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Globale Politik: Alles endet dort, wo es anfängt!

Es ist gut, Menschen unterschiedlicher Biographien zu kennen, die bereit zu einem Austausch sind, ohne gleich in den Habitus zu verfallen, der als der momentan gesellschaftlich herrschende beschrieben werden könnte: dem der Rechthaberei und der Diskreditierung der Andersartigkeit des Gegenübers. Aber es gibt sie noch, diese Kreise. Und jeder, der in solchen Kreisen verkehren darf, empfindet es aufgrund der täglich erlebten Kontaminationen des sozialen Miteinanders als eine Erholung, ja, als ein Privileg. 

Nicht, dass es dort keine Meinungsunterschiede gäbe. Unterschiedliche Biographien bedeuten unterschiedliche soziale Kontexte, andere Kulturen, verschiedene Religionen und diverse politische Denkweisen. Einigt man sich allerdings darauf, dass man sich nicht nur gegenseitig zuhört, sondern auch, dass man die Meinungen und Ansichten des Gegenübers mich bewertet, sondern zu verstehen versucht, dann erwachsen daraus Konsequenzen, die als eine Bereicherung betrachtet werden müssen. 

Denn in einem solchen Kontext mit einer solchen Vereinbarung lernt man zuzuhören, man erfährt vieles über die Wege, die zu der Betrachtungsweise führten und es erwächst etwas, das von der momentan die Köpfe in Brand setzenden, von einem aufmerksamkeitsgetriggerten Journalismus so gerne als Defätismus oder Unterwerfungsgestus diskreditierten Verständnis. Die logische Schlussfolgerung kann überall beobachtet werden: Wer nichts versteht, gehört zu den Guten.

Aber bleiben wir bei dem Kreis derer, die ihre Sicht aus der Perspektive unterschiedlicher Biographien darlegen und sich gegenseitig zuhören. Denn unabhängig von den tatsächlich unterschiedlichen Sichtweisen und Bewertungen kommt dort in der Regel etwas zum Vorschein, das zumeist verwundert, aber letztendlich doch logisch erscheint. Denn, unabhängig von Kontinent, Kultur, Glauben und dem politischen System, in dem die Teilnehmer dieses Kreises leben, sie treffen sich bei Grundannahmen über die Notwendigkeiten, die existieren, um ein vernünftiges, für alle akzeptables und bereicherndes Zusammenleben führen. 

Wer glaubt, dass die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens einzig und allein in seiner eigenen politischen Kultur erkannt und erwachsen sind, hat weit gefehlt. Der Diskurs der aus allen Kulturen Zusammengewürfelten führt zu der Erkenntnis, dass es mehr Gemeinsamkeiten gibt als angenommen und dass, sollten sie es wagen, ein Zusammenleben gar nicht so schwer wäre, wie es bei der Akzeptanz der tatsächlichen geopolitischen Konstellationen zu sei scheint. Relativ schnell fällt auf, dass der Wunsch der verschiedenen Mächte, andere zu dominieren zu dem führt, was besonders in jüngster Zeit um sich greift und die Welt als eine blutrünstige, sich gegenseitig als Bedrohung empfundene Konstellation begreift. 

Dass Imperialismen eine zweischneidige Angelegenheit sind, ist allgemein bekannt. Ihre Tendenz, zu vernichten und zu bedrohen dominiert, aber sie schaffen auch Bedingungen, auf denen nächste Schritte des Zusammenlebens basieren. Das, was geschehen ist, ist irreversibel. Und vielleicht ist es eine der Botschaften aus den Geschichtsbüchern, die sich die Gutmeinenden zu Herzen nehmen sollten: Für die Verbrechen der Vergangenheit existieren keine Ausgleichskonten. Das einzige, was zählt und auf die Zukunft tatsächlich einzahlt, sind die gemeinsamen zivilisatorischen Gewissheiten.

Alle Versuche, die Sünden der Vergangenheiten in ein Zukunftsprojekt mit aufzunehmen, haben revisionistische Kräfte genährt, die irgendwann so stark waren, dass sie den Anlauf zu einer neuen Zivilisation zunichte gemacht haben. Alles endet dort, wo es anfängt! Und diejenigen, die das aus ihrer jeweiligen Sicht begriffen haben, werden diejenigen sein, die in der Lage sein werden, ernsthaft über ein Zukunftsprojekt zu reden, das den Namen verdient. Die Rechthaber, die Diskriminierer, die Besserwisser und Vertreter egal welcher Imperien, werden das nicht zustande bringen. Soviel ist gewiss.  

Bei Mythos Mord

Jetzt haben wir die Quittung. Rassismus und Faschismus sind mitten unter uns. Das Schlimme dabei ist, dass die Phänomene nicht mehr politisch lokalisiert werden können. Aus nahezu jedem politischen Lager kommen Sätze, die über Jahrzehnte längst nicht mehr als salonfähig galten. Heute sind sie es. Und zwar in einem Maße, dass es nicht mehr zu ertragen ist. Das ist in vielen Ländern Europas so, in Deutschland ist es eine ausgewachsene Katastrophe. Das Land, das aus seiner suizidalen, mörderischen und neurotischen Geschichte gelernt zu haben schien, ist genauso wenig immun gegen die zivilisatorische Pest wie woanders. Mitunter sind die Symptome noch schlimmer.

Woher stammt das kontinuierlich Barbarische in diesem Land? Es existieren Erklärungsansätze, die alle einige Gramm Wahrheit erhalten, historische, psychologische, soziologische, politische und sogar ökonomische. Und alle liefern wertvolle Erkenntnisse. Aber dennoch! Sind sie mächtig genug, um die Inkompetenz als Nation in einer zivilisierten Welt zu erklären? Oder ist doch alles auf den Ur-Mythos der Deutschen zurückzuführen? Auf den meuchlerischen Mord an dem einzigen positiven Helden, den das Land jemals kannte?

Siegfried, der den Rhein herunter fuhr, um es bis nach Island zu schaffen, die Quelle der nordischen Erkenntnis, um nach seiner erfolgreichen Rückkehr irgendwann in der Nähe der heutigen Kläranlage der BASF von dem Verräter Hagen dahingemetzelt zu werden und einen eines Helden unwürdigen Tod zu sterben. Ist dieser Siegfried und sein unrühmliches Ende die Hypothek, die dazu geführt hat, an Erlöser zu glauben, obwohl bekannt ist, dass sie kläglich scheitern werden? Geht es nur um den Rausch im Flow, der mit der tiefen Depression nach dem Sturz bezahlt wird? Oder ist das auch nur eine Erklärung wie vieles andere, das diesem Land aufgrund seiner zahlreichen mächtigen Ränder attestiert, zwar das Zeug zu genialen Gedanken zu haben, aber keinerlei Kompetenz in Sachen Staatsführung und Demokratie?

Von welcher Perspektive auch betrachtet, der öffentliche Zugang zum Giftschrank des zivilisatorischen Untergangs war immer zugänglich, und daran hat sich nichts geändert. Und vielleicht ist es an der Zeit, die deutsche Binnensicht einfach aufzulösen und nach anderen kulturellen wie staatlichen Modulen zu suchen, die die ätzende Abhängigkeit vom Totalitarismus auflöst. Was dieser Kulturraum benötigt, ist vieles. Auf jeden Fall ein langes und zähes Training, um die Fähigkeit zu einem tatsächlichen und wahrhaftigen gesellschaftlichen Diskurs zu erlangen. Das kollektive Schweigen und die passive Betrachtung der aktiven Schreihälse haben zu dem Debakel geführt, in dem wir uns befinden. Es darf keine Angst geben vor dem Streit und den daraus resultierenden Wunden. Nur Ensembles, die es verstehen, sich zu streiten, erlangen die Fähigkeit, politisch zu überleben. Nur wenn der legendäre „Kleine Mann“ es lernt, dem eloquenten Rhetor der Verführung zu widersprechen, wird es in diesen Breitengraden zu Veränderungen kommen.

Gesellschaftliches Sein ist kein Schauspiel, das man betrachten kann, ohne daran teilzunehmen. Das ist die Lektion, die diese vermeintliche Nation nicht gelernt hat. Nur wer für das soziale Gebilde, in dem er sich bewegt, leidet oder bereits gelitten hat, lernt das Erreichte zu lieben. Aufgrund der Heimtücke, die uns der Hagen hinterlassen hat, ist es gekommen, dass uns andere das gaben, was wir brauchten, ohne dass wir es schätzten, oder das nahmen, was wir liebten, ohne wir es wussten. Ein Heraushalten ist keine Option. Es geht um Sein oder Nicht-Sein! Begreift das endlich!

Das Absingen schmutziger Lieder aus der Ferne

Marshall McLuhans zentrale Botschaft sei noch einmal auf den Prüfstand gelegt: Das Medium ist die Botschaft! Vieles spricht dafür und wenn dem so ist, dann trifft das genauso auf die sozialen Medien zu. Die Faszination, die sie ausüben, ist die nahezu banale Bedienung und die Überwindung von Raum und Zeit. So können nicht nur tatsächliche, sozial unmittelbar entstandene Kontakte gehalten und gepflegt, sondern auch zufällige, artifizielle Beziehungen hergestellt werden. Plötzlich sind die einzelnen Teilnehmer nicht mehr angewiesen auf die Möglichkeiten wie Barrieren einer direkten Begegnung. Ein feuchter Händedruck, olfaktorische Penetranz, ein unsicher Blick oder eine quäkende Stimme, das alles belastet nicht mehr bei der Kontaktaufnahme und es verlangt ganz andere Fähigkeiten, die eine oder andere individuelle Malaise in der virtuellen Welt zu dechiffrieren.

Das Eigentliche, worüber jedoch reflektiert werden muss, das ist die Reduktion der sozialen Komplexität, die das soziale Medium herstellt. Da geht es schlicht um binäre Entscheidungen über Profanes. Mögen oder Nicht-Mögen. Da stellt jemand ein Bild von einem Essen auf seinen Account, und schon reagieren die Freundinnen und Freunde darauf mit einem Mögen oder Nicht-Mögen. Im direkten sozialen Kontakt wäre eine solche Disposition zweifelhaft. Wer fragt schon, wenn ihm sein Essen serviert wird, die sich in der Nähe befindlichen Menschen, ob ihnen das gefällt, was er auf dem Teller hat? Zumindest würden einige Umstehende ihr Befremden zum Ausdruck bringen. Die Reihe lässt sich fortsetzen, zum Beispiel das Posten von Selfies. In der direkten sozialen Konfrontation wäre das Risiko, eine Debatte über die eigene Eitelkeit auszulösen, viel zu groß.

Doch die eigentliche Veränderung, die durch die sozialen Medien erfolgt, ist die Veränderung des Diskurses in eine Abfrage reflexartiger Zustimmung oder Ablehnung. Durch die Reduktion von Komplexität auf Mögen oder Nicht-Mögen verschwindet die Auseinandersetzung um komplexere Lebensperspektiven nicht nur aus den Köpfen, sondern es sinkt auch die Fähigkeit, dieses zu tun. Diejenigen, die mit den sozialen Medien, deren Fähigkeit, die einzelnen Mitglieder mikroskopisch auszuspionieren hier nicht betrachtet werden soll, aufwachsen, haben in einem echten Dialog, der nicht nur aus einem sozialen Konsens besteht, keine Chance. Wer die Möglichkeit des Widerstandes gegen die eigene Meinung oder den eigenen Standpunkt nicht kennt, der hat auch nicht gelernt, um ein Thema in verschiedenen Variationen zu kreisen, die Perspektive zu verändern und, das wohl wichtigste, sozialem Druck standzuhalten.

Die sozialen Medien sollen damit nicht verdammt werden. Sie sind nicht mehr wegzudenken. Aber sie sollten mit ihrer verheerenden Wirkung auf die Diskursfähigkeit der ganzen Gesellschaft nicht unterschätzt werden. Ein Indiz für die Unterlassung kritischer Sicht und die Ergreifung notwendiger Maßnahmen dagegen ist das tatsächliche Schwinden kontroverser Betrachtungen. Genauer gesagt, die unterschiedlichen Standpunkte verschwinden nicht, aber die Fähigkeit, sich in einer harten, aber sozial akzeptablen Form darüber auseinanderzusetzen. Mit der Abnahme der Fähigkeit, sich sozialem Druck zu stellen und die eigenen Motive freizulegen und offen zu verteidigen, ist die Fähigkeit der Diskreditierung und Diffamierung gestiegen. Um es deutlich auszudrücken: Das Absingen der berühmten schmutzigen Lieder aus der Ferne ist der neue Weltsport geworden, während der Streit mit dem vis-a-vis kaum noch beherrscht wird. Das gilt im Privaten wie in der Öffentlichkeit, das betrifft den berühmten kleinen Mann wie den Amtsträger. Und das wirkt schlimmer als militärisches Equipment. Das kommt zur Geltung, wenn der Diskurs misslungen ist.