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Gemeinsame Werte mit einer Diktatur?

Verteidigungsministerin von der Leyen hat in einer schneidigen Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz die Politik der Bundesregierung klar umrissen. Sie anerkenne die Aufforderung der USA, sich an den Kosten des Bündnisses adäquat zu beteiligen. Das bedeute, so wie gleich Fachleute ausrechneten, die Erhöhung des bundesrepublikanischen Wehr-Etats um 30 Milliarden Euro. Des Weiteren verwies sie darauf, dass es sich aus ihrer Sicht bei der NATO nicht nur um ein militärisches Zweckbündnis, sondern um eine Wertegemeinschaft handele. Damit sind, zwar nicht direkt erwähnt, aber in anderen Kontexten immer wieder genannt, die mit der Demokratie verbundenen Werte wie Meinungs- und Pressefreiheit, Koalitionsrecht etc. gemeint. Das Attribut der Wertegemeinschaft angesichts der gegenwärtigen Entwicklung einiger NATO-Staaten zu bemühen, ist entweder töricht oder ein ideologisches Manöver. Letztere gehören immer mehr zum Sortiment der NATO-Kommunikation und verweisen auf einen eisigen Zustand.

Bekanntlich ist die Türkei ein NATO-Mitglied. Bekanntlich hat die Türkei im Syrienkrieg zunächst den IS unterstützt. Bekanntlich fliegt die Türkei auf eigenem Territorium Luftangriffe gegen kurdische zivile Ziele. Bekanntlich operiert die Türkei völkerrechtswidrig auf syrischem Staatsgebiet militärisch. Bekanntlich wurden in den letzten 12 Monaten in der Türkei die Justiz, die Bildungsinstitutionen sowie die Presse nach faschistischem Muster gesäubert. Bekanntlich steht die Türkei vor einem Referendum, das die diktatorische Macht des Präsidenten sanktionieren und die Todesstrafe wieder einführen wird. Bekanntlich gilt für NATO-Mitglieder der Bündnisfall.

Und der Regierungschef dieser Türkei kommt in die Bundesrepublik und mietet im rheinischen Oberhausen eine Halle an, in der er ungestört und unter Polizeischutz eine Werbeveranstaltung für die anstehende, die Diktatur besiegelnde Verfassung macht. Alle, die sich angesichts ihres Glaubens an demokratische Rechte an den Kopf fassten und fragten, wie so etwas sein könne, antwortete man in den Nachrichtensendungen, Yildirim hätte die Halle als Privatmann gemietet, da könne man nichts machen. So so, als Privatmann darf man in die Bundesrepublik einreisen, eine Halle mieten und dort diktatorische Ziele preisen, vor einer Bevölkerung, die hier lebt und tief gespalten ist? Mit Verlaub, das ist keine wehrhafte Demokratie, das ist Kapitulation vor dem eigenen Versagen. Selbst die schlimmsten Appeasement-Politiker in der Faschismusgeschichte hätten sich solche Bolzen nicht erlaubt. Und alle, die im Kampf gegen den Faschismus mit ihrem kleinen Leben bezahlt haben, drehten sich im Grabe um, wenn sie sähen, was so alles wieder geht im Land des „Nie wieder!“.

Zurück zur Münchner Sicherheitskonferenz. Wenn nicht jenseits des offiziellen Protokolls Dinge verhandelt wurden, die in irgend einer Relation zu den vorhandenen Konflikten stehen, dann war das eine Propandaveranstaltung des Kalten Krieges. Das zunehmend konsternierte Publikum musste feststellen, dass sich das ganze Theater darum handelte, ob die USA nun weiter dabei sind oder nicht oder wenn ja, wie. Das alles unter Beisein eines bis in die grauen Haarspitzen bellzistischen Senators McCain, von dem niemand weiß, woher er sein Mandat hat. Vorschläge jedenfalls, wie die Konflikte zu einer Lösung gebracht werden könnten, wurden zumindest nicht in der Öffentlichkeit besprochen. Die Drohgebärden gegen Russland und die russischen Repliken vermittelten nur eines: Wir sind zurück im Kalten Krieg. Wie das kommen konnte, das wird momentan zunehmend analysiert, aber vieles spricht dafür, dass sich die Verursacher der Krisen jetzt dort trafen. Dass sie etwas lösen werden, scheint unwahrscheinlich zu sein.

Wer angesichts einer militärischen Organisation von gemeinsamen Werten statt von gemeinsamen Interessen spricht, der befindet sich mental bereits auf einer Vorbereitungsreise zum Kreuzzug. Für Frieden spricht das leider nicht.

Märchenstunde und Alltagshorror

Keine der Zahlen überrascht noch. Keine der Meldungen stößt noch auf Unmut oder, wie oft so gerne und seicht formuliert, auf Besorgnis. Selbst Aktionen, die in schrillem Kontrast zu allen Rechtsnormen auf diesem Planeten stehen, werden hingenommen als Fakten, die nicht sonderlich beunruhigen. Da sieht es in anderen Teilen der Welt ganz anders aus. Da kommt dann schon wieder die moralische Entrüstung und das Argument, man müsse Menschenrechte oder Frauen schützen. Aber der Mechanismus ist bekannt. Hierzulande wird es moralisch, wenn interveniert werden soll. Besteht ein Pakt mit einem Diktator, bei dem das Auskommen im Großen und Ganzen stimm t, dann ist das völlig in Ordnung. Ein solcher Pakt steht mit der Türkei. Die Türkei ist in kurzer Zeit von einer formalen, fragilen, immer wieder beschädigten Demokratie zu einer brutalen Diktatur geformt worden. Anlass war ein merkwürdiger Putsch. Was folgte, waren nackter Terror, Notstandsgesetze und die Zerschlagung der freien Presse.

Damit jedoch nicht genug. Im Konflikt mit den Kurden im eigenen Land, gegen die seit einiger Zeit militärisch vorgegangen wird, deren demokratisch agierende Partei durch Inhaftierung ihrer Parlamentarier quasi liquidiert wurde, wurde eine nationale Minorität zum Anlass genommen, im Krieg um Syrien aktiv einzugreifen. Ohne Mandat. Das machen Kriegstreiber heute so. Weder hat die syrische Regierung die Türkei um Hilfe gebeten, noch haben die Vereinten Nationen etwas in dieser Art beschlossen. Die Türkei, Mitglied der NATO und somit Bündnisfall auch für die Bundesrepublik, ist auch ohne Beschluss der NATO, der allerdings keine Rechtsverbindlichkeit hätte, in Syrien einmarschiert und agiert massiv militärisch. Dabei operiert sie auch gegen die Zivilbevölkerung, sofern es sich um die kurdische handelt. Das ruft allerdings kein Entsetzen aus, da war die Behandlung von IS-Rebellen im Osten Aleppos eine humanitär weitaus wichtigere Frage.

Das Beispiel der Türkei und der Umgang einer gewählten Bundesregierung mit der dortigen Entwicklung zeigt, dass sich diese Republik mittlerweile weit von ihrem eigenen Selbstverständnis und der damit verbundenen Geschichte befindet. Alles, was nach Gründung der Republik in den Geschichtsbüchern stand und gelehrt wurde, besitzt keine Relevanz mehr, wenn es möglich ist, neue diktatorische Monster in Europa als Koalitionspartner zu sehen und nichts dagegen zu unternehmen. Un besonders gegenüber der Türkei hätte diese Republik eine besondere Verpflichtung. Historisch bot die Türkei ausgerechnet in Zeiten, als hier die Diktatur wütete, Verfolgten ein sicheres Exil. Und Türken waren es, die in den letzten vier Jahrzehnten in dieser Republik in starkem Maße zu einer wirtschaftlich beachtlichen Entwicklung beigetragen haben.

Das, was diese Bundesregierung angesichts des Flüchtlingsdeals an aktiver Duldung gegenüber der Faschisierung der türkischen Gesellschaft betreibt, ist nicht mehr mit dem Wort Appeasement zu erfassen. Indem weiterhin alle politischen, militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen gepflegt werden, wird das Einverständnis mit dem Kurs nach innen wie außen deutlich. Eigenartigerweise bezieht man sich in diesem Kontext auf diplomatische Gepflogenheiten, während im Ukraine-Konflikt diplomatische Gepflogenheiten für diese Bundesregierung keinerlei Bindung besaßen. Aber nicht nur die Regierung, sondern anscheinend die ganze Gesellschaft scheint sich nicht darum zu scheren, ob in nächster Nachbarschaft ein Terrorstaat etabliert wird oder nicht. Insofern steht die Regierung im Einklang mit großen Teilen der Gesellschaft. Die Sensibilität gegenüber der Gefahr eines neuen Faschismus scheint nicht zu existieren. Obwohl im Wahlkampf propagiert werden wird, gerade jetzt käme es darauf an. Aber nur bis zur Wahl, und nicht in Bezug auf die Türkei. So wird aus einer Märchenstunde eine neue Version des Alltagshorrors.

Carte blanche für den Diktator

So, alles wäre alles ganz neu, reagiert die staatliche Berichterstattung auf die Ereignisse in der Türkei. Hört man ihnen zu, scheint es so zu sein, als liefe dort plötzlich einiges aus dem Ruder. Gespeist wird diese Sichtweise von dem Wunsch, dass die Politik der Bundesregierung gegenüber dem Land am Bosporus nicht falsch gewesen sein möge. Doch der Wunsch ist bereits zu einer fatalen Erinnerung geworden. Denn vieles, was momentan in der Türkei passiert, wäre ohne die Duldung einer zielgerichteten Installierung einer Diktatur durch Deutschland, die EU und die NATO nicht geschehen. Der Westen, der sich so gerne als Wertegemeinschaft bezeichnet, hat es zugelassen, wie ein ziemliches armeseliges Regiebuch, das aus dem Arsenal der deutschen Nazis stammt, Schritt für Schritt in die türkische Realität umgesetzt werden konnte.

Man muss schon sehr gläubig sein, um immer noch davon auszugehen, dass in der Türkei vor einigen Monaten rebellische Elemente in Armee und Justiz einen Staatsstreich geplant haben. Binnen weniger Stunden, die von der Dramaturgie auf Präsidentenseite nicht zu überbieten waren, reichten, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Das Volk, so hieß es, sei an der Seite des osmanischen Demagogen gewesen und noch in der Nacht begann die staatliche Maschinerie zu rollen wie geschmiert. Bis heute sind über 100.000 Menschen aus dem öffentlichen Dienst entlassen und ca. 35.000 sitzen im Gefängnis. Zeitungsredaktionen sind geschlossen, Redakteure hinter Gittern, im Parlament wird die Todesstrafe vorbereitet, Bombardements auf kurdische Wohnviertel innerhalb der Türkei werden fortgesetzt, kriegerische Handlungen auf syrischem Gebiet ohne Mandat und Einladung gehören zur Alltagsroutine und nun rollt die Welle von Verhaftungen von Parlamentsabgeordneten. Der Putsch war der türkische Reichstagsbrand, die Pogromnächte folgten.

Vor allem Deutschland hat dem türkischen Präsidenten eine Carte blanche in die Hand gegeben, als die Bundesregierung mit ihm in Verhandlungen über die Flüchtlingsrouten trat. Der Deal, wie er genannt wurde, dass keine Massenbewegungen von syrischen Flüchtlingen mehr nach Europa und damit auch nach Deutschland kamen, beinhaltet de facto freie Hand für die diktatorische Umgestaltung der Türkei. So bitter sich das anhört, da haben zwei Menschenhändler am Tisch gesessen und der skrupellosere von beiden spielt die Karten konsequenter als der andere. Und der türkische Diktator hat Zeit, bis zur nächsten Bundestagswahl im September 2017 sollen keine großen Flüchtlingsbewegungen nach Deutschland kommen. Bis dahin dürfte das Zuchthaus mit Namen Türkei komplett eingeweiht sein.

Entlastung bei der Rechenschaft, die die Bundesregierung für ihre Politik ablegen muss, enthält sie durch die Tatsache, dass das türkische Unwesen bis dato aus geostrategischen Aspekten auch vom amerikanischen Imperium und damit durch die NATO gedeckt ist. Aber nur für einen Moment, denn die NATO-Mitgliedschaft ist längst durch eine wachsende Kriegsgefahr, die durch imperiale Interessen und nichts anderes motiviert ist, zu einem großen Risiko geworden. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.

Deutschland, und nicht diese Bundesregierung, Deutschland steht vor schwer wiegenden Entscheidungen. Sie betreffen die Definition der eigenen Rolle. So, wie sie die jetzige Rolle spielt, teils ein Funktionär in eigener, zumeist rein ökonomischer Sache, teils als Mitglied der amerikanischen Jagdmeute, bringt sie Schaden über sich und die sie betreffende Welt. Deutschland als zentraleuropäische Macht braucht eine Stimme, die für den Frieden spricht und die die Konsequenz in sich trägt, die im Umgang mit Diktatoren erforderlich ist.