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WM: Das Elend der Prahlhänse

Sieh mal einer an! Zumindest in bestimmten Kreisen hat das deutsche WM-Debakel, das als ein multiples bezeichnet werden muss, zu einer Diskussion geführt. Und zwar zu einer, die ansonsten als steinern geltende Tabus aus dem Bannkreis des Denkens befreit. Da geht es ganz unumwunden um die Ideologie eines bestimmten Milieus, das frei von existenziellen Sorgen die Inquisition gegenüber allem betreibt, was im Kampf um die soziale Existenz eine Rolle spielt. Die Welt, so wie sie ist, mit allen Ungerechtigkeiten und Scheußlichkeiten, ist das Feld, auf dem sich die meisten Menschen behaupten müssen. Und da geht es anders zu, als im saturierten Milieu einer durch Lohnarbeit oder Armut nicht getrübten Daseinsform.

Der deutsche Fußball, so wie er sich bei dem kurzen Aufenthalt in Katar präsentiert hat, hat etwas mit diesem von der Realität abstinenten Milieu gemein. Insofern ist das grandiose Scheitern, nebenbei zum zweiten Mal hintereinander, eine überaus positive Botschaft. Das bloße Abbild einer sorgenfreien Welt ist nicht dazu geeignet, sich auf dem hart umkämpften Feld zu behaupten. Zumal das, was zu beobachten war, bereits ein genaues Abbild dessen ist, was noch vor kurzem als das durch die Globalisierung herbeigeführten Paradieses galt. Das heißt, die vermeintliche Gewissheit, mit Geld alles kaufen zu können, Mehrwert ohne Anstrengung generieren und Leistung durch symbolische Handlungen ersetzen zu können. 

Fällt der Groschen, die Indizien einer gescheiterten Globalisierung wirken wie eine präzise gezeichnete Folie dessen, was gerade, aus deutscher Sicht, im Fußball passiert ist. Ein durch Korruption herbeigeführtes Turnier, bei dessen Zustandekommen man selbst mitgewirkt hat, der Versuch, sich selbst durch symbolische Handlungen aus der Verantwortung herauszuwinden, Spieler, die durch die stetige Vergewisserung durch das mediale Umfeld glauben, die Größten zu sein, ohne das harte Brot des tatsächlichen Kampfes um die Existenz noch zu kennen. Und, das sollte nicht vergessen werden, von den eigenen mäßigen Leistungen durch Schuldzuweisungen an andere oder durch die Schaffung von Feindbildern ablenken zu wollen.

Ach, wie bekannt das alles ist. In allen gesellschaftlichen Bereichen das gleiche Bild. Das Vertagen von Problemen, das Schönreden, das Verwalten, der Verweis auf die bösen Feinde. Nur selbst Verantwortung übernehmen, für das, was gelingt und für das was mißlingt, da stößt besonders das Negative auf taube Ohren. Und, da sollte man sich keine Illusionen machen, und das zeigt die traurige Geschichte dieses Turniers allen, die die die Augen nicht verschließen wollen, von neuem: der Protzer, der breitbeinig daher kommt und mit hohen Zielen prahlt, die anderen schlecht redet und dem dann nichts gelingt, ist schnell isoliert und zahlt mit dem Preis der Lächerlichkeit. Es ist das Elend der Prahlhänse.

Ja, es sind einfache Wahrheiten, um die es geht. Und ja, sollte irgend jemand das ernst meinen, was da viele fordern: das Umrehen jeden Steins, das Nicht-Gelten-Lassen von Tabus, die schonungslose Aufarbeitung aller Missstände, dann, ja dann, muss sich vieles ändern in diesem Land. Da wird der Fußball das kleinste Problem sein. Denn er ist nur das Symptom dessen, was ansonsten nicht so läuft. Da kann niemand von einer beruhigenden Perspektive sprechen. Und es gibt nichts, was Zuversicht spenden könnte. Die Defizite sind bekannt. Wer nicht handelt, in seinem eigenen Umfeld, sollte sich nicht beklagen.