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Der Dogmatismus und das Lachen

Die Schlüsselpassage in Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ ist der Dialog zwischen dem Ich-Erzähler und dem dogmatischen Klerikalen Jorge von Burgos während des Brandes in der Bibliothek. Dort geht es um die Auseinandersetzung zwischen der aufkommenden Aufklärung und der inquisitorischen Starrheit der Glaubenslehre. Der Streit machte sich fest an Karikaturen, die dazu ermuntern sollten, über das Festgefügte, nichts mehr Vermittelnde zu lachen. Jorge, der Dogmatiker, hielt das Lachen für subversiv wie illegitim. Wie die Geschichte des kirchlichen Dogmatismus ausging, wissen wir heute, so sehr sich seine Verfechter auch dagegen zur Wehr gesetzt haben. Das Lachen wurde zu einem tosenden Orkan und das ganze Gemisch aus Klerikalismus, Dogmatismus und Obskurantismus wich dem Licht der Aufklärung und ihres alles missachtenden Gelächters.

Es ist kein Zufall, dass mir diese Szene in der letzten Zeit immer wieder einfällt. Denn, ehrlich gesprochen, was aus unserem gesellschaftlichen, d.h. politischen Leben nahezu gänzlich vertrieben worden ist, ist das Lachen. Selbst das politische Kabarett stiftet nicht mehr dazu an. Die guten Kabarettisten kommen einem eher vor wie Journalisten, die endlich einmal ihre Arbeit machen. Aber mit Humor hat das alles nicht mehr viel zu tun.

Was sind das für Zustände, in denen das Lachen gewichen ist? Die Härte, die Empörung, die Belehrung und das sprichwörtliche Aufstampfen mit dem Fuß sind zu den alles beherrschenden Gesten geworden. Es scheint, als sei jener Dogmatiker Jorge von Burgos aus dem Namen der Rose wieder aus den Trümmern der Geschichte aufgestiegen, um die Lufthoheit des Dogmas zurückzuerobern und die Welt neu zu beherrschen. Und es scheint, als habe er damit großen Erfolg.

Selbst diejenigen, die gerne über die neue Welt der Dogmatiker lachen würden, bekommen es nicht mehr hin. Sie sehen die ganze Fadenscheinigkeit, die erbärmlichen Versuche der in der Garderobe der Macht Stehenden durchaus, aber ihnen fallen nicht die Karikaturen ein, die nötig wären, um diese hohle Welt zu demontieren. Stattdessen begeben sie sich in bierernster Diskurse, sie versuchen die stinkende Tradition der herrschenden Lehren zu überführen, sie wühlen nach Fakten, um Gegendarstellungen zu formulieren und sie appellieren an die Vernunft aller, die von den zur Monotonie, wenn nicht gar zur Gebetsmühle geratenen Versionen des Dogmatismus mental zerschlagen sind.

Dabei ist es das alles nicht wert. Die Ideologie, mit der das Handeln begründet wird,  ist so verstaubt wie der alte klerikale Dogmatismus, die Toleranz ist dahin, und die Zähne, mit denen die Lohnschreiber fletschen sind längst vergilbt. Es ist nicht die Zeit, um jedem Irrsinn die Stimme der Vernunft entgegenzusetzen. Es ist nicht die Zeit, sich an den dogmatischen Vorgaben abzuarbeiten. Und es ist nicht die Zeit, in tiefer Depression unter dem Tisch zu liegen und sich vor dem Ende zu fürchten.

Es ist an der Zeit, das subversive Gift des Spottes zu präparieren und sich über das steife Zeremoniell einer lausigen Propaganda hinwegzusetzen. Es ist an der Zeit, die Marionetten, die Charaktermasken, die Karrieristen und die Spin-Doktoren durch Karikaturen zu entlarven. Es ist an der Zeit, den Humor zurückzuholen. Humor und Spott sind die Medien, die immer wieder unterschätzt wurden, wenn es um den notwendigen Umsturz ging. Das war so im alten Rom, das war so im Mittelalter und das war so mit den Königshäusern. Man denke an die Hochzeit des Figaro. Da saß der letzte König Frankreichs im Publikum und lachte mit, ohne zu wissen, dass er das Opfer des Spottes war. Es ist mal wieder an der Zeit. 

Umberto Eco

Nach eigenen Worten bekam er eine Ahnung davon, was es bedeutet, unglücklich zu sein, als 1980, quasi über Nacht, der ganz große Erfolg einsetzte. Mit seinem Debütroman Der Name der Rose verdiente der Professor für Semiotik von der Universität Bologna plötzlich soviel Geld, dass er immer mehr Zeit dafür opfern musste, den neuen Reichtum zu verwalten. Das schmeckte ihm nicht, die Zeit ging weg von seinen Büchern und den damit verbundenen Studien. Umberto Ecos Welterfolg basierte auf einer Koinzidenz. Die Gesellschaften Mitteleuropas befanden sich in einem radikalen Umbruch, die alten, fest gefügten Weltbilder, die auf Industrie und Wissenschaft basierten, stürzten ein und es begann die Suche nach einer neuen Orientierung.

Genau in diesem Augenblick schrieb Eco den Roman über das Mittelalter, in dem er mit Nachdruck auf den Kampf zwischen Verstand und Mystik verwies. Der Dialog in der Bibliothek des Klosters zwischen dem Dogmatiker Jorge von Burgos und dem Franziskaner William von Baskerville gehört zu den großen Sequenzen der Aufklärungsliteratur des 20. Jahrhunderts, auch wenn er in einem anderen Zeitraum spielte. Dort lieferte sich das Dogma einen tödlichen Kampf mit dem Zweifel, der Quelle der Erkenntnis.

Im Foucaultschen Pendel, dem Roman, der folgte, hielt Eco gerade denen einen Spielgel vor, die aus dem Zusammenbruch der alten Weltbilder den falschen Schluss zogen und sich von der Vernunft abwandten. Danach gefragt, wie er auf das Thema gekommen sei, führte er lakonisch aus, dass diejenigen, bei denen gestern in den Regalen noch die Gesamtausgaben der Marx Engels Werke gestanden hätten, plötzlich die Literatur über Esoterik und Mystik aufgetaucht sei. Auch für dieses Werk erhielt er großen Applaus, aber nicht mehr so enthusiastischen, weil die europäischen Intellektuellen längst auf dem Weg waren, den er als den falschen, verhängnisvollen beschrieben hatte.

Umberto Eco war ein Maniak, der es nicht lassen könnte, nach der Wahrheit zu suchen, immer geleitet von dem scharfen Messer der Vernunft und immer kampfbereit gegen jede Form der Mystifikation. Er war mit seinen Mahnungen aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit immer mehr an den Rand gedrängt worden. Das lag auch daran, dass mit dem Niedergang der analytischen Schärfe die Fähigkeit schwand, seine Romane, die zunehmend aus der Perspektive einer höheren Ordnung verfasst worden waren, entsprechend lesen zu können. Seine Qualität blieb, die des Publikums war im Niedergang begriffen.

Umberto Ecos Themen waren immer aktuell, er befasste sich mit Zeiterscheinungen, die noch gar nicht im Fokus standen und verwies auf ihre Bedeutung und erst später wurde vielen deutlich, wie weitsichtig er war. Er befasste sich mit den kulturellen Wurzeln Europas, mit dem immer noch schlummernden und wieder ausbrechenden Antisemitismus, mit den verhängnisvollen Mechanismen des Kulturbetriebs und, wie in einem seiner letzten Essays, mit der Fabrikation des Feindes. Keines seiner Bücher war obsolet, er schrieb nichts, was nur den Markt bedient und keine gesellschaftliche Relevanz gehabt hätte.

Die analytische Tiefe seiner Bücher und die sprachliche Brillanz waren das Resultat einer umfassenden Bildung. Umberto Eco war eine Ikone für die Idee, in einer komplexer werdenden Welt handelndes Subjekt bleiben zu können, wenn man sich der Mühsal stellte, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen. Und trotz seines immensen Erfolgs blieb er ein Menschenfreund und großer Humanist. Der große, menschliche Intellektuelle aus dem roten Bologna starb gestern Abend im Alter von 84 Jahren. Europa wird ihn missen! Sehr!