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Tägliche Nachrichten existieren nicht mehr

Manche Kategorien sind überflüssig geworden. So etwas wie tägliche Nachrichten existieren nicht mehr. Kennzeichnete man das, was in den Journalen gemeldet wird, entweder als irrelevanten Trash oder als nächstes Schreckgespenst auf dem Weg in die Tiefe, läge man wahrscheinlich gar nicht so falsch. Es wird immer mehr zum Rätsel, welcher Geist die Nachrichtenredaktionen treibt, wenn sie sich überlegen, womit sie den Plebs am nächsten Morgen überraschen wollen. Das ist immer ein Bündel Ideologie, wenn politisch gravierende Ereignisse mit der ätzenden Schicht der Doppelmoral überzogen werden. Und da ist das Belanglose im Superlativ, wenn es um die Insolvenz eines Briefmarkensammlers im fernen Panama geht. Der Eindruck soll erweckt werden, dass die abgedunkelten Leuchttürme des Journalismus alles im Blick hätten.

Filtert man den belanglosen Unsinn heraus, der immer dazugehört, um alles nicht allzu schlimm erscheinen zu lassen, dann ist das Substrat eine tödliche Mischung. In jeder Hinsicht. Kriege sind hierzulande Normalität geworden, unabhängig davon, wer sie anzettelt. Immer dabei ist die Devise. Und die Rolle in diesem Spiel der ethischen Verkommenheit wird dann die Übernahme von Verantwortung genannt. Verantwortung, ernst genommen, ergreifen sie eigenartigerweise im Alltag, in der Routine nicht. Entscheidungen, die notwendig sind, werden nicht getroffen. Da macht man sich einen schlanken Fuß. Geht es allerdings um ein globales Inferno, das man dabei ist mit zu entfachen, entdecken diese Hasenherzen plötzlich das große Wort.

Und diejenigen, die in einer Art mentalen Betäubung den ganzen Unsinn über sich ergehen lassen, ohne aufzustehen und zu rebellieren, werden vermutlich erst dann zu Verstand kommen, wenn der Stellungsbefehl für sie selbst oder ihre Kinder ins Haus schneit. Dann geht es nicht mehr um die Gurgel irgendwelcher Ukrainer oder Russen im vermutet fernen und Palästinenser wie Israelis und Libanesen im so genannten Nahen Osten, sondern um das eigene Fell. Ist der Brief mit der Einladung für den Fleischwolf jedoch erst einmal im Haus, wird es zu spät sein. Dann kommt die Rechnung für das große Mundwerk am Ring des Geschehens ohne Möglichkeit der Verweigerung. Bestellt haben das andere, fragen Sie sie im Ernstfall bitte nochmal nach ihrer Verantwortung.

Die Gewöhnung an die täglichen Unmöglichkeiten, an den ganzen Irrsinn der öffentlichen Argumentation, mit ihren ausstaffierten und geschminkten Sprachautomaten, die in einem Friseursalon gut unterbracht wären, aber nicht an der Rädern des Weltgeschehens, versetzt das Publikum auf Sicht in den Zustand der eigenen Unzurechnungsfähigkeit. Und wir sind kurz davor, dass diese Phase erreicht ist. Mit dem propagandistischen Großprojekt, das seit einem halben Jahrzehnt läuft und das den demokratischen Konsens der Vorzeit mittlerweile zu extremistischen Verschwörungstheorien deklariert hat, wird ein wahrhaftes Gemetzel gut vorbereitet sein. 

Sollte es zur eigenen Kriegsbeteiligung kommen, mache man sich keine Illusionen: Konventionell militärisch sind die Russen in den sprichwörtlichen 15 Minuten auf dem Kurfürstendamm. Die post-heroische eigene Truppe wird es mitnichten richten können. Und atomar steht das Großmaul leer da. Denn der Verbündete denkt zunächst einmal an sich. Übrigens wie alle vernunftbegabten Wesen. Im Nachhinein, wenn es ein solches geben wird, wird man zu der. Auffassung gelangen, dass etwas mehr Demut in der internationalen Politik einem Konstrukt wie Deutschland und der EU ganz gut zu Gesicht gestanden hätte.  Aber zunächst das Gemetzel. Am Steuer steht bekanntlich eine Bombentruppe, die das Ziel nicht verfehlen wird! 

Spalten kann man überall!

In einer Diskussion über den Jugoslawienkrieg und den gegenwärtigen Status des Kosovo, alles übrigens das Resultat einer völkerrechtswidrigen Aktion von USA und NATO, kam eine sehr interessante Frage auf, die weit über das angerichtete Debakel hinausgeht. Sie befasste sich mit dem Thema der möglichen Spaltung von Bevölkerungsteilen, die auf dem gleichen Areal leben. Um das zu begreifen, ist es ratsam, von den heute emotionsgeladenen Konflikten etwas Abstand zu nehmen und sich so genannte befriedete Konflikte anzusehen. 

Das Ergebnis war profan wie einleuchtend. Nahezu überall auf der Welt existieren Erzählungen über Ungerechtigkeiten, Verletzungen oder Übergriffe von Bevölkerungsteilen, die letztendlich zusammengefunden haben. Überall schlummert ein gewisses Ressentiment, das die unterschiedlichsten Quellen hat. Wo Sunniten und Schiiten leben ist es genauso zu beobachten wie bei Katholiken und Protestanten, bei Süd- und Nordstaatlern, bei Angestammten und Migranten, bei Muslimen und Christen, bei denen von Festland, denen von der Insel oder denen aus den Bergen. Überall hat sich die Welt in stetigem Wandel befunden und Menschen aus unterschiedlichen Entitäten gemischt. Und in den meisten Fällen fand irgendwann eine Befriedung statt, und manchmal führte es zu großer Blüte. Um nicht so weit auszugreifen, sei auf die Passage in Zuckmayers Des Teufels General verwiesen, in der der General Harras das Rheinland beschreibt:

„Vom Rhein – noch dazu. Vom Rhein. Von der großen Völkermühle. Von der Kelter Europas! Ruhiger Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant – das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt – und – und der der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald und – ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt – wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. Vom Rhein – das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel. Das ist Rasse. Seien Sie stolz darauf…“

Derartige geographisch eingrenzbare, durch ihre kulturelle, ethnische und ideelle Beschaffenheit einzigartige Gebilde existieren in vielen Teilen dieser Erde. Und, wie wir wissen, kann aus der Blüte schnell eine Hölle werden, wenn an diesem Gemisch rassistisch, religiös, ethnisch oder wie auch immer gezündelt wird. Das sah man in Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg genauso wie jetzt im Ukrainekrieg. Spalten, so die Quintessenz, spalten kann man überall.

Im Umkehrschluss bedeutet es, dass, wenn man genug Macht und Einfluss hat und einem die nötigen Mittel zur Verfügung stehen, immer in der Lage sein wird, aus einem positiven Entwicklungsprozess eine toxische Problemmischung zu machen. Und, sieht man sich die Konflikte der letzten Jahrzehnte an, dann ist es auch immer so gewesen.

Man sollte, so war die einhellige Meinung in der Runde, jedoch nicht bei der Schuldzuweisung gegenüber denen, die die toxische Mischung jeweils angerichtet haben – und da, so leid es einem tun mag, liegt der Werte-Westen mit seinem Dominanzgehabe ganz weit oben in der Liste – stehen bleiben, sondern sich der Frage zuwenden, was funktioniert dort, wo die Spaltung nicht gelingt, besonders gut? 

Ist es ein demokratischer Konsens, ist es eine anti-koloniale Gemeinsamkeit, ist es die kollektive Erinnerung an eine Katastrophe, oder ist es ein Projekt, von dem geglaubt wird, dass es zu einer besseren Zukunft führt? Entscheidend ist, an den Faktoren zu arbeiten, die gegen die toxischen Versuche, zu spalten und zu entzweien, immunisieren.