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Cry me a River!
Wäre er nicht immer ein so bescheidener Mensch geblieben, dann hätte seine letzte Nacht zu der einer einzigartigen Dramaturgie gehört. Joe Cocker, der gelernte Gasinstallateur aus dem englischen Sheffield überlebte die längste Nacht dieses Jahres nicht. Es war sein siebzigstes Lebensjahr und alle, die seinen Weg über die Jahrzehnte verfolgt haben, mussten zu dem Schluss kommen, dass es ein Wunder war, dass er so alt werden konnte. Bereits mit 15 Jahren stand er auf den Bühnen verrauchter Kneipen im Black Country und intonierte den Blues, so wie er ihn verstand. Dazu gehörte viel Bier und viel Whiskey, was letztendlich auch seine Stimme prägte. Ein scheinbar rauer Geselle, der sich für keinen Exzess zu schade war, der nichts ausließ und dessen Auftritte, mit denen er berühmt wurde, eher einem Gemetzel glichen als anderen Formen des Genres. Komponiert hat er selbst nichts, aber das, was er coverte, bekam eine neue Dimension. With A Little Help From My Friends machte ihn berühmt. Das war 1968.
Ein Jahr später versetzte er eine ganze Generation auf dem Woodstock Festival in einen Ausnahmezustand, der ihm selbst letztlich nicht gut bekam. Zum Alkohol kamen andere Drogen, Konzerte endeten zum Teil im Fiasko, weil er nur noch schlecht sang oder umkippte. Dann wurde es still um ihn. Zu Beginn der achtziger Jahre tauchte er wieder auf und schaffte erneut einen Durchbruch mit dem Album Sheffield Steel, einer Referenz an seine proletarische Heimat, der er seine Nehmerqualitäten und seinen Durchhaltewillen verdankte. Die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Leon Russell tat ihm gut, er fand in den USA seine große Liebe, kaufte eine Farm in Colorado, die er die Mad Dogs Farm nannte, nach dem berühmten Poem Kiplings, das auch den Namen seiner Band Mad Dogs And Englishmen prägte.
Joe Cocker war solide geworden und die Musik, die er produzierte, wurde professioneller, mit grandiosen Band-Arrangements. Ihm gelangen viele Welthits, nicht weil sie den emotionalen Mainstream trafen, sondern weil er sich Stücke aussuchte, die zu ihm passten. Vieles, was er anfasste, geriet zur Hymne bestimmter Seelenzustände. Es fällt schwer, sie alle aufzuzählen, aber Unchain My Heart, You Are So Beautiful, Summer In The City, You Can Leave Your Hat On, Cry Me A River, The Letter, Delta Lady, Many Rivers To Cross, When The Night Calls, Civilized Man oder auch Hard Knocks, Joe Cocker sang von dem, wovon er eine Menge erlebt hatte. Wenn es einen Sänger dieser Periode der Rock- und Bluesgeschichte gibt, dem das Testat der Authentizität zugesprochen werden konnte, dann war es Joe Cocker. Ihm glaubte man seine Zeilen, da hatte man immer das Gefühl, dass das, was er da von sich gab, teuer bezahlt war, zum Teil sehr teuer.
Im Gegensatz zu vielen Anderen, die von unzähligen Radiosendern in den Äther gejagt werden, ist es diesem Proletarier aus Sheffield immer gelungen, etwas in denen, die ihn zufällig hörten, tatsächlich etwas zu verändern. Er berührte, er schuf Gefühle, die einfach echt waren. Das war sein Beitrag, ob er mit seiner rauen Stimme hauchte, schrie oder ganz gefasst eine Geschichte erzählte, diejenigen, die das wahre Leben mit seinen Beschwerlichkeiten, Enttäuschungen und Glückszuständen kannten, die hörten ihm einfach zu und gaben ihm Recht. Ja, das ist große Kunst, denn die Wahrheit erregt wie nichts anderes.
Eine Inszenierung des Wesentlichen
Frau Contra Bass. Comes Love
Es ist ein ehrgeiziges Unterfangen. In einer Zeit, in der die technische Perfektionierung und die Erzielung immer neuer Soundeffekte zum Nonplusultra der zeitgenössischen Aufnahmetechnik gezählt werden, Stücke auszuwählen, die unzählige Male bereits interpretiert wurden und diese auf die Kernaussagen zu reduzieren. Sowohl in Interpretation wie Technik. Das Projekt Frau Contra Bass, bestehend aus der Sängerin Katharina Debus und dem Bassisten Hanns Höhn, hat mit dem Comes Love seine dritte CD eingespielt. Die Titel gehören zu dem Standardrepertoire des amerikanischen Jazz des 20. Jahrhunderts. Mit Kompositionen von Cole Porter, Duke Ellington, Michel Legrand, Billy Strayhorn, Jimmy van Heusen und Guy Wood wurden prominente Weisen ausgewählt, die mittlerweile zur Weltmusik zählen.
Das genannte Repertoire birgt alle Risiken, die bei einer Neuinterpretation nur existieren können. Alle Großen des Jazz haben sie durchdekliniert und ihre unvergesslichen Spuren hinterlassen. Um so erfreulicher ist es, dass Debus/Höhn sich ihre Courage nicht haben nehmen lassen. Mit bestechender Schlichtheit haben sie die Stücke konsequent nach dem eigenen Projekttitel interpretiert: Der Gesang wird durch den akustischen Bass kontrapunktiert. Sie gewinnen dadurch erheblich an Essenz. Es geht nicht um die Virtuosität oder die interpretative Extravaganz, sondern um die semantische Treue zur Vorlage. Katharina Debus verleiht mit ihrer narrativen Stimme den Stücken eine Authentizität, die den Atem zum Stocken bringt. Tausendmal Gehörtes gewinnt durch die Reduktion erheblich an Überraschung. Kein Wunder, dass manche Titel nicht mehr an eine Broadway-Revue erinnern, sondern wirken, als seien sie einer Brecht-Weill-Komposition entnommen. Hanns Höhn gelingt es dabei, die Textaussagen zu unterstreichen oder zu verfremden, je nach Intention. Das ist große Klasse und in der gegenwärtigen Ratlosigkeit, die das Genre zuweilen überfällt, eine ungeheure Bereicherung.
Der Jazz, so wie er sich seit seiner Entstehung immer wieder generierte, schaffte die Mutation zu neuen Dimensionen immer nur durch die Konzentration auf das Wesentliche. Die momentan zu beobachtende Krise macht sich vor allem bemerkbar durch den Wunsch vieler Solisten, das technische Arsenal zu erweitern, was historisch in Übergangsphasen immer wieder zu beobachten war, aber nie zu einer Erneuerung geführt hat. Frau Contra Bass hingegen scheint den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Nahezu alle Stücke bewirken durch ihre Interpretation die Freilegung ihrer ästhetischen Essenz. Egal, welche Titel man sich vornimmt und zu einer meditativen Übung nutzt, Ob I Got It Bad, Windmills Of Your Mind, Lush Life, Moonlight in Vermont, But Beautiful, Cry Me A River oder Nature Boy, die Botschaften werden quasi nach einer präzisen, einfühlsamen archäologischen Arbeit wieder freigelegt. Sie handeln von dem großen Projekt des Pursuit of Happiness, mit allen Rück- und Niederschlägen und der nie bezwingbaren Hoffnung. Das ist einfach großartig.
Und als wäre es nicht genug mit der gelungenen Innovation durch die Reduktion technischer Komplexität ist mit Hanns Höhns Interpretation (ohne Gesang) von Fever eine Aufnahme gelungen, die mit ihrer musikalischen Essenz sicherlich zu den besten gehört, die jemals zu dieser Weise eingespielt wurde.
Comes Love von Frau Contra Bass ist, kaum bemerkt, zu einem Meilenstein der zeitgenössischen Entwicklung des Jazz geraten. Die Stücke ermöglichen es, das Wesen des Jazz-Standards neu zu reflektieren. Dass das unter die Haut geht, liegt an der Natur der Sache und an diesen beiden großartigen Interpreten.
