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Eine neue Weltordnung?

In einem hierzulande wenig beachteten Buch beschreibt der griechische Ökonom und zwischenzeitliche Finanzminister Varoufakis die wirtschaftliche Ordnung, die die globale Siegermacht USA der westlichen Hemisphäre verliehen hat. Man entschied sich damals in Washington dafür, eine stabile Ordnung für einen kapitalistischen Weltmarkt herzustellen. Infrastruktur und Ordnung, d.h. die Etablierung von Regeln, waren demnach Aufgabe der USA. Letztere wären jedoch niemals in der Lage gewesen, den nach Produkten dürstenden Weltmarkt mit der eigenen Produktion zu bedienen. Strategisch nahezu genial war es, sich für diese Aufgabe zwei klassische Industrienationen, nämlich Deutschland und Japan, auszusuchen. Diese waren technisch, organisatorisch und von der Erfahrung her in der Lage, den Weltmarkt mit Produkten zu bestücken, aber sie waren politisch essenziell geschwächt, denn beide hatten den Krieg mit Pauken und Trompeten verloren.

Alles, vom Marshall-Plan bis hin zur NATO-Inklusion, stand unter diesem Vorzeichen und erklärt, warum die Bundesrepublik Deutschland ein Industriegigant, der zudem auf dem Rüstungssektor mit dominiert, selbst ohne kostspielige Streitkräfte auskommen konnte.

Diese Ordnung eines kapitalistischen Weltmarktes kam ins Wanken, als sich China zu den beiden genannten Produktionsstätten hinzugesellte und zu einem Stabilitätsfaktor für die amerikanische Gesellschaft wurde. Wären die billigen Waren nicht auf dem US-Markt, hätte es längst schwere Auseinandersetzungen um die Existenzgrundlagen großer Bevölkerungsteile gegeben. Die Revenuen, die China dafür erhielt, flossen jedoch nicht an die Wall Street, wie im Falle Deutschlands und Japans, sondern zurück nach Peking. Und seit der Lehman-Pleite unterblieb der Kapitalrückfluss in die USA sowohl aus Berlin als auch aus Tokio. Das brachte die USA in eine strategisch zunehmend labile Position und erklärt vieles, was dort passiert und vorher für nicht möglich gehalten wurde. „Der globale Minotaurus“, wie Varoufakis sein Buch genannt hatte, ist beträchtlich ins Wanken geraten.

Angesichts der Stringenz der Argumentation und der Strukturierung der Fakten wird auch deutlich, in welcher Misere die politische Analyse hierzulande steckt. Es scheint so, als hätte eine Nation komplett den Verstand verloren. Die Erklärungshoheit haben Historiker und Ökonomen übernommen. Nichts gegen deren jeweilige Disziplin. Die Geschichtsschreibung kann den politischen Kitt sehr gut sichtbar machen, der das interdisziplinäre Amalgam von historischen Bündnissen eine Zeit lang trägt. Die Interessenlage jedoch liegt immer in der Ökonomie zu entschlüsseln. Und solange sich eine komplette Wissenschaft als Flüstertüte für den blanken Wirtschaftsliberalismus missbrauchen lässt, solange ist von dort keine solide Erklärung für die Funktionszusammenhänge zu erwarten. Und wahrscheinlich ist das einer der vielen Gründe, warum die Theorien von Karl Marx, die er in seinem Hauptwerk „Das Kapital“ entwickelt hat, zu einer niemals mehr vermuteten Renaissance geführt haben. Das Geschwafel eines Herrn Sinn ist eine Beleidigung für den noch halbwegs funktionierenden Menschenverstand.

Statt sich vor dem Bild einer mächtig ins Stolpern geratenen Weltmacht USA, einem ungeheuer gewachsenen China und neuen Bündnissen im asiatisch-pazifischen Raum Gedanken über eine neue, vielleicht bessere, vielleicht schlechtere Weltordnung zu machen, werden die alt bekannten Sätze benutzt, in denen etwas von Verantwortung steht, die übernommen werden müsse. Verantwortung wofür? Für die letzten Großmachtphantasien einer im Niedergang begriffenen USA, die dann dank der Bundeswehr und den Zugriff auf Ressourcen im Osten zu alter Größe zurückkämen? Das sind schauderhafte Szenarien. Auch wer sich selbst belügt, landet irgendwann im Beichtstuhl. Aber das ändert dann auch nichts mehr.

Überschussrecycling und der tendenzielle Fall der Profitrate

Yanis Varoufakis. Der globale Minotaurus. Amerika und die Zukunft der Weltwirtschaft

 
Selten wurde eine Person in der deutschen Öffentlichkeit derartig verzerrt dargestellt. Es hatte weniger mit ihm, als mit seiner Rolle zu tun. Und die Legende in Deutschland stand von den faulen Griechen, die über ihre Verhältnisse gelebt hatten und jetzt nicht die Zeche bezahlen wollten. Und dann kam aus der Syriza-Regierung plötzlich ein neuer griechischer Finanzminister daher, selbstbewusst, ohne Krawatte, aber mit Motorrad und lachte das vereinigte Konsortium der tatsächlichen Bankenretter einfach aus. Das war für viele der Zunft unerträglich und dabei ging die Wahrheit über Varoufakis unter. Er seinerseits hatte eine unzweifelhafte Reputation als Wirtschaftswissenschaftler und bereits in Sydney, Glasgow und Cambridge gelehrt. Und was die Zusammenhänge der Weltfinanzkrise anbelangte, da gehörte er wohl zu den versiertesten Analytikern.

In seinem Buch „Der globale Minotaurus. Amerika und die Zukunft der Weltwirtschaft“, das 2015 erschien, wandte er sich zum ersten Mal an ein größeres Publikum und versuchte die Begebenheiten, die nicht nur sein Land und Europa, sondern vor allem die USA und den Rest der Welt in eine massive Finanzkrise gestürzt hatten, zu entschlüsseln. Das ist ihm gelungen, obwohl alles sehr komplex ist und trotz der einfachen und erklärenden Sprache dadurch nicht einfacher wird.

Methodisch brilliert Varoufakis durch den Umstand, dass er zwei mit einander verbundene systemische Krisenfaktoren analysiert, sie historisch einordnet und daraus abgeleitet die richtigen Fragen stellt.

Beim ersten Faktor handelt es sich um den Globalen Mechanismus zum Überschussrecycling (GMÜR). Dabei handelt es sich um den globalen Plan der USA nach den vorangegangenen Weltfinanzkrisen. Mit der Etablierung Deutschlands und Japans wurden wareproduzierende Länder geschaffen und protegiert, die global die Konsumgüternachfrage befriedigen konnten, ihre Kapitalüberschüsse aber dennoch in der Wall Street anlegten, was die USA, den globalen Minotaurus, trotz Handelsbilanzdefizits dazu befähigte, Dollars nach Belieben zu drucken.

Und der zweite Faktor ist einer der Kernsätze der Kapitalanalyse von Karl Marx, der bis heute wirkt und den immer höheren Kapitalaufwand immer weniger entschädigt. Es handelt sich um den tendenziellen Fall der Profitrate. Der durch die Konkurrenz und den technischen Fortschritt begünstigte permanente Rationalisierungsprozess dezimiert die am Wertschöpfungsprozess beteiligten Menschen und reduziert somit die Quellen des Gewinns.

Obwohl alle bisherigen Weltfinanzkrisen die gleichen Ursachen hatten und obwohl sie immer damit endeten, dass die Regierungen der ramponierten Länder versuchten, die Banken und ihre außer Rand und Band geratenen Zocker an die Leine zu nehmen, muss das Jahr 2008 als Scheitelpunkt betrachtet werden. Die Systemkrise hat eine derartige Qualität angenommen, dass ein systemimmanentes Krisenmanagement keine Luft mehr verschaffen kann. Ganz im Gegenteil: Von Washington bis Berlin wurden Hilfspakete für die Banken geschnürt, statt sie zur Räson zu rufen. Die Quintessenz aus Varoufakis´ Szenario ist das Ende des kapitalistischen Finanzmarktes in seiner jetzigen Form und damit das Ende der kriegerischen Pax americana. Ob damit ein chinesisches Zeitalter anbrechen wird, ist nach Varoufakis noch ungewiss.

Der globale Minotaurus ist eine exzellente Analyse der Weltwirtschaft, die trotz ihrer Verständlichkeit nicht darauf verzichtet, komplexe Details zu beleuchten. Und das Buch zeigt durch seine Qualität auch, wie wenig in der propagandistisch verpesteten Berichterstattung noch darauf verzichtet wird, dem seriösen Bild der handelnden Akteure gerecht zu werden. Noch ein Grund, sich der Lektüre zu widmen.