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Über die operative Beweglichkeit

Wer kennt sie nicht, die Situation! Die immense Ansammlung von Aufgaben und Herausforderungen, mit denen Menschen in zunehmendem Maße konfrontiert werden, die eigentlich das Privileg haben, arbeiten zu können. Denn Arbeit an sich ist etwas Positives, es ist der Stoffwechsel des Individuums mit Natur und Kosmos, der Prozess der Gestaltung, der das hervorbringt, was die menschliche Existenz so spannend macht: Lernprozesse. Doch angesichts dessen, was viele von uns in der Alltagspraxis der Arbeit antreffen, klingen diese Sätze sehr pathetisch und wenig von den Fingern der Realität berührt.

Denn die Chronik der Arbeitspraxis hat einen Weg beschritten, der umschrieben werden kann als Strecke zwischen Blut, Schweiß und Tränen und neurasthenischem Kollaps. Was in den Tagen des frühen Industrialismus mit der Physis bezahlt wurde, wird heute von der Psyche entrichtet. Die sequenzielle Schufterei ist der parallelen Nervenstrapaze gewichen. Ein interessanter Nebeneffekt sei gleich erwähnt: Sequenzielle Arbeit bring die Resultate derselben immer wieder zum Vorschein. Das vermeintliche Multi-Tasking frisst das Ergebnis als Moment des Innehaltens gleich auf. Der Grad der Entfremdung der Arbeitenden ist gestiegen.

Das was den Arbeitsalltag heute ausmacht, ist die weitgehende Befreiung von der physischen Erschöpfung und die Chance einer größeren Selbstbestimmung, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt werden. Leider ist dies selten der Fall. Ursache dafür ist die Tendenz der Entmündigung der Arbeitenden durch die Maschinen. Wer sich den programmierten Kontrollinstanzen beugt, hat radikal sein Recht auf Selbstbestimmung verwirkt. Das digitalisierte Szenario determiniert jede Eventualität und vergewissert sich durch stetiges Abfragen des nie enden wollenden Prozessfortschritts. Wer sich abgewöhnt hat, Nein zu sagen, was physisch über das Ausschalten oder Steckerziehen geschieht, der geht unter im Sog der Kontrolle.

Es ist schon kurios, mit Kant auf ein Symptom zu antworten, das das digitale Kommunikationszeitalter charakterisiert und in Phänomene mündet, die im sprachlichen Duktus unserer Tage mit Begriffen wie dem Burnout beschrieben werden. Was der asketische Philosoph als einfache Antwort auf die Frage, was Aufklärung sei formuliert hat, kann auch heute als eine verblüffend treffende Replik auf die Verdichtung der Kontrolle menschlichen Handelns durch digitale Maschinen gelten: Aufklärung ist das Heraustreten des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.

Das Selbstverschulden hat man dem eisernen, gebrechlichen preußischen Gelehrten immer wieder vorgeworfen, aber genau darin liegt der Schlüssel. Nur wer sich traut, Nein zu sagen, nur wer sich willentlich abtrennt vom Prozess der Überwachung, nur wem es gelingt, den inneren, psychischen Druck, der die moderne Kette der Fremdbestimmung ausmacht, zu überwinden, dem gelingt der Sprung in eine neu gewonnene Freiheit. Diese Freiheit definiert sich über Gestaltungsspielräume, die aus dem Dissens gespeist werden und die, aus der Distanz betrachtet, das Profane und Wesenlose der Überwachungsmaschinen öffentlich macht.

Das Getriebensein kann ersetzt werden durch eine neue operative Beweglichkeit, die dadurch entsteht, dass man sich eine eigene Strategie entwickelt, die das Wesen der Beabsichtigten zum Leitmotiv nimmt und das weglässt, was Zeit raubt und zu nichts führt. Der Begriff des rasenden Stillstandes, der immer mehr und zu Recht die Runde macht, ist ein Indiz für die Sinnlosigkeit der programmierten Gängelung. Bewirkt wird nicht mehr viel, Energie verausgabt dagegen soviel wie nie. Die selbst verschuldete Unmündigkeit, von der Kant sprach, hat eine Aktualität wie nie. Sie zu überwinden findet statt durch die Konzentration auf das Wesentliche.

Das Monster der Simplifizierung und die wachsende Redundanz seiner Entlarvung

Frank Schirrmacher. Ego. Das Spiel des Lebens

Eines muss man ihm zugestehen: Frank Schirrmacher drückt sich nicht vor den großen und vor allem emotionsbeladenen Themen unserer Zeit. Ob es der Methusalem-Komplott war, als er uns den Spiegel der Überalterung vorhielt, Payback, als er mit dem Zeigefinger auf die schleichende Herrschaft der digitalen Technologien verwies, oder die Fragen, die er aufwarf nach der Zukunft des Kapitalismus und die Anklage des Menschenhandels in Zeiten der Globalisierung, oder der riskante Vergleich zwischen Christentum und Islam, Schirrmacher scheute sich nicht. Der einstige jüngste Herausgeber einer so kapitalen Zeitung wie der Frankfurter Allgemeinen hat sich die Courage bewahrt. Nun kommt die logische Folge nach Payback, Schirrmacher rückt den Denkmodellen des digitalen Kommunikationszeitalters auf die Pelle.

Ego. Das Spiel des Lebens heißt sein neues Buch, das er nicht umsonst beginnt mit einem Foucault-Zitat, in dem es heißt: Wir sollten nicht zu entdecken versuchen, wer wir sind, sondern was wir uns weigern zu sein. Damit ist die emotionale Sphäre des gesamten nachfolgenden Textes beschrieben. Schirrmacher teilt seine Untersuchung in zwei Leitkapitel auf, das erste beschäftigt sich mit der Optimierung des Spiels, das zweite mit der Optimierung des Menschen.

Grundidee Schirrmachers ist die Analyse des immer weiter optimierten Denkmodells über den homo oeconomicus und die Geschichte der Migration von Naturwissenschaften aus der militärischen Forschung in die Zentren des Finanzkapitals. Der Autor beschreibt die bereits in den fünfziger Jahren entwickelte Spieltheorie, die den Strategen des Pentagon diente, um die Szenarien eines Atomkrieges respektive seiner Verhinderung auszutarieren. Idee war es, im Gegenüber die Inkarnation des Schlimmen und Egoistischen anzunehmen, um das eigene Spiel möglichst erfolgreich zu Ende führen zu können. Die Annahme des homo oeconomicus als universalen Prototypen für Programmierung wie Interpretation menschlichen Verhaltens hat in der Tat eine lange Tradition und wurde nach der Auflösung des Ost-West-Konflikts zu einem zentralen Paradigma in der Modellierung des heutigen Kapitalismus. Und tatsächlich ist die dahinter verborgene Denkweise auch mitverantwortlich für die Exzesse der Börse bei ihrem unverantwortlichen Hasard.

Das Kapitel über die Optimierung dieses Spiels in Ego umfasst 200 Seiten. Trotz zutreffender Beobachtung teilweise skandalöser Simplifizierung des menschlichen Modells wirken die vielen Beispiele, mit denen Schirrmacher seine These variiert und zu untermauern sucht, redundant und ermüdend. Das Gleiche passiert dann noch bei dem zweiten, immerhin noch achtzig Seiten umfassenden Kapitel über die Optimierung des Menschen. Trotz immer wieder wichtiger Beobachtungen und erhellender Enthüllungen wird man den Eindruck nicht los, es mit einem manischen Verfechter dieser Thesen zu tun zu haben, vielleicht sogar mit einem Missionar.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Frank Schirrmacher hat Recht und Mut, wenn er auf die verhängnisvolle Simplifizierung des Menschenbildes hinweist, mit dem die Physiker des Nuklearschlages ihre Verbrechen kaschieren wollten und wie die Vertreter dieser Branche, die mittlerweile in die Schaltzentralen des Finanzkapitalismus migriert sind, ihre modernen Raub- und Vernichtungszüge begründen. Das argumentative Maß ist allerdings bei dem Versuch, das schäbige Paradigma zu entkleiden, gehörig verloren gegangen. Nach dreißig Seiten hat man die durchaus vorhandene Komplexität der Botschaft begriffen. Die weitere Lektüre ist ermüdend. Irgendwie ein Kunststück, bei der Brisanz der Botschaft und der Erkenntnis aus der Beobachtung!