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Die Impfdrängler und das Kausalitätsprinzip

Neue Umstände führen zu neuen semantischen Bezügen. Wenn sich die Verhältnisse ändern, treten Phänomene auf, die es vorher noch nicht gab. Heute überraschten die Nachrichten mit der Information, dass sich die Bundesregierung mit Sanktionen gegen so genannte Impfdrängler befasse. Damit sind jene Leute gemeint, die sich jenseits der beschriebenen Prozeduren durch Beziehungen oder was auch immer eine schnellere Versorgung mit Impfstoffen sichern wollen. Isoliert betrachtet ist das nicht in Ordnung, im Kontext wird jedoch ein anderes Bild vermittelt.

Zunächst hieß es, man sei bald soweit, die Bevölkerung schnell und flächendeckend mit Impfstoffen werde versorgen können. Die von vielen Ärzten angesprochene schwerwiegende Frage, ob die schnellen Genehmigungsverfahren tatsächlich dazu geeignet sind, unerwünschte und schwerwiegende Nebenwirkungen identifizieren zu können, sei einmal ausgeklammert. Die Beschaffung von geeigneten Impfstoffen ist allerdings im Gegensatz zu Ländern wie Großbritannien, Israel, den USA und Kanada nicht gelungen. Was in diesem Kontext fraglich erscheint, ist die Frage der Verhältnismäßigkeit. Bei Schäden, die durch die Lockdowns verursacht wurden, sind hunderte von Milliarden Euro mobilisiert worden, um Impfstoffe zu beschaffen,  ging man mit einem Betrag von 2,3, anderen Quellen zufolge 2,7 Milliarden Euro auf den Markt und wunderte sich, dass andere, die schneller und höher boten, sich selbst über die identifizierten Mutanten keine Gedanken mehr machen müssen. Auch hier, ist die Folge einer Ursache, die nicht in ihrer Gravität erkannt wurde, Brennpunkt höchster Aufmerksamkeit.

Und als es mit der Impfstoffbeschaffung nicht so klappte wie geplant, rief man einen Gipfel aus, der sich seinerseits mit der Optimierung des Impfprozesses befasste. Wieder war die Folge im Fokus, die nie die Bedeutung erlangt hätte, wenn genügend Impfstoffe vorhanden gewesen wären. Insofern ist es logisch, dass nun das Impfdränglertum im Zentrum der Betrachtung steht. Wieder und wieder sind die Folgen eines Fehlers die Ursache von Aktionismus und organisatorischer wie legislativer Art.

Wenn es schon die Beratungsfirmen, die in hoher Dichte die Regierungsflure fluten, nicht tun und nicht können, vielleicht sollte man die Menschen im Land einmal fragen, wie sie die Abfolge von Ursache und Wirkung beurteilen. Ich bin mir sicher, dass der einfache Zusammenhang von den meisten Menschen hergestellt werden kann. Zumindest meine kleinen, überschaubaren täglichen Kontakte drängen mit diese Erkenntnis auf. Dort wird sehr wohl gesehen, welche Folgen entstehen, wenn ursächliche Problemstellungen nicht aufgelöst werden. Im Regierungslager wie in den ihre Malaisen kommunizierenden Akklamationsmedien wird allerdings so getan, als handele es sich bei der Verteilung nicht vorhandener Impfstoffe oder dem Phänomen des Impfdränglertums um isolierte Probleme, die zudem dazu genutzt werden, um mit Schuldzuweisungen und gegenteiligen Bezichtigungen das Land immer weiter zu spalten.

Welches Motiv bei diesen kognitiven Irrtümern Pate gestanden hat, ist kaum auszumachen. Vielleicht ist, in der Existenz eines sich immer wieder selbst bestätigenden Systems, die Fähigkeit abhanden gekommen, Ursache und Wirkung tatsächlich auseinanderzuhalten. Das wäre schon bedauernswert, wenn man sich in einem abseitigen, gesellschaftlich nicht relevanten Lebensraum befände. Im Zentrum der Regierungsgeschäfte ist es allerdings verheerend. Denn zum einen gelingt es tatsächlich nicht mehr, Wege aus der Krise zu finden und zum anderen wächst das Entsetzen und die Verzweiflung über die Führung der Amtsgeschäfte durch Menschen, die das Kausalitätsprinzip hinter sich gelassen haben. Und komme jetzt niemand mit der Chaostheorie. Die erklärt in diesem Falle nichts, sie beschreibt höchstenfalls den Zustand. 

Die Theorie des Chaos und das Auffanglager

Seit dem Siegeszug der Chaostheorie glauben sich viele der formalen Logik entbunden. Sie reden einer Erklärungsallmacht das Wort, die aus der kausalen Unordnung hervortritt und wie eine Befreiung für alle wirkt, die es mit der Geschichte nicht so haben. Alles, was ist, entstammt zwar der Logik von Schwarmbewegungen aber nicht unbedingt bestimmten, selbst zu verantwortenden Aktionen aus der Vergangenheit. Das kann so sein, sagen die Vertreter dieser Sichtweise, muss es aber nicht. Wie schön doch, könnten nun alle Monster der Geschichte sagen, denn die Verantwortung für das eigene Handeln ist dahin. Irgendwie führt die chaotische Ordnung zu den Grausamkeiten der Geschichte und die Subjekte, die darin die Hautrolle spielen, sind exkulpiert. Das, was da vor allem politisch ersonnen wird, ist die Theorie für den Prototypus der Amöbe. Der Mensch und seine Geschichte verkommen zu einem Einzeller und einem unerklärlichen Nebel.

Um es konkret zu machen. Momentan ziehen Politiker durchs Land, die sich, im Gegensatz zu den ganz schlechten ihre Genres, die gar nichts tun, in der Organisation der aktuellen Immigration sehr engagieren. Das spricht für sie. Im gleichen Atemzug werfen sie aber auch manchen, die die jüngere politische Geschichte z.B. der bundesrepublikanischen Außenpolitik in einen Zusammenhang mit der momentanen Entwicklung anstellen, vor, sie würden die Welt belehren wollen, ohne zu handeln. Das meinen sie wirklich. Und es ist festzustellen, dass die Belastungen derer, die vor allem in den Kommunen den Zuzug organisieren, bis an die Grenzen gehen und oft nicht klar ist, wie es weiter gehen soll. In einem solchen Kontext nur zu reflektieren nach den Ursachen, scheint ein Luxus zu sein, den nur wenige besitzen.

Auf der anderen Seite ist allerdings festzustellen, dass die jeweilige Agenda, denen die Beschriebenen folgen, immer den Charakter des „Gefahr-in-Verzug-Symptoms“ hat und es gar nicht gewollt ist, die Ursachen für die zu managende Situation zu analysieren. Denn die Erscheinungsebene ist eine andere als die Wesensebene. Letztere ist allerdings klar determiniert und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Und genau da beginnt das Problem. Die Länder, aus denen momentan Flüchtlinge in großem Ausmaß kommen, haben in den letzten zwei Jahrzehnten sehr konkrete Interventionen deutscher Außen- und Wirtschaftspolitik erfahren: Der Balkan, der Nahe Osten, Afghanistan, Nordafrika. Nicht mitgerechnet die Wirtschaftsflüchtlinge, denen das niemand abspricht, die aber aufgrund einer desaströsen nationalen Entwicklung aus ihren eigenen Ländern den Weg in die Bundesrepublik geschafft haben, aber in kein Auffanglager müssen: Es sind die Polen, Portugiesen, Rumänen, Bulgaren und Spanier. Nur, weil diese Länder zur EU gehören oder EU-affin sind, fallen sie nicht in die Wahrnehmungsmuster, in die Menschen aus Syrien oder Afghanistan fallen.

Dieser Kontext spielt bei den Krisenmanagern keine Rolle und es stellt sich die berechtigte Frage, ob es irgendeine Lehre aus der zu verzeichnenden Entwicklung gibt. Die Parteien, die in der Regierungsverantwortung stehen, hüten sich vor einer derartigen Analyse. Sie reden über das Management der Auswirkung einer Politik, die sie selbst betreiben, ohne über einen Wandel der Politik nahzudenken, die der Auswirkung, die alle beklagen, voraus ging. Das ist politisch ein Debakel. Es dokumentiert, dass entweder der Mut fehlt, Fehler zu nennen oder die Kraft, sich gegen die Interessen zu wehren, die von der vergangenen Außen- und Wirtschaftspolitik profitiert haben. Wahrscheinlich stimmen Entweder wie Oder, ironischerweise nicht die schlechtesten Kategorien, um das Wesen einer schlechten Politik zu zeichnen.