Irgendwo in der Wildnis, jenseits aller Zivilisation, wenn dort Bodenschätze in der Neuzeit gefunden wurden, dann begann es, dass ein archaischer Kampf um das edle Gut ausbrach. Das, was als Ressource der Menschheit viel Gutes bringen konnte, wurde Anlass für Fieberträume, Gier, Raub und Mord. Nicht die Vorstellung vom Nutzen des edlen Gutes beherrschte die Akteure, die daran gingen, es zu bergen, sondern die Fantasie von unbegrenztem, unermesslichem Reichtum. Das war so beim Silber in Peru, bei den Gewürzen in Südostasien, beim Gold am Klondike, bei den Diamanten am Kongo, und das war so beim Öl in den Wüsten Arabiens. Der große Nutzen des Fundes machte ihn schnell zum allgemeinen Äquivalent, sein Wert machte ihn zur Währung, die alles beherrschte. Wer über diese Ressource verfügte, dominierte Wirtschaft und Politik. Und um an diese Ressource heranzukommen, dafür wurde alles getan.
Der konkrete Nutzen war, wie die unvollständige Auflistung zeigt, sehr unterschiedlich. Von der Zubereitung von Speisen, einem sehr großen, erdumspannenden Markt, über das Ästhetische und den großen Wert auf kleinem Raum (Silber, Gold, Diamanten) bis zur Energie. Jede dieser Ressourcen steht für eine bestimmte Epoche. Die strategisch wohl am dramatisch am meisten begrenzte ist die des Öls. Selbst historisch ist sie kurz, aber umso intensiver. Öl als Treibstoff für die sich nun langsam aus der Geschichte verabschiedenden Automobile und als Energie für den sich ebenfalls in dieser Form dramatisch wandelnden Industrialismus dürfte auch bald passé sein. So, wie es aussieht, ist die Muskatnuss von den Molukken historisch resistenter als das Barrel Öl.
Dennoch sind historische Erkenntnisse und persönliche Interessen von Menschen mit einer immer noch und auch in Zukunft geringen Halbwertzeit zwei unterschiedliche Dinge. Die Akteure einer untergehenden Epoche handeln nicht mit der Weisheit der historischen Betrachtung, sondern sie gehorchen nach wie vor dem Impuls der persönlichen Bereicherung und dem größtmöglichen Nutzen. In Phasen des Umbruchs wird dieses Spiel als besonders grotesk erlebt. Dramatisch inszeniert, gleicht das dem Bild eines Roulette-Spielers auf der Titanic, der trotz seines Wissens um das Sinken des Schiffes gierig den Tisch nach seinen gewonnenen Chips absucht und sich die Taschen damit vollstreckt. Von außen betrachtet ist dieser Akteur geblendet von den Erfolgen vergangener Tage, die in der aktuellen historischen Situation angesichts der veränderten Umstände nur noch den Eindruck eines Irrsinnigen vermitteln.
Und das ist das Bild, das sich aufdrängt bei der Betrachtung der Politik des nur noch formal vereinigten Westens in der arabischen Welt und im Nahen Osten. Selbstverständlich wird das Öl noch einige Zeit eine Rolle spielen, aber seine Zeit ist vorbei. Und so geht es mit Imperien, die die Bewegung der Geschichte missverstehen. Sie suchen die alten, ihnen nutzenden Verhältnisse mit aller Macht zu erhalten oder wiederherzustellen und machen sich keine Gedanken darüber, wie die Zukunft auszusehen hat. Keine Vorstellung von dem, was da kommen wird, führt zu einem wilden, hysterischen Festhalten am Altbekannten.
Die historischen Momente, in dem die Akteure des Alten mit aller Gewalt am Bekannten festhält, während das Neue sich zunehmend bemerkbar macht, sind die Augenblicke, in denen große Dramen geschrieben werden können. Sie können die Dilemmata der menschlichen Natur zuspitzen und illustrieren, am Lauf des Großen und Ganzen werden auch diese Dramen nichts ändern. Trost spenden sie nicht, aber sie faszinieren. Sie zeigen Wesen, die immer weiter voranschreiten und dennoch untergehen. Wer würde das nicht interessiert betrachten, wenn er in der Loge säße? Das Heikle ist nur, dass dieses Privileg niemand besitzt.
