will. Und dann noch die USA! Wieder ein Deutscher, dem es vergönnt war, seine Begeisterung einem Team zu vermitteln, zu dessen nationalen Grundqualitäten der Enthusiasmus, die Juvenilität und der Spirit gehören, gemäß einer Zusammensetzung aus unterschiedlichen Immigrationswellen zu aktivieren und auf den Platz zu bringen. Sie gingen unter, knapp, mit fliegenden Fahnen, aber ungebrochen, wie es sich für Nationen, die vom Glauben an ihre Zukunft leben, eben gehört.

Es waren wunderbare Fußballspiele, die den heißen Tanz der kollektiven Charaktere zum Ausdruck brachten, die unterhaltsam und spannend waren und deren Akteure Sympathie ausstrahlten. Da spielte kaum noch eine Rolle, wer unterlag oder gewann. Das war großer Fußball, dem verdient die Nacht gehörte.