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Romanische Opulenz

Jaume Cabré, Die Stimmen des Flusses. Roman

Wenn auf dem Lesezeichen des Verlages mehr als dreißig handelnde Personen vorgestellt werden, ist sicher, dass einen bei der Lektüre so etwas wie romanische Opulenz erwartet. Und so löst der katalanische Autor Jaume Cabré mit seinem Roman „Die Stimmen des Flusses“ dieses Versprechen auch ein. In einer Zeitreise, die lokal recht dürftig verortet ist, nämlich in einem kleinen Pyrenäendorf, breitet sich das reiche  Portfolio des spanischen Bürgerkrieges aus, das bis in unsere Tage wirkungsmächtig ist. Ganz nach der These, dass die Welt im Detail liege, staffiert Cabré die damals handelnden Charaktere mit ihrer in die Zukunft weisenden Programmatik aus.

Da ist ein ins Dorf gekommener Lehrer, der der Macht des Faschismus ebensowenig trotzen kann wie dem Charme des Widerstandes und der daran scheitern wird. Es wimmelt von stereotypen Funktionsträgern, die wenig zu bieten haben als im Auftrag der jeweiligen Macht Zweifelhaftes zu tun. Es ziehen sich Fäden der Liebe durch dieses Gewirr von Beziehungen, die sich nicht an den Verlauf der Machtlinien hält und die deshalb zum Verbrennen verurteilt sind. Und anhand der Metapher der vielen Flüsse, die diesem Gebirge entspringen, nimmt alles seinen Lauf, ohne die Möglichkeit der menschlichen Korrektur.

Da ist eine Elisenda Vilabru Ramis, die aus einer einflussreichen Familie entstammt und die auf falangistischer Seite als Hauptfigur ausgemacht werden kann, die, selbst seelisch verletzt und sozial lädiert, die jeweiligen Strukturen der Macht nur nutzt, um ein Imperium aufzubauen, das bis in unsere Tage reicht. Da ist ein Faschist aus Fleisch und Blut, der Bürgermeister des Ortes, der vom republikanischen Widerstand eliminiert wird und da ist eine ebenso tragische Forscherin aus dem Jetzt, die Licht in das große Dunkel jenes Bürgerkrieges zu bringen gedenkt und selbst an den schicksalhaften wie menschlichen Unzulänglichkeiten scheitert wie die historischen Figuren, denen sie  nachforscht.

Die Opulenz, mit der Cabré in diesem Roman aufwartet, stellt der Leserschaft gewaltige Aufgaben. Indem er historisch immer wieder in andere Zeiträume springt, vermittelt er seine Vorstellung, dass es universelle Themen gibt, die unabhängig vom jeweiligen Zeitgeist wirken. Es sind dies, bezogen auf die konkrete Erzählung, Liebe, Macht, Betrug, Missverstehen, und Kräfte, auf deren Wirkung niemand Einfluss hat. Und dennoch entkommen die jeweils handelnden Menschen nicht der Aufgabe, sich entscheiden zu müssen, zwischen Gut und Böse, zwischen Gerecht und Ungerecht, und zwischen Liebe und Hass. Eine Gewähr, damit erfolgreich zu sein, existiert jedoch nicht.

Die großen historischen Ereignisse, wie in diesem Fall der spanische Bürgerkrieg, wirken lange nach und den Entscheidungen, die Menschen damals getroffen haben, können selbst die Nachkommen nicht entrinnen. Auf den epischen Anspruch bezogen geht es nicht kleiner. Größer aber auch nicht. Romanische Opulenz eben. 

Romanische Opulenz