Schlagwort-Archive: Die den Sturm ernten

Die hehren Werte und das demagogische Besteck

Michael Lüders, Die scheinheilige Supermacht. Warum wir aus dem Schatten der USA heraustreten müssen

Allein mit seinen Publikationen „Wer den Wind sät“ (2015) und „Die den Sturm ernten“ (2017) hat der Autor Michael Lüders beeindruckend die Tiefe seiner Einblicke in die Geschehnisse des Nahen Ostens unter Beweis gestellt. Wer den üblichen Nachrichten folgte, kam bei der Lektüre dieser genannten Bücher aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was eigentlich logisch sein sollte, dass es nämlich unterschiedliche Sichtweisen und Wahrnehmungen in Bezug auf die internationalen Beziehungen gibt, wurde dort in vielerlei Hinsicht dokumentiert. Das Resultat war ernüchternd: die von den USA betriebene Nahost-Politik hat nicht nur zu einem Desaster in den betroffenen Ländern geführt, sondern auch im immer wieder reklamierten „eigenen Lager“ Zwiespalt gesät und die Moral zerstört. Schon dort zeigte es sich markant, dass es unterschiedliche Interessen zwischen europäischen Staaten, inklusive Deutschlands, und den USA gibt, die durch eine unreflektierte Gefolgspolitik zu keinem guten Ende führen. 

Michael Lüders hat mit seinem neuen Buch mit dem Titel „Die scheinheilige Supermacht. Warum wir aus dem Schatten der USA heraustreten müssen“ den Gedanken unterschiedlicher Interessenlagen wieder aufgegriffen. Im Gegensatz zu den vorherigen Publikation macht er sich aber daran, vor allem die Darstellung der internationalen Politik, ihrer unterschiedlichen Lager und ihrer Sichtweisen aus der Perspektive eines deutschen und europäischen Bürgers darzustellen und zu kommentieren. Dass dabei viele Beispiele aus dem Nahen Osten herangezogen werden, ist bei seiner fachlichen Provenienz nur logisch. Aber die Fülle der Beispiele, die Lüders anführt, sind allein bereits ein Indiz dafür, dass es sich bei den unglaublichen Vorkommnissen, an denen das us-amerikanische Imperium und seine atlantischen Verbündeten beteiligt sind, um keine Ausrutscher, sondern die Regel handelt. 

Den Prolog dazu liefert der Autor mit der Analyse der USA, die mutiert sind von einer den europäischen Faschismus mit bezwingenden Macht zu einem Imperium, das unzählige Kriege und völkerrechtswidrige Interventionen vom Zaun gebrochen hat, um geostrategische Dominanz durchzusetzen und zu wahren. Mord und Folter, Staatsstreiche, Embargos und Sabotage säumten den Weg zu dem, was so gerne als Full Spectrum Dominance genannt wird. Dass dieses Besteck nicht mit dem angepriesenen Menü von Freiheit und ihren Werten harmoniert, wird in der hiesigen Berichterstattung konsequent ignoriert.

Lüders Buch liefert eine Revue dessen, was unter dem Begriff des Doppelten Standards gut zusammengefasst ist. Der Charakter dessen, was dort allerdings nicht selten durch beauftragte Werbeagenturen fabriziert und mit Bezeichnungen wie Narrativ, Framing und Wording verharmlost wird,  ist tatsächlich am besten mit der Beschreibung des Scheinheiligen getroffen. Wer noch einmal ein Interesse hat, was in der jüngsten Geschichte in dieser Hinsicht unter Leitung der USA im „freien Westen“ geleistet wurde, bekommt das Resultat prägnant kredenzt: Die Begründung von kriegerischen Aktionen mit bewussten Lügen, der Mord an demokratisch gewählten Kontrahenten mit Verschwörungsgeschichten, Sabotageakte in fremden Ländern, das Herunterspielen von Morden durch eigenen Dienste, die Unterstellung krimineller Handlungen bei Widersachern, die Subvention von Oligarchen und Kriminellen, die Heroisierung windiger Charaktere, solange sie den vermeintlichen Feinden schaden. 

Ein Nebenprodukt dieser letztendlich bedrückenden Lektüre ist die sich immer wieder aufdrängende Frage, dass alles, was auch hierzulande die Regierungen ihren jeweiligen Kritikern so gerne vorwerfen wie Verschwörungstheorien, Fake News, und Erzählungen, die Lichtjahre von der erlebten Realität entfernt sind, zu dem schönen Narrativ einer Wertegemeinschaft passen, wenn sie dort ersonnen und gepflegt werden?