Jeder, der sich mit dem Verfassen von Texten beschäftigt, kennt das Phänomen. Es existiert eine Idee oder auch keine, aber irgend etwas hat dich dazu getrieben, dich an dein Schreibgerät zu setzen. Das ist, je nach Alter, Sozialisation oder Kultur, ganz unterschiedlich. Entweder es ist noch eine Schreibmaschine, am besten eine alte Triumph. Oder es ist ein Blatt Papier und ein Bleistift. Oder ein tablet, vielleicht mit einer externen Tastatur. Aber egal, was es ist, du sitzt dort alleine und hast ein Vorhaben. Das des Schreibens. Und los geht´s? Mitnichten.
Walter Benjamin hat es, ich glaube in seinem Buch Die Einbahnstraße, einmal so beschrieben, dass ich es nie vergessen habe. Wenn du am Schreibtisch sitzt, dann schreibe, auch wenn dir nichts einfällt. Das war klug, das war richtig klug. Denn natürlich wusste Benjamin, dass da etwas in unserer Unterstruktur ist, das arbeitet, auch wenn wir denken, der Kopf sei leer. Das mache ich auch gerade. Jetzt. Ich folge Benjamin und schreibe, ohne dass mir was einfiele. Es wird etwas werden, da bin ich mir sicher.
Andere kluge Köpfe machten es sich schwerer, sie sprachen vom Geheimnis des künstlerischen Schaffens. Aber keinem gelang der große Coup. Nur Walter Benjamin, der sich an den Pyrenäenausläufern, in Port Bou, ins Mittelmeer stürzte, weil er die Verfolgung durch die Gestapo nicht mehr aushielt, dieser großartige Intellektuelle, der Schöpfer der Figur des Flaneurs, des großen Assoziators in der Moderne, der durch die Pariser Passagen streunt und das Weltgeschehen anhand der vorgefundenen Versatzstücke neu komponiert, hat es erfasst. Und zwar mit der Klarheit und Unverfrorenheit einer Berliner Schnauze. Schreib einfach weiter, auch wenn dir nichts einfällt. Da staunste, wa? Auch die Schlauen saugen an einer Mutterbrust. Benjamins Sensorik stammte aus Berlin, dem jüdisch-bürgerlichen, dem unverwechselbaren, das es nicht mehr gibt.
Und dann bist du drin. Das Probieren ist der Beweis. Wenn die Sätze laufen, wunderst du dich, wie das geht. Ein perpetuum mobile der menschlichen Ideengebung. Bis der Sensenmann kommt und den Schalter umlegt. Doch das muss noch warten. Mach ihm einfach nicht auf. Du bist jetzt am Schreiben. Und wie. Schnell, immer schneller. Bis ein Schwebezustand erreicht ist, der alles mitbringt, was einen richtigen Rausch ausmacht. Die Schwebezustände des Schreibens sind unbändig. Sie vermitteln ein Gefühl, natürlich das des Schwebens, das alles beinhaltet, was das Außerkraftsetzen der Gravitation beinhaltet. Leichtigkeit, Grenzenlosigkeit, Sphäre. Tempo nicht unbedingt. Das ist eine Verwechslung. Wer meint, Tempo sei es, um das es ginge, der kann gleich Kokain nehmen. Das führt zur Beschleunigung, erzeugt aber nie das Erhabene des Schwebens. Und damit wäre auch schon die Lehre gezogen: Wer bereit ist, Risiken einzugehen, und das ist der Fall, wenn man einfach anfängt zu schreiben, der erreicht irgendwann einen Schwebezustand. Und der versetzt den Mutigen in den Zustand temporärer Erhabenheit. Die Rauschzustände, die das Schweben zuweilen mitbringt, entstammen der körpereigenen Chemie. Genial. Unbedingt versuchen. Wer die Angst überwunden hat, der muss sich nicht mehr fürchten!
