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Turbulenzen im Verschwörertempel

Man ist geneigt Goethes bekanntes Zitat aus dem Faust zu bemühen:

Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.

Es scheint so, als ob die Beschäftigung mit den Geschehnissen in der Türkei vortrefflich von dem ablenkt, was uns hier beschäftigen sollte. Und nicht nur das. Auch die Art, wie mit vermeintlicher Expertise auf den Feuilletontisch gekübelt wird, führt nicht unbedingt zu dem, was zunächst einmal im Mittelpunkt stehen sollte, nämlich der sichtbare Wille, die Vorgänge zu verstehen. Man solle nicht so tun, als sei alles so klar, wie es der Schule von Dogmatikern oder auch den Bornen jeglicher Verschwörungstheorie erscheint. Indem die türkischen Turbulenzen zu einem maßgeblichen Teil dem Treiben amerikanischer Geheimdienste zugeschrieben werden, entstehen Blüten, die mit dem Kampf um die Vormachtstellung in der islamischen Welt gar nichts mehr zu tun haben. Vielleicht hülfe es denen, die von der Lancierung der Destabilisierung Erdogans durch die Gülen-Bewegung einen Streich der CIA sehen, wenn sie sich vergegenwärtigten, dass genau dieses zu den Schutzbehauptungen Erdogans zählt, mit denen er von dem maroden Zustand seiner Regierung ablenken will.

Der Kampf in Syrien zwischen sunnitischen Milizen und dem Assad-Regime wird geführt, um die Isolierung des schiitischen Iran voranzutreiben. Saudi Arabiens Wünsche, den Iran zu isolieren und, wenn möglich, in eine militärische, vielleicht auch nuklearen Auseinandersetzung mit Israel zu treiben, wird momentan weder vom Iran selbst, noch von den USA oder Israel angenommen. Assad, seinerseits Allevit, balanciert auf diesem Widerspruch, um sich selbst an der Macht zu halten. Wo da insgesamt, bei einem durch und durch imperialen Treiben auf allen Seiten noch die gerechte Sache sein soll, bleibt den Kabbalisten des Sektierertums überlassen, zu sehen ist sie nicht. Wie in Syrien, so scheinen momentan auch in der Türkei das jeweilige Volk zur Geisel besagter imperialer Großmannssucht zu werden.

Bei aller Expertise dreht sich eigenartiger Weise keine Überlegung um die Frage, wie die türkische Bevölkerung aus diesem Machtkampf hervorgehen wird. Die Intervention des alten, kemalistischen Militärs wäre wohl ebensowenig eine Alternative wie der Triumph des anderen Flügels aus der AKP. Das, was ins solchen Situationen von Vorteil wäre, nämlich eine große Volkspartei, die die Interessen der treibenden Kräfte der Gesellschaft repräsentiert, ist nicht zu sehen, genauso wenig wie starke Gewerkschaften, die in der Lage wären, das Land lahm zu legen, wenn die Option Terror gegen die eigene Bevölkerung gezogen wird. Insofern muss die Entwicklung in der Türkei mit der gleichen Skepsis betrachtet werden wie die in Syrien, ohne dass es attraktiv wäre zu glauben, es bleibe besser so, wie es ist. Viele haben anscheinend gedacht, die Phase der Abkoppelung der Gesellschaften im Nahen Osten und in der arabischen Welt von den alten Autokraten brächten Aufklärung und Demokratie im Zeitraffer. Das ist nicht so und wird leider auch nicht so sein. Aus ohnmächtiger Wut mit Erklärungsmustern aus dem Verschwörertempel aufzuwarten, hilft nicht weiter und bringt nur eines: Defätismus. Letzterer ist wiederum das Leichengift eines jeglichen Fortschritts.

Psychopathologie als Kollektivsymbolik

Claire Danes, Damian Lewis. Homeland, Season 1

Dass sich die Welt nach dem 11. September 2001 geändert hat, wird immer wieder aus unterschiedlichen Blickwinkeln festgestellt. Wie sie sich verändert hat, hängt zumeist von der jeweilig gewählten Perspektive ab. Sicher scheint zu sein, dass sich ein vermeintlich politischer Konflikt, der zwischen dem christlich-kapitalistischen Westen und dem merkantil-islamischen Osten entstanden ist noch andere, schwerwiegende Symptome zu verkraften hat als sie in Kategorien der Geostrategie, der Ökonomie oder der Außenpolitik zu begegnen wären. Dabei handelt es sich um Dimensionen der Psychopathologie, die verursacht wurden durch allseitige kriegerische und terroristische Akte, die zu Verletzungen, Traumatisierungen und Schockerlebnissen geführt haben.

Ausgerechnet einer TV-Filmserie, diesmal von FOX und nicht aus dem Hause HBO, bleibt es vorbehalten, das Thema der psychischen Implikationen dieses Kultur- und Interessenaufpralls zu thematisieren. Kein Wunder, dass die Vorlage einer israelischen Serie entlehnt wurde, weil dort das Thema weit länger zum Alltag gehört als in Washington oder Berlin. Die erste Staffel von Homeland setzt auf eine einfache Regieanweisung: US-Marine gerät bei einem Einsatz im Irak in Gefangenschaft und landet bei Al Quaida. Nach acht Jahren wird er wie ein Wunder befreit und kehrt in die Heimat zurück. Natürlich wird er zum Politikum und natürlich liegen der CIA Hinweise vor, dass ein US-Soldat umgedreht worden sein soll. Das alles ist ein schlichtes und nicht besonders aufregendes Konstrukt.

Wie allerdings sowohl das Regiebuch als auch Damian Lewis als Nicholas Brody und Claire Danes als Carrie Mathison ihre Rollen ausfüllen, das ist eine neue Dimension der subkutanen Dramatik. Hier die strebsame und durch eine bipolare Störung forcierte CIA-Agentin, dort der durch Folter- und Verlusterlebnisse traumatisierte Soldat, der in ein Karussell der Loyalitäten geraten ist. In dem gesamten Konsortium der Akteure ist es ausgerechnet die Manisch-Depressive, die der Interpretationswahrheit der verworrenen Ereignisse am nächsten kommt und ihr Pendant, der Held, lässt menschliche Qualitäten wie Loyalität und Treue ebensowenig missen wie die kaltblütige innere Logik der Zerstörung. Beide Pole ziehen sich an und stoßen sich ab, aber sie sind die einzigen, die das gesamte Spiel zu durchschauen scheinen. Um sie herum erleben sie eine Welt, in der die Vertreter von Recht und Gesetz sich nur noch durch den Rechtsbruch zu helfen wissen und kalte Revanchisten aus Trauer zu Verzweiflungstätern werden.

In den Folgen der ersten Staffel wirkt nichts holzschnittartig und kein Klischee ist so schal, als dass es abstieße. Das Bezwingende ist die Raffinesse, mit der es gelingt, das scheinbar Absurde als folgerichtig in die Welt zu bringen. Dadurch kommt es zu einer Signatur für den Zustand der Protagonisten in diesem Konflikt: Jede Seite hat humane wie machtpolitische Argumente, um das Fortschreiten der Destruktion zu rechtfertigen. Dass die Akteure dabei unzweifelhaft und unwiederbringlich vor die Hunde gehen, ist unumgänglich. Fast könnte man sagen, um in der psychopathologischen Metaphorik zu bleiben, in dieser bipolaren Welt ist die Störung zum Normalzustand geworden, und diejenigen, die sich der Störung als Konsens der Konflikteure widersetzen, haben sich selbst auf die Liste der zu Zerstörenden gesetzt. Das einzige, das bei Homeland versöhnt, ist die Gewissheit, dass die Designer der Serie das Absurde durchschaut haben. Aber das ist der richtige Genuss im falschen!

Zum Wesen geheimer Dienste

Liegt er schon hinter uns, der Übergang in das Stadium der politischen Demenz? Angesichts der unglaublich naiven Erklärungen seitens der bundesrepublikanischen Medien und der politischen Öffentlichkeit in Sachen NSA läge es nahe, einen pathologischen Zustand zu bemühen. Alles andere ist schwer erträglich, aber so, wie es scheint, beginnt nun die Zeit, in der wir einen Begriff davon bekommen, in welcher Dimension die bereits stattfindende Desinformation der Bevölkerung durch die Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen Organe tatsächlich präsent ist. Das Schauspiel der Empörung über die Aktivitäten geheimer Dienste ist jedoch dazu geeignet, den schweren Vorhang des bundesrepublikanischen Obskurantismus etwas zu lüften.

Das Wesen geheimer Dienste ist das Sammeln von Material, das dazu geeignet ist, die Entwicklung der Politik wie der Wirtschaft anderer Länder zu prognostizieren. Es handelt sich dabei um ein staatlich betriebenes Handwerk, das historisch gesichert existiert, seitdem es staatliche Organisation gibt, unabhängig von ihrer Form. Geheimdienstliche Tätigkeiten gab es vor und nach den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts bereits in einem nie geahnten Ausmaß und zum Teil haben die Legionen, die vor allem in den USA während des II. Weltkrieges in militärischen Sicherheitsdiensten unterwegs waren, für das gesorgt, was wir heute das Management-System moderner Konzerne nennen.

Die Bundesrepublik Deutschland ist mit ihren Nachrichtendiensten ebenso in der Welt unterwegs wie andere Länder, manches findet in beschaulicherem Milieu statt als in den USA oder gar als in Russland, wo es ein ehemaliger KGB-Chef zum Präsidenten gebracht hat. Was ein verzerrtes, aber sicherlich unter bestimmten Aspekten auch zutreffendes Bild von Geheimdiensten produziert, sind die Thriller in schriftlicher und filmischer Form, die mit der von ihr produzierten Vorstellungswelt dazu dienen, die Umdeutung der USA zu einem bösen Ausspioniererstaat zu gewährleisten.

Tatsache ist, dass sich die Geheimdienste so genannter befreundeter oder zumindest nicht feindlicher Staaten in der Regel nicht daran hindern, ihre Arbeit zu machen. Tatsache ist auch, dass die Gier nach Information im digitalisierten Zeitalter wohl auch bei den Geheimdiensten dazu geführt hat, sich den Bauch mit allerlei unverdaulichem Unsinn voll zu schlagen. Und Tatsache ist auch, dass die jeweiligen Regierungen durch ihre geheimen Dienste über Informationen verfügen, die die Situation im eigenen Land betreffen, die sie aber in vollem Umfang von ihrer Bevölkerung fern halten. So gab es in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zahlreiche Hinweise und Dossiers seitens der CIA an die damalige Bundesregierung, die ziemlich genau prognostizierten, wann das System der DDR implodieren würde. In Bonn lachte man, schlug sich auf die Schenkel und verschloss die Akten.

Ebenso existieren seit langem Informationen, wiederum seitens amerikanischer Quellen, die auf die Unruhe- und Wutpotenziale in Europa hinweisen. Diese Herde zukünftiger Rebellion sind das Resultat der maßgeblich von der Bundesrepublik mit gestalteten Politik. Informationen darüber werden der Bevölkerung nicht zugänglich gemacht, da eine Diskussion über die Zentralisierung Europas mit den Folgen sozialer Revolten nicht in die kollektive Legende passt.

Die Aufregung um das Anzapfen deutscher Datenströme hätte dann eine Berechtigung, wenn die Bundesrepublik das erste Land der Geschichte wäre, das selbst keinen Geheimdienst hätte, der dasselbe tut. Die gespielte Entrüstung ist ein Test, wie weit man mit der Mystifikation gehen kann. Mit Staatsräson hat das alles nichts mehr zu tun, allenfalls mit hysterischem Opportunismus, oder, aber dann wären wir schon wieder im Bereich der Pathologie…