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Das Milieu

Kürzlich wurde ich daran erinnert, dass es sich nicht schickt, einzelne Personen als konkrete Individuen aufs Korn zu nehmen. Dem stimme ich in der Regel zu, denn ein vernunftgesteuerter Diskurs bemüht sich um Klarheit in der Sache. Wie es sich um ein bestimmtes Milieu ausnimmt, ist meines Erachtens von dieser Trennung nicht berührt. So sah ich dieser Tage einen Eintrag in den völlig verharmlosend genannten sozialen Medien, dass sich Vertreter unterschiedlicher Parteien, aber eines bestimmten sozialen Milieus, getroffen hatten, um sich über semantische Spezereien in der Titulierung bestimmter Bevölkerungsgruppen intensiv auszutauschen. Das war so ein Moment, wo ich mir die Frage stellte, wie es um ein Milieu bestellt ist, das permanent von Werten und Demokratie redet, das jede Maßlosigkeit der Selbstverteidigung akzeptiert, auch wenn dabei Massaker verübt werden, die an das Treiben der deutschen Wehrmacht in Russland erinnern, die mit jedem Atemzug dem ungezügelten Waffenexport frönen, die tatsächlich ohne Rechtsgrundlage politisch Inhaftierten ihren blasierten Rücken zuwenden, die Rassisten und völkischen Maulhelden den Heldenstatus verhängen und die sich nicht zu schade sind, mit Mördern im strikt kriminellen Sinne Geschäfte zu machen? 

Die Antwort ist klar und deutlich: dieses Milieu ist die Rückkehr eines faschistoiden Geistes, wie ihn die Republik noch kannte, als ausgerechnet deutsche Politiker sich daran machten, aus der militaristisch-desolaten Geschichte zu lernen. Damals ging es um die Ostverträge, d.h. die vertraglichen Regelungen über die Realitäten eines verlorenen Krieges und den Versuch, einen friedlichen Modus Vivendi in Europa zu finden. Ich kann mich noch an Veranstaltungen erinnern, bei denen die Gegner dieses Weges wie die Furien versuchten den Ablauf zu stören, wo saturierte Apotheker, Ärzte, Juristen und Pädagogen die Garderoben umwarfen und deutsch-nationale Parolen riefen, bei denen der Iwan und die Juden diskreditiert wurden. 

Bei dem heutigen, ach so liberalen Milieu, das keine Skrupel mehr kennt, ist der Iwan geblieben, und zu ihm haben sich neue Feindbilder gesellt. Was damals die Brunnenvergifter waren, denen man riet, doch rüber in die DDR zu gehen, sind heute alle, die die Politik des Milieus kritisieren, die man dann mal eben zur Partei Russlands erklärt. Ich sage es einmal ganz unverblümt: die Zeiten haben sich geändert, einer Phase der dumpfen Repression folgten Jahre der Liberalisierung und Toleranz, die nun in eine erneute bleierne Zeit münden. Das Vokabular und die Optik haben sich geändert, aber das braune Gekräusel ist wieder da. Im behaglichen Born saturierter Erbengemeinschaften wird Politik gemacht, die den verstaubten Autoritatismus wiederbelebt.

Dass da etwas beträchtlich faul ist, haben viele Mitmenschen bereits gemerkt. Was allerdings vonstatten geht, wird erst allmählich klar. Ein abschließendes Urteil wäre verfrüht. Der Heidelberger Historiker Götz Aly hat bereits vor Jahren eine Untersuchung publik gemacht, die sich unter anderem mit der Alters- wie Sozialstruktur der nationalsozialistischen Führungskader auseinandergesetzt hat (Macht, Geist, Wahn. Kontinuitäten deutschen Denkens). Was mir im Gedächtnis geblieben ist, war das Alleinstellungsmerkmal, dass es sich seit römischen Tagen um das jüngste Personal handelte, das die Staatsmacht erlangte und dass ein Großteil von ihnen in seinen vorherigen Bildungsanstrengungen nicht zum Ziel gekommen war. Es ist immer so eine Sache mit historischen Analogien. Man sollte dennoch einmal darüber nachdenken. Skrupellosigkeit und Chuzpe, gekoppelt mit immenser Unwissenheit, sind doch ein auch eine Signatur des gegenwärtig so verheerend wirkenden Milieus, oder?