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Systemrelevanz und Innovation

Das Wort Systemrelevanz war eines mit unvorhersehbaren Folgen. Als 2008 die damalige und heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Wirtschaftsminister Peer Steinbrück vor die Kameras traten und den deutschen Sparern versicherten, ihre Bücher mit dem hart erworbenen Guthaben seien sicher, in jenen Tagen fiel auch zum ersten Mal dieses Wort. Dabei ging es zunächst um Banken. Gemeint waren solche, die entweder direkt politisch gesteuert wurden wie die Landesbanken, teilweise in hoch spekulative und riskante Abenteuer verstrickt, als auch solche, die aufgrund ihrer Vernetzungsdimension mit Staat und Wirtschaft als unsterbbar angesehen wurden. Im Grunde war die Systemrelevanz ein Siegel, das aus den Ideenschmieden der alten Planwirtschaft hätte stammen können. Und mit diesem Siegel war, wie sich später herausstellte, war an so manches Management die Parole ausgegeben worden, nun machen zu können, was auch immer opportun erschien, ohne danach allzu kritisch zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Wenn, nach den Banken, in Deutschland eine Branche dieses Etikett aufgrund von Größe, Kapitalvolumen, Beschäftigtenzahl, Vernetzung mit anderen Industriezweigen und staatlicher Beteiligung verdiente, dann die Automobilindustrie. Die Folgen des Siegels der Systemrelevanz sind momentan zu besichtigen und es gehört schon sehr viel Lebensmut dazu, hinsichtlich der jahrelang zur Schau getragenen strategischen Inkompetenz und Ignoranz gegenüber deutlichen Tendenzen auf dem Weltmarkt nicht ein Bild in den finstersten Tönen zu entwerfen.

Allen voran der VW-Konzern, jenes Relikt aus dem Nationalsozialismus, welches in seinem gesamten Konstrukt aus Ideologie, staatlicher Industrie, Vetternwirtschaft und Volksgemeinschaft belegt, wie weit sich auch heute noch ein Weltkonzern von den Gesetzes des Marktes entfernen kann, solange der Staat devot bürgt und eine nationale Kundschaft demütig kauft. Aber auch die anderen Produzenten von Automobilen haben sich an einem Prozess beteiligt, der als Verhinderung von Innovation bezeichnet werden muss. Sie setzten, und die Testate verdichten sich, einerseits auf Etikettenschwindel, indem sie systematisch und fortgesetzt Falsches über die Diesel-Emissionen kommunizierten und sie verfolgten die Protegierung der großen, teuren Verbrennungsluxuslimousinen und vergeudeten wenig Zeit mit der Entwicklung von Alternativen.

Klar ist, dass die Verbrennungsmotoren wie der Individualverkehr in der bestehenden Form und in den urbanen Zentren vieler Staaten keine große Zukunft mehr haben werden. Sowohl die Umweltbelastung wie die Raumfrage in den Städten drängen auf zeitige, intelligente Lösungen und die angekündigten Verbote sind nur der Auftakt für eine neue Ära. Man kann versuchen, diese zu verzögern, wie dies die deutsche Automobilindustrie schon immer getan hat, aber es geht nicht immer gut. Angesichts von Sachverhalten wie dem Faktum, dass ein Verbrennungsmotor ein hoch komplexes Gebilde ist und aus mindesten achthundert Teilen besteht während ein Elektromotor – seinerseits nicht die Technologie der Zukunft, aber wohl eine des Übergangs – aus lediglich sechs Teilen. Die Auswirkung auf die Qualifikation und Art der Beschäftigung wird, wie bei jeder technischen Revolution, gravierend sein. Und angesichts der unverantwortlichen wie dilettantischen Politik aus den Autohäusern dieser Republik wird man, so der Zynismus, der folgen muss, im Großraum Stuttgart gar keine Fahrverbote mehr aussprechen müssen, weil dort der Großteil der Arbeitsplätze, zu denen man hinfahren müsste, vernichtet sein werden.

Wieder einmal zeigt sich, dass Monopole und Kartelle, vor allem staatlich abgesegnete, die Tendenz in sich bergen, Innovationen zu verhindern. Mit dem Signum der Systemrelevanz wurde die Absolution dafür erteilt, dieses systematisch zu betreiben, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.

The Huns like Diesel

Ja, der Volkswagenkonzern bringt vieles mit sich, das dafür spricht, es mit einer monopolistischen Struktur zu tun zu haben. Ja, der Volkswagenkonzern hat eine Geschichte, vor der es einem grausen kann. Ja, die Verquickungen zwischen Gewerkschaften und dem Konzern sind eine politische Katastrophe und natürlich, die Manipulation von Abgasmessgeräten ist Betrug. Ach ja, noch schlimmer ist es, dass nicht nur Volkswagen, sondern nahezu die gesamte deutsche Automobilindustrie sich kaum Gedanken über alternative, ökologisch vertretbare Antriebsarten gemacht haben. Stoisch setzten sie auf Diesel, was mit dem nahezu erotischen Faible der Deutschen für diesen Motor und den günstigeren Abgaswerten zusammenhing. Wesentlich geringere Kohlenmonoxydwerte, so hieß es und so ist es auch, die Stickoxyde waren dabei weniger im Fokus.

Viele rieben sich die Augen, als in diesem Sommer ausgerechnet die US-Justiz zu einem heftigen Schlag gegen den Weltfußballverband FIFA ausholten. Warum ausgerechnet ein Land, in dem der Fußball immer noch eine untergeordnete Rolle spielt, mit solcher Macht dann auch noch gegen eine Weltorganisation vorgeht, weil ein lokaler Funktionär von mittlerem Einfluss korrumpierbar gewesen sei, blieb vielen ein Rätsel. Bei näherem Hinschauen wurde jedoch deutlich, dass die Aktion auch noch anderen, geopolitischen Sinn hatte. Es ging um die Anzweiflung der nächsten Fußballweltmeisterschaft 2018 mit Russland als Austragungsort. Der Krieg um die Ukraine, unter anderem angezettelt von US-Politikern und aktiv geführt durch militärische und wirtschaftliche Unterstützung aus den USA, hatte in Europa zu heftigen Debatten und einer Spaltung der politischen Stimmung geführt. Nun Russland die nächste Gelegenheit einer positivenDarstellung im Zusammenhang mit Fußball zu verwehren, kann zumindest als Kollateralziel der Aktion angesehen werden.

Zurück zu VW: Trotz der eingangs beschriebenen Kritik, die nicht hart genug sein kann angesichts staatsmonopolistischer Strukturen und kollusiver Machenschaften und einer strategischen Ausrichtung, die nicht an neue Gestaltungsräume, sondern eher an Durchhalten erinnert, ist auch dieses Mal an der Zufälligkeit der US-Behördenaktivität zu zweifeln. Es handelt sich um eine Aktivität in einem Wirtschafts- und Handelskrieg, der in vollem Gange ist und mit TTIP als normal formalisiert werden soll. VW ist nicht nur der größte Autokonzern Europas, er ist damit auch die Säule der deutschen Exportindustrie, es hängen Tausende von Arbeitsplätzen in vielen Ländern Europas daran und mit der Attacke auf den Dieselmotor ist die einzige Alternative zu Elektro- und Hybridantrieben, die ihrerseits in ihrer Energiekonsumption systematisch geschönt wurden, soll Konkurrenz massiv geschwächt werden.

Wie gesagt, und sogar betont, die Kritik an korrupten Strukturen in der FIFA und der Betrug an Konsumenten durch VW kann und darf nicht entkräftet werden. Aber die Aktivitäten von US-Justiz und US-Behörden sind in diesen Fällen keine zufällige Koinzidenz zu politisch für die USA vorteilhaften Veränderungen, sondern gezielt eingesetzte Mittel einer nicht-militärischen Kriegsführung. Diese Form des modernen Krieges vor Augen sollte zu einer nochmaligen Betrachtung der geplanten Vereinbarungen hinsichtlich von TTIPP führen, um einen realistischen Blick dafür zu bekommen, dass im Grunde dort die Spielregeln für diese Art des Krieges festgeschrieben sind. Und dieser Krieg wird geführt gegen die Konsumenten und gegen die Fähigkeit der Nationalstaaten, sich politisch gegen das Treiben von global agierenden Konzernen zu wehren. Und das Desaster hat zum Teil schon stattgefunden: Dass sich ausgerechnet staatliche US-Behörden in diesem Kampf instrumentalisieren lassen, obwohl auch die Staaten auf allen Seiten die Verlierer sein werden, macht die Sache noch pikanter.