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Exzentrischer Individualismus: In Schönheit sterben!

Die Neigung, bestimmte Entwicklungen in der Denk- und Sichtweise von Menschen auf ihren exklusiven Willen, ihre Vorstellungskraft und ihr Wissen zurückzuführen, enthält nur einen Teil der Wahrheit. Wir haben uns alle, nach Jahrzehnten des freien Spiels der Kapitalkräfte, zu sehr an das Narrativ gewöhnt, dass der Individualismus nicht nur der Schlüssel zum Glück, sondern auch zu dem der Erkenntnis führt. Angesichts der verschiedenen sozialen und politischen Ordnungen, die auf diesem Planeten herrschen, ist das bereits der erste Trugschluss. Denn wenn das so wäre, gäbe es nur dort den Zustand des Glücks und die Sonnenstunden der Erkenntnis, wo das Paradigma des Individualismus herrscht. Es ist offensichtlich, dass das in Bezug auf andere Völker und ihre Ordnungen nicht zutrifft. Und es ist ebenso evident, dass die These selbst im Kultur- und Wirkungskreis des Individualismus nicht greift. Auch dort ist viel Unglück und Irrtum anzutreffen.

Manchmal ist es hilfreich wie sinnvoll, sich mit den Schriften zu befassen, denen bei aller faulen Nachrede durch die herrschende Apologetik noch so etwas wie eine analytische Tiefe bei der Betrachtung der bürgerlichen Gesellschaft nach europäischem Muster zu finden ist. In der Deutschen Ideologie, einer Schrift, in der sich Karl Marx mit den zeitgenössischen Ansichten über die bürgerliche, kapitalistische Gesellschaft auseinandersetzte, trifft man immer wieder auf bestimmte Sätze, die das Werkzeug, mit dem er seine Operationen unternahm, in hellem Licht aufblitzen lässt und die dokumentieren, wie brillant und aktuell die Fähigkeit, über ein solches Besteck verfügen zu können, auch heute sein könnte. Einer dieser Sätze lautet:

„..dass der wirkliche Reichtum des Individuums ganz von dem Reichtum seiner wirklichen Beziehungen abhängt…“ 

Was so lapidar klingt, ist der Schlüssel zu der tatsächlichen Verarmung, die der durch die materielle Entwicklung gezeitigte Individualismus seit der Niederschrift dieses Satzes erlitten hat. Das, was als politische Voraussetzung wie als Ziel der bürgerlichen Gesellschaft formuliert worden ist, hat sich letztendlich als Warenzustand wiedergefunden. Die wirklichen Beziehungen, die nach Marx den Reichtum ausmachen, sind exklusiv ersetzt worden durch auf Tauschwert basierende Beziehungen. Letztendlich sind die Individuen, was ihre tatsächlichen sozialen Beziehungen anbelangt, in einem Zustand der Verarmung angekommen, der das Scheitern des Projektes nahelegt.

Umso verständlicher sind Ton wie Vehemenz beim Beharren auf allen Aspekten, die als Skurrilität der Vereinsamung verständlich, als politisches Ziel für eine Gesellschaft, die auf ihre soziale Kohärenz achten muss, wenn sie funktionieren will, zu betrachten. Das Recht, sich der Kohärenz der Gesellschaft zu entziehen, als Grundlage des Individualismus, der wiederum als Common Sense gilt, einzufordern, zeigt den systemischen Trugschluss. 

Der Zustand einiger westlicher Gesellschaften, in denen der Widerspruch zwischen individueller Freiheit und kollektiver Notwendigkeit zugunsten des Individualismus entschieden wird, illustriert die massive Krise. Finden diese Gesellschaften nicht zurück, d.h. gelingt es diesen Gesellschaften nicht, eine Balancefähigkeit zwischen kollektiver Notwendigkeit und individueller Freiheit zu entwickeln, ist die Prognose naheliegend, dass ihr politisches System kollabiert.

In diesen Gesellschaften selbst sieht es nicht danach aus, als dass die notwendigen Schlussfolgerungen aus dieser Erkenntnis aktuell mehrheitsfähig wären, oder, um präzise zu sein, dass die gefertigte öffentliche Meinung dieser Schlussfolgerung zugänglich wäre. Die Devise des zur Ware verkommenen, exzentrischen Individualismus scheint zu sein, in Schönheit sterben zu wollen. Ohne dass es ihm selbst bewusst wäre. 

Wir leben in spannenden Zeiten.  

Karl Marx. Lesen Sie das Original!

Jetzt ist sie wieder unterwegs, die Meute der Rechercheure und Erklärer, die ihre Kalender so führen, dass sie schon Jahre vorher im Visier haben und wissen, wer wann geboren oder gestorben ist, wann ein großes Jubiläum fällig und wann zu einer runden Zahl eine Schlacht geschlagen wurde. Und so wundert es nicht, dass passgenau zum Ereignis die Kanäle prallvoll sind. Heute trifft es den Journalisten, Politiker, Wissenschaftler, Philosophen und Satiriker Karl Marx. Er hinterließ der Welt ein gigantisches geschriebenes Werk, zwei seiner Schriften zählen zum Weltkulturerbe (Das Manifest der Kommunistischen Partei und der 18. Brumaire des Louis Bonaparte) und, das macht die Angelegenheit so prekär, viele Staaten beriefen sich direkt auf ihn. Dass es dort nicht so gut lief kreiden ihm viele an, obwohl er wohl am meisten über die Vermessenheit einer solchen Legitimation gelacht hätte.

Nun, da der Kapitalismus, den Karl Marx sein Leben lang analysiert hat und dem er keine rosige Zukunft prognostizierte, da dieser Kapitalismus immer noch existiert, sind viele seiner Schriften sehr aktuell. Denn der Gehalt dieser Werke trifft in vielem immer noch das Wesen. Aber, heute und in der folgenden Zeiten werden viele Experten erscheinen und dem staunenden Publikum noch erklären, wie Karl Marx und seine Schriften zu sehen sind. Bei manchen von ihnen erstaunt wiederum, dass sie den Eindruck machen, als hätten sie selbst das nicht gelesen, worüber sie referieren.

Die beste Referenz, die Karl Marx in diesen Tagen erwiesen werden kann, ist seine Schriften selbst zu lesen. Dann ist das Urteil authentisch. Und hier einige Tipps: 

Wer den eloquenten Journalisten genießen will, der sich mit dem verzwickten Thema der Geschichte befasst, der lese das Manifest der Kommunistischen Partei und den 18. Brumaire des Louis Bonaparte. Vor allem letztere Schrift ist eine gute Messlatte für den politischen Journalismus unserer Tage. 

Wer den Philosophen und Dialektiker etwas näher kennenlernen will, dem sei die Deutsche Ideologie empfohlen und die winzige, aber kolossale Schrift Zur Kritik der Hegel´schen Rechtsphilosophie. Einleitung ans Herz gelegt.

Wer den Ökonomen Marx in seinem größten, nicht vollendeten Versuchslabor begreifen will, der lese das Kapital. Zumindest den ersten Band. Da versteht man die Ware als zentrale Erscheinungsform des Kapitalismus ebenso wie die Tatsache, dass das Kapital nichts anderes als die Abstraktion menschlicher Arbeit darstellt. Und natürlich, wie ein Wert entsteht, wie zwischen Gebrauchs- und Tauschwert unterschieden wird und wie sich der der Ware Arbeitskraft bemisst und was ein Mehrwert ist. Und wer dann noch gute Laune hat, der vergleiche diese Kategorien einmal mi dem sinnlosen Geschnipsel, mit dem heute die Phänomene der Weltökonomie erklärt werden.

Und wer dann immer noch nicht genug hat, und wer immer noch zweifelt, dass die Lektüre von Marx Schriften vieles grausam erhellt, der widme sich dem Konvolut, das unter dem Titel Das Maschinenfragment zu finden ist. Dort ist alles thematisiert, was im Zeitalter der Digitalisierung virulenter denn je ist: Die Entfremdung der Arbeit, die Degradierung der Anwender vom Subjekt zum Objekt und die Enteignung der Weltgemeinschaft durch das technologische Monopol. Da fallen einem Namen wie Zuckerberg ein, und nicht verstaubte Figuren aus den Annalen.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Karl Marx wird 200! Lesen Sie das Original!