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Über den Umgang mit Pleiten

Es ist einmalig wieder eine jener Lehrstunden, die sich aufgrund ihrer Aussagewucht keine noch so guten Pädagogen ausdenken können. Es geht um den Umgang mit Pleiten. An ihnen zeigt sich, wie die direkt Beteiligten und das ganze Umfeld disponiert sind. Am Beispiel des Ausscheidens der deutschen Fußball-Equipe wird deutlich, wie dieses Land, in dem der Fußball immer noch eine sehr große Rolle spielt, tatsächlich tickt. Vieles von dem, was in diesen Tagen als Reaktion auf den Misserfolg an die Öffentlichkeit dringt, kann gelesen werden wie das Protokoll einer Anamnese. 

Es ergibt Sinn, die Reaktion auf das gefühlte Desaster in Kategorien von Beteiligung aufzuteilen. Direkt nach der Niederlage gegen Südkorea wurden vornehmlich Fans gezeigt, die bestürzt und sehr traurig waren. Als das verflogen war, setzte sich wohl mehrheitlich die Erkenntnis durch, dass das Ausscheiden das ureigenste Verdienst war. Also keineswegs eine neue Dolchstoßlegende, ein Betrug durch einen Schiedsrichter oder eine Verschwörung aus Russland. Alles wäre möglich gewesen, aber die Fans behielten insoweit ihren Verstand. Bei der Betrachtung der unzähligen Äußerungen auf den Kommentarseiten der so genannten Leitmedien, endete die Analyse bei den Fans damit, dass der Trainer sowie die involvierten Abteilungen des DFB einen schlechten Job gemacht haben.

Herbe Kritik an Trainer wie DFB gab es auch aus Reihen ehemaliger Fußballprofis, die ihrerseits nicht mehr unbedingt im großen Geschäft sind und die die Gelegenheit gerne genutzt haben, um ihrem Frust ein Ventil zu geben und ehemaligen Konkurrenten etwas heimzuzahlen.

Und dann existiert eine medial stark präsente Kritik, die die Spieler ausgemacht hat. Dass die Akteure für ihre Aktionen verantwortlich gemacht werden, ist selbstverständlich. Dass dieses aber geschieht, ohne die Ebene, in der die Direktionsrechte liegen, ebenfalls zur Verantwortung zu ziehen, ist absurd. Die Kritik an den Spielern wird jedoch dazu benutzt, um bestimmte Ressentiments zu nähren. Da sind es die durch Reichtum entstandenen Spleens, die manche Akteure haben, die jetzt skandalisiert werden. Dass die Spieler diese Spleens auch vor dem Turnier und über Jahre hinaus hatten, als sich die Erfolge noch einstellten, bleibt davon unberührt. Und da sind natürlich die geschickt lancierten Ressentiments gegen das Konzept der Toleranz, dass den Erfolg der Mannschaft vor vier Jahren noch in starkem Maße mit geprägt hat. Dass die vor allem emotional immer wieder überzeichneten Sündenböcke ausgerechnet jene Spieler sind, die aus Immigrantenfamilien stammen, ist ein betrübliches Indiz.

Und da ist natürlich die Reaktion der direkt Verantwortlichen. Der DFB, seinerseits kein gutes Beispiel für Transparenz und Effizienz, bei dem die leitenden Funktionäre die Chuzpe besessen hatten, dem Trainer vor dem Turnier bereits einen neuen Vierjahresvertrag gegeben zu haben. Das klingt fast so wie die Praktiken in dem von allen gescholtenen Russland. Dieser DFB spricht sich nun für den Verbleib des Hauptverantwortlichen aus, weil man ihm den notwendigen Umbruch zutraue. Natürlich, so könnte gesagt werden, der Vertrag ist ja bereits da. Der in diesem Zusammenhang oft geäußerte Verweis auf die historischen Verdienste des Trainers kann einerseits hinterfragt werden, denn vor ihm gab es keinen Trainer, der eine so große Auswahl an exzellenten Fußballern hatte. Und historisch ist es reiner Unsinn. Weitaus größere Figuren als der Schwarzwälder mussten auf allen Feldern der Geschichte ihren Posten aufgeben, wenn es um eine neue Ära ging. 

Das kann man mit Würde und Verantwortung tun, in dem man die Einsicht zur Grundlage seiner Entscheidung macht und selber die Konsequenzen zieht. Man kann es, angesichts der bräsigen Partner, auch aussitzen. Dann geht das Gewürge erstmal weiter, bis alles noch viel scheußlicher und unwürdiger wird. 

DFB: Mit Zitronen gehandelt!

Als die deutsche Nationalmannschaft vor vier Jahren die Weltmeisterschaft gewann, hatte sich eine jahrelang zu beobachtende positive Entwicklung endlich ausgezahlt. Vorausgegangen war eine mit Ausdauer und Präzision durchgeführte Nachwuchsarbeit, die ihren Erfolg bereits bei der WM 2006 und 2010 abzeichnete. Bei der WM 2010 hätte es bereits mehr sein können, ähnlich wie bei der folgenden EM. Dort waren die entscheidenden Spiele verloren worden, weil Kleinmut und Vorsicht zu einer zu zaghaften Taktik geführt hatten. Dasselbe wiederholte sich bei der EM 2016 in Frankreich. Diese Erfahrungen sind nicht verarbeitet worden. Ganz im Gegenteil, es wurde das konkrete Abschneiden gefeiert, anstatt sich auf das Verpasste, Größere zu konzentrieren.

Es ist immer eine immense Herausforderung, eine Top-Leistung zu wiederholen. Gerade im Augenblick des Zenits stellt sich allerdings die Frage, was zu tun ist, um sich in diesen Regionen weiter zu bewegen. Die Antwort ist kein Mirakel: Weiterentwicklung. Besonders der Confed-Cup im letzten Jahr in Russland war in dieser Hinsicht ein Fingerzeig des Schicksals. Aufgrund einer besonderen Konstellation fuhr das DFB-Team dorthin mit einer komplett anderen, jüngeren Mannschaft und überraschte mit frischem, ideenreichem Fußball und dem Sieg des Turniers. 

Die Konsequenz war genau die falsche. Anstatt darin einen Neuanfang zu sehen, griff der Trainer bei der WM 2028 auf die Kräfte, die nicht von sich aus zurückgetreten waren, zurück. Was folgte, war das Schicksal, das alle Weltmeister der jüngeren Geschichte teilten. Italien, Weltmeister 2006, scheiterte 2010 in der Vorrunde, Spanien, Weltmeister von 2010, scheiterte ebenfalls 2014 in der Vorrunde. Ohne nennenswerte Veränderung wiederholte Deutschland dieses traurige Spiel 2018.

Vor kurzem schrieb eine Bloggerin hier auf der Seite, das Schöne am Fußball sei die Tatsache, dass man gesellschaftliche Entwicklungen dort miterleben könne, ohne dass Menschen ihre Existenz verlören und Blut fließe. Recht hatte sie! Denn das, was mit dem heutigen Ausscheiden in der Vorrunde endete, ist ein Lehrstück für das Versäumnis, Fortschritt nicht als fortgeschritten sein, sondern als Fortschreiten zu begreifen. Wer oben ist, kann tief fallen, wenn er sich nicht der Erfordernis der Veränderung bewusst ist. Aus nichts anderem speist sich die Volksweisheit, dass Hochmut dem Fall vorausgeht.

Die Art und Weise, wie das deutsche Team aus diesem Turnier ausgeschieden ist, dokumentiert genau dieses Versäumnis. Das Festhalten an dem Alten, Bewährten, das die Konkurrenz bis zum Erbrechen studiert hat, lädt dazu ein, die Schwachstellen zu benennen und zu nutzen. Der Spirit, wenn der Begriff in diesem Kontext gar verwendet werden darf, war der einer verängstigten und dennoch bräsigen und selbstverliebten Truppe, die den Kampfgeist und die Bereitschaft, alles zu geben, verloren hatte. 

Das Ende ist folgerichtig. Nicht nur, weil die notwendigen Veränderungen nicht vorgenommen wurden, sondern auch, weil ein Verband, gegen dessen ehemalige Vorstandsriege die Staatsanwaltschaft wegen Korruption ermittelt, derartig weltfremd geworden ist, dass sie dem Cheftrainer noch vor dem Turnier einen neuen Vierjahresvertrag gegeben hatte. Man stelle sich so etwas in einer anderen Organisation vor: Noch vor der Erreichung des Erfolges bereits die Belohnung zuzusprechen! Deutlicher kann der tiefe Fall nicht illustriert werden.

Aber, wie alle, die noch nicht Opfer der Verblendung geworden sind, wissen: Niederlagen haben auch etwas Gutes. Sie legen nahe, dass es höchste Zeit für einen Umbruch ist.

Jerome Boateng und die drei großen Ts

Der nordamerikanische Ökonom und Politologe Richard Florida machte vor anderthalb Jahrzehnten zum ersten Mal mit seinen Thesen zur Stadtentwicklung Furore. Er hatte sich weltweit die Städte angesehen, die in vielerlei Hinsicht eine rasante Entwicklung genommen hatten und mit einer strukturalistischen Analyse bestimmte Gemeinsamkeiten freigelegt, die diese erfolgreichen Städte verbanden. Florida nannte die Faktoren letztendlich die drei großen Ts. Diese waren Toleranz, Talente und Technologien. Und tatsächlich: Im Wissen um diese Faktoren ist in vielen Fällen augenscheinlich, dass genau Investitionen in diesen Bereichen zu Entwicklungserfolgen führen. Städte, die sich um ein weltoffenes, tolerantes Klima verdient gemacht haben, die in Logistik und Infrastruktur investiert haben und die dafür arbeiten, dass junge und qualifizierte Menschen kommen und bleiben, haben die größten Chancen, erfolgreich zu sein. Der Erfolg misst sich nicht nur hart ökonomisch, sondern auch in Kreativ- und Zufriedenheitsindizes.

Soweit, so gut. Selbstverständlich können diese Faktoren nicht gestärkt werden, wenn ganz mechanisch, ohne soziale und kulturelle Intuition daran herum geschraubt wird. Aber das ist mit allen Konzepten so. Manchmal verifizieren sich derartige Konzepte aber auch auf ganz anderen Feldern, an die weder der Finder des Zusammenhangs, d.i. Richard Florida, noch diejenigen, die sie konzeptionell angewandt haben, jemals gedacht haben. Eines dieser Beispiele ist nämlich der deutsche Fußball.

Ungefähr zur gleichen Zeit, als Florida über die Städte forschte, musste der deutsche Fußball eine Krise konstatieren, die vor allem darin bestand, dass durch die Profi-Praktiken der Nachwuchs bzw. die Nachwuchsarbeit gelitten hatte. Es gab die Millionenstars und dann wurde es schwierig. Der deutsche Fußballbund zog daraus Konsequenzen, die in hohem Maße eine Konformität zu dem Florida-Konzept vermuten lassen.

Man begann, Talente zu scouten und zu fördern, Nachwuchszentren wurden geschaffen und in hohem Maße professionalisiert. Die Betreuung sowohl dieser Zentren als auch die der Nationalmannschaft wurden detailliert geplant und mit den neuesten Technologien ausgestattet. Von Motivationstrainern, Psychologen, Physiotherapeuten, Medizinern bis zu Ernährungswissenschaftlern wurde ein ganzes Ensemble, gerüstet mit den neuesten Erkenntnissen aus Wissenschaft und Technik in den Fußball geschickt. Und letztendlich wurden die Talente, derer man habhaft wurde und die Immigranten waren, mit der Perspektive konfrontiert, eingebürgert werden und für Deutschland spielen zu können. Dazu war eine andere Atmosphäre vonnöten, als sie vor 15, 20 Jahren in vielen Stadien herrschte. Mit Toleranz- und Respektkampagnen wurde ein Klima geschaffen, das eine neue Ära einläutete.

Der vorläufige Erfolg dieser drei großen Ts war ein Fundus von ca. 50 auf Weltniveau spielen könnenden Akteueren, über die vorher noch nie eine DFB-Auswahl verfügte. Nicht die notwendige, aber die logische Konsequenz war dann der Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien, bei der das System der Toleranz, der Talente und der Technologien dermaßen Furore machte, dass mittlerweile alle renommierten Fußballverbände dieser Erde nach Deutschland kommen, um sich zwecks Kopie klug zu machen.

Es ist eine tatsächliche Erfolgsgeschichte, die etwas zu tun hat mit einem qualitativ politischen Denken. Die Namen, die vor allem mit dem Toleranzaspekt korrelieren, sind Özil, Khedira und Boateng. Andere sind gefolgt und haben das System bestätigt. Der Affront vor allem gegen Jerome Boateng, der durch seine eigene Vita, seinen Sportsgeist und sein soziales Engagement noch einmal eine besondere Qualität unter Beweis stellt, dokumentiert mit welch einem abgrundtiefen Unverständnis wegweisende, auch politisch zu reflektierende Erfolgskonzepte konfrontiert Und gefährdet sind.