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Die Leichtigkeit des Blues

Keb Mo. Bluesamericana

Der Blues in den USA war immer zeitgenössische Musik. Nie, wirklich nie eignete er sich zu einem musealen oder sakralen Genre. Dort, woher er kam, sollte er denen, die ihn spielten und denen, die ihn hörten, etwas Freude bereiten. Ihre schicksalhaften Hände waren vom Baumwollpflücken geschwollen und nicht mit Rosenöl behandelt. Meistens trafen sie sich zunächst heimlich, sangen von ihrem Alltag und dann, wenn die Stimmung etwas besser wurde, ließen sie es so richtig krachen. Der amerikanische Blues hat wahrscheinlich mehr Kinder gezeugt als alle anderen Musikrichtungen zusammen und wohl kaum eine Gattung hat zu derartig vielen Toten aufgrund ungesunder Lebensweise geführt wie der Blues. Das Bild, das in Europa über den Blues entstand, ist weniger lasterhaft und freudvoll. Aber das entspricht nicht der Sichtweise in seinem Mutterland.

Keb Mo ist so einer, der gar nicht in das Bild des Bluesers passt. Weder kommt er aus dem Mississippi-Delta oder Chicago, wohin die meisten zogen, wenn sie von der Landwirtschaft in die Industrie wollten. Ausgerechnet im leichten und ausgeflippten Kalifornien geboren, hat Kevin Moore, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, sich zwar immer zu der Blues-Ikone überhaupt, Robert Johnson, bekannt, aber dieses Bekenntnis immer mit einem Schuss Calypso und etwas Soul angereichert. Keb Mo, ein zweifelsohne guter Gitarrist und Sänger, wurde nie einer der großen Vertreter des amerikanischen Blues. Aber er ist ein großer Unterhalter, und zwar in der Tradition des Blues.

Daher ist es alles andere als verwegen, dass Keb Mo sein neues Album so ganz nonchalant Bluesamericana genannt hat. Denn es ist Unterhaltung auf hohem Niveau, es ist Blues pur, aber ohne die vielleicht in den weißen Kreisen so gerne eingeforderte Schwere. Alles ist leicht und tanzbar, alles geht von der Hand und versetzt die Hörerschaft in gute Stimmung. Genau das, was der Blues leisten sollte in Bezug auf Erholung und Lebensfreude ist auf den insgesamt 10 eingespielten Stücken zu hören. Und alles geschieht mit einem wissenden Augenzwinkern. Ob das der Einstiegstitel ist mit The Worst is yet to Come, I´m Gonna Be Your Man oder um For Better or Worse handelt. Das, was ansonsten textliche Botschaften enthält, um die Hörerschaft herunterzuziehen, kommt bei dem Kalifornier immer wie unerschütterliche gute Laune. Selbst bei Move, wo der Landlord die Besitzlosen wie so oft brutal auf die Straße wirft, antwortet Mo mit dem musikalischen Konzept eines beschwingten Reframing. Warum eigentlich nicht? Nimm das Leben, wie es kommt, es ist kurz, und sowohl das Lamento wie das Zögern kostet nur Zeit. Mach dein Ding!

Keb Mo ist ein zeitgenössischer Interpret des Blues, der ihn im wahren Sinne des Wortes bewahrt und weiterentwickelt. Er hat nicht das Charisma eines John Lee Hooker, der mit seinem Schuhabsatz ganze Stadtbezirke in Schwingung versetzen konnte. Aber er vertritt das Konzept eines Lebensgefühls, das sich nicht nur in den Armenvierteln des Mississippi-Deltas entwickelt hat, sondern in allen Zonen und Temperamenten des Landes beheimatet ist. Deshalb ist es echt. Und deshalb ist der Titel Bluesamericana auch keine Anmaßung. Er rückt das Bild auf den Blues in Europa etwas zurecht. Aber das war bestimmt nicht Keb Mos Absicht. Er wollte etwas gute Laune machen. Das ist ihm ohne Zweifel gelungen.

Was bleibt ist der Soul!

Lou Pride. Ain’t No More Love In This House

Wer in Chicago geboren ist, zur Gruppe der Afroamerikaner gehört und Musik macht, der kann den Blues nicht leugnen. Lou Pride war so einer. Über den Gospel in den Baptistengemeinden fand er schnell zum Blues. Und wie alle, die es bei der Musikerdichte nicht schafften, zu den Platzhirschen in den großen Clubs der Southside zu avancieren, zog es ihn bald in die Ferne. Selbst hier in Deutschland tingelte er mit der Gruppe The Karls durch diverse Shows im TV. Zurückgekehrt in die USA hatte er Engagements mit diversen Blues-, Rhythm&Blues- und Soulformationen auf dem berühmten Chitlin´Circuit im Süden der USA, benannt nach dem Schweinefleisch und Innereien lastigen Soulfood, das dort in den Clubs zur hitzigen Atmosphäre kredenzt wird. Wer es dort nicht lernt, der lernt es nie. Und wer es dort lernt, der kann mit seiner Musik und der dazugehörigen Show verzaubern. Lou Pride heiratete und ließ sich in El Paso in Texas nieder. Er verstarb 2012 im Alter von 68 Jahren in seiner Heimatstadt Chicago, kurz nachdem er sein letztes Album mit dem Titel Ain´t No More Love In This House aufgenommen hatte.

Ohne es zu wissen, hinterließ Lou Pride mit diesem Album sein Vermächtnis. Es ist ein überaus starkes Werk des Soul, das den Blues nie leugnet und durch die Üppigkeit des Souls, wie er im Süden zelebriert wird, überzeugt. Mit insgesamt 11 Titeln, die, ob sie in den Charts waren oder auch nicht, als Klassiker dieses Genres gelten können. Zusammen mit einer überaus wirksamen Band, die mit einem Chor und einem starken Bläsersatz korrespondiert, holt Pride das Sortiment der musikalischen Lebensphilosophie des Souls heraus und thematisiert das, was ihn am Vorabend seines Abschieds bewegte und auch wohl aufbrachte. Pride beklagt die Auflösung sozialer Systeme wie der Familie, die Aggressivität der Politik, die sich immer wieder durch militärische Abenteuer aus der Bredouille zu bringen sucht. Ain´t No More Love In This House, I Didn´t Take Your Woman, Take It Slow und Key To The World sind Auseinandersetzungen mit den Kämpfen des Individuums in einer zunehmend fremdbestimmten Welt. Es handelt sich um einen hochkarätigen Diskurs, den die Hörer auch ausblenden können, wenn sie sich den elektrisierenden Gitarrensoli von Johnny Moeller, den bluesigen, soligen, stickigen und dann wieder messerscharfen Arrangements von Kenny Rittenhouses Bläsersatz hingeben. Das grunzt und walzt durch den Dschungel menschlicher Gefühle und verrät trotz aller Klage dennoch einen unbändigen Lebenswillen. Da delektiert sich niemand an der eigenen Unzulänglichkeit, da spricht ein unbändiges Vertrauen in die Macht der Gemeinschaft.

Dass das Album unter dem Label Roots Music For The 21ST Century figuriert, passt zu den Botschaften, die mit dieser Musik gesendet werden. Bei Rhythm&Blues wie Soul handelt es sich um Genres, die sich gegen die Dominanz der alten Eliten in Nordamerika längst durchgesetzt haben, gerade weil sie sich als Fundament für Innovationen als weitaus geeigneter erwiesen als die leichten Moden weißer Eliten oder die Plagiate aus dem alten Europa. Sie sind die Volksmusik der Afroamerikaner, die sie von den Baumwollfeldern in die hochindustriellen Metropolen herübergerettet und weiterentwickelt haben. Zu sehen, wohin das alles noch führen mag, bleib Lou Pride nicht vergönnt. Er schien es zu ahnen, denn Holding Back The Years beendet das Album. Schöner kann man sich nicht verabschieden.

Ein Logbuch der amerikanischen Seele, eine zeitgeschichtliche Enzyklopädie

Geert Mak. Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten

John Steinbeck, der große Erfolgsautor Amerikas in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts, hatte gegen Ende seiner Schriftstellerkarriere das Gefühl, dass ihm sein eigenes Land mental entglitten war. Während er viele Jahre durch die Welt reiste, hatte das Amerika, das er von der Pike auf kannte, enorme soziale und politische Umwälzungen erlebt, denen er nachspüren wollte. Im Jahr 1960 machte er sich mit dem Hund seiner Frau, Charley, in einem Pickup auf die Reise durch das große Land, von der Ostküste entlang der großen Seen zum Pazifik, die kalifornische Küste entlang und dann von West nach Ost, von Monterey bis New Orleans.

Genau fünfzig Jahre später, 2010, machte sich der niederländische Journalist Geert Mak, dem wir so grandiose Bücher wie Das Jahrhundert meines Vaters und In Europa verdanken, auf die Spuren dieser Reise John Steinbecks. Unter dem Titel Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten versucht Geert Mak die Seele des Amerikas, das so erfolgreich immer wieder mit Klischees behaftet wird, zu rekonstruieren. Dabei gelingt ihm ein Kunststück, das für seinen großartigen Journalismus spricht und das Buch zu einem Muss machen wird für alle, die sich mit der Befindlichkeit der USA ernsthaft auseinandersetzen wollen: Zum einen rekonstruiert Mak die Reise Steinbecks und vergegenwärtigt mit ihr die Zeit und den Wandel der USA vom Kriegsende bis 1960, zum anderen zeigt er Tendenzen und Entwicklungen im neuen Jahrtausend auf und benutzt diese als Kontrastmittel für das, was Steinbeck erlebte.

Das Reisetagebuch Geert Maks ist vieles in einem: eine Reisedokumentation im ursprünglichen Sinn des Wortes, eine kritische Hinterfragung des selbst Erlebten durch atemberaubende Recherchen und eine wissenschaftliche Hinterlegung der eigenen Schlüsse, von Materialen aus der Sozialstatistik bis hin zu neuesten Versionen der zeitgenössischen Historiographie und der politologischen Deutung. Mak ist nicht nur die Strecke abgefahren, sondern er hat jahrelang recherchiert, um der Leserschaft diese Qualität präsentieren zu können.

Die Ergebnisse, die dieses Reisetagebuch enthält, bestätigen vieles, das die kritische Rezeption dieses Kontinents der Neuen Welt bereits wusste: Dass dort nichts so ist, wie es scheint, dass die Geschichte bis zum Stichtag 1960 geprägt war von Mühsal und Arbeit für das Gros der Bevölkerung, dass es immer nach oben ging, woraus sich der berüchtigte Optimismus erklären ließ, dass die Provinz die Mentalität dieses Landes viel mehr prägt als die Metropolen, dass viele Entwicklungen, vor allem in Ökonomie und Politik, den späteren europäischen Weg stark beeinflussten und dass das kollektive Bewusstsein und das Zusammengehörigkeitsgefühl lange Zeit prädestiniert war durch das Momentum einer Überlebenselite.

In einer sehr lesbaren Sprache, die daherkommt wie ein gelungenes Echo einer steinbeckschen Diktion, erzählt Geert Mak von seinen Erlebnissen, in deren Zentrum immer wieder die Protagonisten des wahren Amerikas stehen: die Verkäuferinnen und Bedienungen, die LKW-Fahrer und die Bauern, die Jäger und die Buchladenbesitzerinnen, sie alle sprechen zu uns über diese geniale Komposition Maks, der es nicht belässt bei der historischen Dimension, sondern die Linie bis ins Heute zieht. Im Resümee steht das Ende des American Way of Life und die versteckte Prognose, dass die USA in ihrer Entwicklung die Grenzen erreicht haben, die Europa, das Mutterband dieser gesprochenen Geschichte, bereits seit langen Zeiten kennt. Ein grandioses Buch, ein Logbuch der amerikanischen Seele und eine zeitgeschichtliche Enzyklopädie.