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Demokratie: Hysterie und harte Fakten

Wenn ich an meine Zeiten als Wahlhelfer zurückdenke, fallen mir viele Geschichten ein. Zum einen die derjenigen, die da in meinem Viertel zur Wahl kamen. Die unterschiedlichsten Menschen mit sehr verschiedenen Lebensgeschichten. Eingebrannt haben sich mir diejenigen, die noch die Nummern aus den KZs auf dem Arm tätowiert hatten. Zumeist waren es Sinti, die mit einer Art Genugtuung und Stolz zur Urne gingen. Und da waren die mit den Trachtenanzügen, von denen man ahnen konnte, wen sie wohl wählen würden und nach welchen Zeiten sie sich zurücksehnten. Und die Freaks, die immer ein bisschen ungläubig wirkten und sich fragten, ob so eine Wahl überhaupt Sinn machte, die aber trotzdem genauso kamen wie die, für die das Wählen als die erste Bürgerpflicht galt und auch diejenigen, die sehr gut wussten, was geht und wo die Illusion beginnt.

Und selbstverständlich erinnere ich mich an die Auszählungen. Eine gewisse, geringe Anzahl von Stimmzetteln war bewusst als ungültig gestaltet, auf anderen fand sich mal das Emblem von Hammer und Sichel, mal ein Hakenkreuz und es fanden sich Bemerkungen wie „Sieg im Volkskrieg“, „Heil Hitler“, „Alle Macht den Räten“ oder auch „Freibier für alle“. Wahlzettel, die so gekennzeichnet waren, wurden als ungültig registriert und fertig. Niemand wäre auf die Idee gekommen, anlässlich derartiger Vorkommnisse die Ermittlungsbehörden einzuschalten oder sonst etwas zu tun. Es stand auch nicht in der Presse. Es gehörte zum Verständnis der Prozedur, dass es immer Menschen gibt, die entweder die Wahl für überflüssig, oder die anstehenden Kandidaten oder Parteien als nicht wählbar erachteten und die ihre gegenwärtige Ohnmacht dokumentieren wollten.

Angesichts der heutigen Hysterisierung unserer Gesellschaft kommen mir diese Zeiten vor wie die goldenen der damaligen Demokratie. Man ging mit Unwillen, so schrill er auch formuliert war, sehr souverän um. Was heute für viele Menschen als ein Fall für den internationalen Gerichtshof in Den Haag erscheint, wurde damals mit einem trockenen „ungültig“ der Statistik beigefügt.

Die alle Lebensbereiche durchdringende Hysterie ist ein starkes Indiz für die Schwäche der allgemeinen Verfasstheit. Und wenn von der allgemeinen Verfasstheit die Rede ist, dann ist selbstverständlich damit auch das politische System gemeint. Der Eindruck lässt sich nicht leugnen, dass, je lauter die Rettung der Demokratie beschworen wird, desto fragiler ihr tatsächlicher Zustand ist. Eine starke, in sich gefestigte Demokratie, geht mit anderen Vorstellungen der politischen Konstitution gelassener um. Da gibt es kein Lamento, kein Aufbauschen von tatsächlichen Petitessen und kein Schreien nach Verboten. Da ginge es, würde es sich um eine kühle Analyse der Verhältnisse handeln, um die Frage, welche entscheidenden unterschiedlichen politische Positionen bei welchem Kontigent der Wählerschaft zu Ablehnung oder Zustimmung führt. Doch wenn diese Sichtweise von einem Großteil der politischen Konkurrenz als unerheblich betrachtet wird, dann ist die Wurzel der Krise genau dort zu suchen. 

Die Volksvertreter in dem hier diskutierten Modell sind die für einen bestimmten Zeitraum legitimierten Interessenswahrer derer, die sie wählen. Wenn die Mandatsträger  dieses, in zunehmend größeren Anteilen, als eine irrelevante Betrachtungsweise ansehen, dann hat sich das politische System überlebt. Und da helfen dann auch keine hysterischen Bacchanale. Die sind dann nur noch inszeniert, um von dem eigentlichen Elend abzulenken. In der Demokratie geht es nicht um Hysterie, sondern um harte Fakten.

Demokratie: Hysterie und harte Fakten

Wahlkampffetzen

Fragt man den so genannten kleinen Mann auf der Straße, und selbstverständlich darf es auch eine Frau sein, was er von dem hält, was sich als Wahlkampf vor ihm darbietet, so sind die Urteile zumeist vernichtend. Denn, und da bin ich ganz bei den kleinen Leuten, die wesentlich mehr Verstand besitzen, als ihnen von verschiedenen Seiten zugetraut wird, das, was sie da sehen und erleben, gefällt ihnen gar nicht. Es beginnt bei den Versprechungen, die, wenn man genau hinsieht, in nur sehr wenigen Fällen die Chance auf Verwirklichung haben. Und es geht weiter bei den Plakaten, die Texte aufweisen, als befände man sich bei einem dadaistischen Happening. Zumeist handelt es sich um Allgemeinplätze, die an Unsinnigkeit und Abstraktion kaum zu überbieten sind, die allerdings gemein haben, dass sie haarscharf an den konkreten Lebensbedingungen derer, die sie ansprechen wollen, vorbeischlittern. Dass der Mist, der da den öffentlichen Raum kontaminiert, zumeist gar nicht aus den Parteizentralen kommt, sondern ein teurer Einkauf aus Werbeagenturen ist, die verstehen, wie man Hilfe Suchende um den Finger wickelt und ihnen debilen Schund als psychologische Wunderwaffe andreht.

Auf der anderen Seite verwundert es die Beobachter von den schlecht asphaltierten Straßen, mit welcher Selbstaufgabe die um ein Mandat Werbenden unterwegs sind. Vieles von dem, auf das sie sich einlassen, hat mit persönlicher Würde kaum etwas zu tun. Ob es sich um irgendwelche, quizartigen Befragungen im TV geht, wo sie kaum ihre Standpunkte vertreten können bis hin zu den beliebten wie dämlichen Stichwortspielchen, wo Bewerberinnen um ein Mandat im Auftrag der Wähler, mit einem Wort oder in wenigen Sekunden antworten müssen. In der Antike wären bei solchen Sottisen die Scherben geflogen. Es zeigt, wie weit wir von dem charmanten Gedanken der Demokratie entfernt sind. Dort gab es auch Losverfahren, wo es jeden für einen bestimmten Zeitraum treffen konnte, für das Wohl der Gemeinschaft tätig werden zu müssen wie zu dürfen. Hier jedoch, in der euphemistisch genannten Welt der Dinge, wird das Abhalftern von Volksvertretern in spe noch als demokratische Tugend verkauft.

Und sie machen mit. Und diese Frage beschäftigt. Wie kann es sein, dass Menschen, die nicht unbedingt auf den Kopf gefallen sind, sich derartigem Schwachsinn unterwerfen? Dass sie alles mitmachen, weil es sein könnte, dass die Hyänen der für eine fiktive Öffentlichkeit produzierten Meinung Menschen dazu bringen, auf jede dumme wie entwürdigende Frage zu antworten? Und wie kommt es, dass niemand den Spieß umdreht und die Lohnschreiber mit geliehener Macht einmal in die Schranken weist? Die berühmten kleinen Leute vermissen nicht nur glaubhafte Antworten, sie vermissen ebenso ein gewisses Selbstwertgefühl und Haltung. Deshalb tauchen immer wieder Namen aus der Geschichte auf, die ein solches Gefühl noch vermittelten. 

Anscheinend ist etwas dran an der oft gehörten These, dass viele derer, die sich dort bewerben, materiell keine Alternativen besitzen oder psychopathologische Krankheitsbilder aufweisen oder auf die beides zutrifft, was sie dazu veranlasst, sich so behandeln zu lassen. Wenn man einen Rat an die geben könnte, die es halbwegs ernst meinen mit einem solchen Mandat, dann wäre es der, derartige Veranstaltungen zu sprengen und tatsächlich politische Ziele zu benennen, um die es ihnen wirklich geht. Auf der erwähnten schlecht asphaltierten Straße wäre Jubel zu hören. Und es wäre keiner, über den man sich erheben sollte. Denn wer die eigene schlechte Behandlung in Kauf nimmt, lässt das auch bei anderen zu. Das weiß der „kleine Mann“. Sehr genau! 

Demokratie: Wir sind hier nur zu Gast?

Was für ein fatales Szenario! Diejenigen, die sich in der Vergangenheit gegen den Krieg als Mittel politischer Konflikte gaben, haben sich zu zähnefletschenden Kriegshyänen entwickelt und diejenigen, die durchaus den Krieg als ein Mittel der Artikulation politischen Willens betrachteten, sitzen wie die Täubchen in der Kulisse und summen Friedenslieder. Die Vehemenz, mit der die neuen Apologeten des Krieges auftreten, resultiert aus ihrem Verständnis, dass es gerechte und ungerechte Kriege gibt und selbstverständlich ist die eigene Parteinahme eine gerechte. Und die neue Stimme des Friedens, die sich als Resonanz der großen Mehrheit wähnt, argumentiert mit dem nationalen Interesse. Die einen sprechen von Werten und sorgen für astronomische Steigerungsraten des Mehrwerts von Rüstungsunternehmen und die anderen argumentieren mit Interessen hinsichtlich der Lebenshaltung und der energetischen Nöte der Wirtschaft. Und eine Prognose sei gewagt: diese beiden Fraktionen werden nicht mehr zueinander finden!

Denn das ist es, worum es geht: Soll die Politik die Interessen eines Großteils der Bevölkerung vertreten oder existiert etwas Höheres, Metaphysisches, um das es geht? Schaut man genau hin, dann sind auch die ideellen Ziele der Kriegsfraktion nichts anderes als materielles Interesse. Es geht um Öl, um Gas, um Weizen und um Manpower. Alles wird gebraucht, um den einzigen Wert zu vergrößern, nach dem zumindest die zur Zeit akkreditierten Agenturen streben, nämlich den Mehrwert. Nur ein Beispiel, und damit nicht der Eindruck entsteht, es ginge hier exklusiv um die Ukraine und Russland. Im gegenwärtigen Gaza-Krieg sind mittlerweile über 100 Journalistinnen und Journalisten ums Leben gekommen. Neben den tausenden von zivilen Opfern, die noch Jahrzehnte beklagt werden werden und die dafür sorgen, dass der Frieden dort keine Chance haben wird, geht es um einen zumindest in der Vergangenheit der westlichen Welt existenziellen Wert. Die freie Meinung, die freie Berichterstattung, die unabhängige Sicht der Dinge. Dass hierzulande kein Hahn danach kräht, dokumentiert, dass es hier so etwas kaum noch gibt. Um im Bild zu bleiben: die hiesigen Hähne stehen gut gemästet bewegungslos in der Batterie.

Gestern schrieb mir eine alte Bekannte, die Wahlen in Thüringen und Sachsen erinnerten sie an das Jahr 1932. Sie ist Mitglied der Partei, die den Kanzler stellt und der vielleicht zum Symbol für die Art von Politik in die Geschichtsbücher eingehen wird, die den Paradigmenwechsel von einer Politik der Interessenvertretung der eigenen Bürgerschaft hin zu einer Allianz, deren Wirken die eigenen Fundamente erheblich beschädigt. Wie das Spiel ausgehen wird, ist ungewiss. Dass es allerdings nicht so weitergehen wird und die jetzigen Akteure mangels Zustimmung sehr schnell verschwinden werden, ist sicher. Die Tragik dieses Kanzlers wird sein, dass er vielleicht gar nicht zu den Scharfmachern gehört, denn die sitzen hinten in den woken Requisiten, aber bei dem Versuch einer Moderation zwischen Allianz und staatlichem Eigeninteressen krachend gescheitert ist.

Die Reaktionen aller Beteiligten auf die Wahlergebnisse in diesen beiden Bundesländern zeigt, dass so weiter gemacht wird, wie bisher. Das spricht für Eskalation, für Unregierbarkeit, für massiven Überdruss in der Bevölkerung und den Vertrauensbankrott des politischen Systems. Der vielleicht größte Irrtum, der bei einem Teil der aktiven Politik vorherrscht, ist der Glaube, dass er identisch ist mit der Demokratie bzw. diese ihm gehöre, und die anderen nur zu Gast seien. Ein gesichert tödlicher Irrtum!