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Demokratie: In der Falle

Da ist eine eigenartige Entwicklung im Gange. Entgegen aller Warnungen aus dem Munde großer Vordenker der westlichen Demokratie, von Voltaire bis Benjamin Franklin, von Rousseau bis Montaigne, läuft hier eine Show, die alle bisherigen Annahmen Lügen straft. Die Ikonen des politischen Systems der Demokratie hatten allesamt davor gewarnt, den Schutz und die Sicherheit über das Recht und den Geist zu stellen. Andernfalls, so wussten sie, und womit sie Recht hatten, geht jede Demokratie zugrunde.

Besieht man sich die gegenwärtige Entwicklung, hier, in unserem Land besonders, dann befinden wir uns in einem Prozess, in dem ein Großteil der politischen Vertreter die Koordinaten völlig aus dem Kopf verloren hat. Um es, ganz klassisch wie banal, noch einmal zu formulieren: Das Recht steht über der Maßregelung, die politischen Vertreter sind Gesandte des Volkes auf Zeit. Sie haben zum Wohle des Souveräns zu regieren. Die Gelder, mit denen sie das tun, kommen aus den Kassen ihrer Auftraggeber und sind so zu verausgaben, wie die Auftraggeber es für sinnvoll halten. Angriffe auf das Modell des Zusammenlebens sind nach der Devise zu behandeln: Recht vor Sicherheit und nicht umgekehrt!

Sehen wir uns die Zustände an, die mittlerweile herrschen, dann muss festgestellt werden, dass sich der Rechtsstaat längst zu einem Gesetzesstaat entwickelt hat. Die Regelung steht vor dem Recht. Die Volksvertreter fühlen sich nicht an das Begehren gebunden. Sie halten ihre Wählerschaft für ein geistig minderbemitteltes Klientel, das die Komplexität der Welt nicht versteht und belehrt werden muss. Und wenn Abgeordnete in Serie auf ihren Instagram-Kanälen wie die Nikoläuse auftreten, die den staunenden Kindern Geldzuwendungen vom Bund als ihre Wohltat präsentieren, obwohl es sich um Steuergelder handelt, die sie selbst nicht erwirtschaftet haben, und wenn höchste Amtsträger auf internationalem Parkett davon reden, dass es ihnen egal ist, was ihre Wählerschaft in Fragen von Krieg und Frieden hält und so etwas in Serie ohne Folgen bleibt, dann stellt sich aktuell nicht mehr die Frage nach dem Zustand der Demokratie. Sie ist auf dem Hund.

Dass der enttäuschte und tatsächlich durch die Chuzpe überforderte Souverän etwas dagegen tun möchte, liegt auf der Hand. Und, als kleiner Hinweis an die unbelehrbaren und selbstherrlichen, aber immer noch sehr irdischen Volksvertreter, erstens ist die Bevölkerung nicht so dumm, wie Sie das meinen und zweitens ist Ihre eigene Qualität nicht durch die Anwesenheit in vom Niveau her unterirdischen Talk Shows dokumentiert. Das kann nicht gut gehen.

Zur Frage, was der Souverän in solchen Fällen macht? Im Moment hebt er das Stoppschild. Auf dem steht, unabhängig von den Erkenntnissen über ein Bündnis, das dem Land mehr schadet als nutzt, Kein Krieg! Raus da, Schluss mit dem Proxy Krieg, hinter dem die USA gegen Russland steht!

Und, das als Hinweis an alle, die es hören wollen, die Intelligenz derer, die von einer Wahl zur nächsten abgestraft werden, dieses einfache wie plausible Signal verstehen sie nicht. Oder es existiert eine weitere Abhängigkeit, die größer ist als die vom Souverän. Entweder sie sind sehr begriffsstutzig oder sie haben keinen Charakter und keine Haltung. Oder beides. Mitgefühl können sie allerdings nicht erwarten. Auch wenn sie in der Falle sitzen. Dafür haben sie sich zu unbotmäßig aufgeführt.

Süßes Gift

Das geflügelte Wort Voltaires, das besagt, nicht mit dem Gegenüber einer Meinung zu sein aber alles dafür tun zu wollen, dass es das Recht behielte, diese kundzutun, wird nicht umsonst in diesen Tagen immer wieder zitiert. Es hat, um gleich zur Sache zu kommen, eine bittere Aktualität. Denn das, was die mittlerweile als inquisitorischer Hexenhammer etablierte Empörungskultur leistet, hat mit den individuellen Freiheiten, die die bürgerliche Demokratie zu gewährleisten vorgibt, nichts zu tun. Obwohl auf der einen Seite von einer Individualisierung der Gesellschaft gesprochen wird, ist gerade das Recht, sich als Individuum zu entscheiden, als eine blasphemische Abart in Verruf zu kommen. 

Insofern ist das, was als Individualisierung so gerne bezeichnet wird, auf der einen Seite die Befreiung von einer Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft zu verstehen und auf der anreden Seite die Segnung von Raffgier und Egomanie. Das Recht, sich zu äußern, auch wenn es dem vermeintlichen gesellschaftlichen Konsens widerspricht, ist damit nicht gemeint. Wer sich gegen das, was als die Meinung der Regierung und ihrer Unterorganisationen stellt, wird zum Paria.

Die Opfer haben Namen, sie heißen Jan Joseph Liefers, Nena oder Joshua Kimmich. Ihre Vergehen, folgt man der geifernden Konsensmeute, sind mal das konkrete Vorgehen der Regierung in Frage zu stellen, mal an die Menschen zu appellieren, zu überlegen, was sie mit sich machen lassen und mal sich dafür zu entscheiden, eine abweichende Meinung in der Impffrage zu haben. Was jeweils folgte, war die Heilige Inquisition neudeutscher Färbung. Betrachtet man die „Vergehen“, derer sich die Erwähnten schuldig gemacht hatten, so kommt man sehr schnell zu dem Schluss, dass sich da nicht mehr abgespielt hat als die Meinungsdiversität in einer demokratischen Gesellschaft. 

Da letzteres aber zum Normalfall geworden ist, muss geschlussfolgert werden, hapert es gewaltig in Sachen Demokratie. Machen wir uns nichts vor: die Zeiten der Freiheit liegen hinter uns und die Konditionierung der Bevölkerung auf mentale Hinrichtungsrituale bei Petitessen und dem Verschweigen und Bagatellisieren von gravierenden Unrechtshandlungen oder offensichtlichem Regierungsversagen haben eine Gesellschaft geschaffen, die nicht mehr Lage ist, ihren eigenen Idealen zu folgen und die sich zudem noch anmaßt, anderen in der Welt vorzuschreiben, wie sie zu leben haben.

Die bittere Wahrheit kristallisiert sich immer mehr heraus, dass die Befürchtungen, die sich bei vielen Nationen bei der deutschen Wiedervereinigung regten, ihre Berechtigung hatten. Das Kuriose dabei ist die Tatsache, dass die damals befürchtete Entwicklung, Deutschland würde sich zu einer Großmacht klassischer Erscheinung entwickeln, die mit mehr Geld, mehr Militär und mehr  Machtgebaren in der Welt um Anteile kämpft, nicht exklusiv eingetreten ist. 

Das Imperiale, mit dem aus Deutschland nun die Welt beglückt wird, trägt nicht nur Uniformen, sondern es zitiert die Wissenschaft, hat das Gesicht junger Frauen und appelliert, die Menschenrechte einzuhalten und und die Lebensgrundlagen zu erhalten. Nicht schlecht, könnte man denken, wenn es nicht getränkt wäre von Autoritatismus, von latentem oder offenen Militarismus, von der Akzeptanz von Kriegen im Namen von vermeintlichen Werten, die im eigenen Land nicht mehr gewährleistet sind, von Dogmatismus, von sozialem Egoismus und einer Verabscheuung all dessen, was erforderlich ist, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten: Gemeinschaft.

Es ist ein süßes Gift, mit dem der neue deutsche Imperialismus an der Ecke steht und dealt. Aber es bleibt Gift, und die Dosen, mit dem es gehandelt wird, sind tödlich.  

Das Jonglieren mit den Werten

Es gibt Situationen, in denen das angemessene Vokabular sehr lange auf sich warten lässt. Meistens passiert so etwas dann, wenn das zu Beschreibende für denjenigen, der es beobachtet, absurd, widersinnig oder auch ekelhaft erscheint. Die These sei aufgestellt, dass die mentale, kulturelle und die beschriebene politische Krise auch damit zusammenhängt, weil die Momente, in denen es den Betrachtenden einfach die Sprache verschlägt, signifikant zugenommen haben. 

Das Gute, auch das sei einmal erwähnt, ist die Tatsache, dass es immer noch genügend Menschen gibt, die so etwas wie eine formale Logik besitzen. Sie sind in der Lage, Dinge zu beschreiben, sie zu vergleichen und Folgerungen zu ziehen. Das scheint diejenigen, die von Machtinteressen angetrieben und bestimmt werden, nicht mehr sonderlich zu stören. Und genau darin liegt das Problem. Der flächendeckende Protest wird mit einer Intensität vorbereitet, der seinesgleichen suchen wird.

Um ein Beispiel anzuführen, das aktuell und noch nicht in allen Medien und Foren durchdekliniert wurde. Gestern demonstrieren in der albanischen Hauptstadt Tirana viele tausend Menschen gegen die Regierung. Der große Zorn einer wachsenden Oppositionsbewegung nährt sich aus einer immer noch bestehenden undurchsichtigen Bürokratie, die vor allem durch den Gedanken der Korruption definiert wird. 

Insofern handelt es sich dabei um eine gute und nachvollziehbare Sache. Dass diese Bewegung ihre strahlende Zukunft immer mehr mit einer EU-Mitgliedschaft verbindet, ist ein Illusionsfaktor, denn die Beseitigung der Korruption kann, wenn überhaupt, nur aus eigenen Anstrengungen geschehen. Und das Dumme bei der Sache ist die Anerkennung der bestehenden Regierung von EU und den USA. Am Rande der erwähnten Demonstration kam es übrigens vereinzelt zu so genannten Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften und Protestierenden. Das Bemerkenswerte daran ist der Kommentar der us-amerikanischen Botschaft in Albanien dazu: Das Agieren der Opposition sein nicht angemessen, da sie als eigenes Ziel die Stärkung der Demokratie anstrebe.

Zum gleichen Zeitpunkt wurde bekannt, dass in der us-amerikanischen Hauptstadt Washington die Stadtwerke der venezolanischen Botschaft erst die Elektrizität, und dann das Wasser abgedreht haben. Zudem wurde Menschen, die die Botschaft betreten wollten, um damit ihre Unterstützung zu demonstrieren, gewaltsam daran gehindert. Es handelt sich dabei um eine gravierende Verletzung internationaler Konventionen und ist Teil einer aggressiven Interventionspolitik gegenüber einem souveränen Staat. Die andren Maßnahmen, die sich direkt gegen venezolanisches Territorium richten, seien hier nicht noch einmal erwähnt. Und ein Kommentar, ob es sich dabei um die Stärkung der Demokratie handelt, erübrigt sich von selbst. 

Die offene Chuzpe, mit der die jeweiligen Interessen in den Rahmen von Demokratie, Menschen- oder Völkerrecht gestellt werden, hat durch die Vorgehensweise ihre Wirkung eingebüßt. Das Bedauerliche daran ist der Gewichtsverlust der Argumente, die sich tatsächlich auf Ideen wie Menschenrechte, das Völkerrecht oder die Demokratie berufen. Das Wichtige dabei ist, zu durchschauen, dass diejenigen, die die mit den zitierten Begriffen assoziierten Werte für sich beanspruchen, das Gedankengut ad absurdum führen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Sie jonglieren mit den Werten, um das Publikum vom wahren geschehen abzulenken.

Die viel beklagte Krise der Werte westlicher Staats- und Rationalitätsgedanken ist nicht durch irgendwelche Amok laufenden Individuen aus den Rändern der Gesellschaft bereitet worden, wie immer wieder suggeriert wird, sondern durch das Handeln der politisch Verantwortlichen. Wer sich ständig auf das Völkerrecht in einem Fall mit erhobenem Zeigefinger beruft und im anderen Fall nur arrogant mit den Schultern zuckt, hat sich das Recht erworben, als Ursache für den Verfall genannt werden zu dürfen.