Es gibt Situationen im Leben, da ändert sich alles. Da musst du dich beweisen und stehst ganz allein. Und es hilft dir nichts und niemand. Alles, was du an Hilfsmitteln so sehr schätzt, zählt nichts, jede Technik und Taktik gilt plötzlich nichts mehr. Alles, was du hast, bist du selbst. Und wenn du diese Herausforderung meisterst, dann deshalb, weil du alles gegeben hast, wozu du in der Lage bist. Denkst du zulange nach, ist es schon vorbei, reklamierst du Hilfe von außen, hast du ebenfalls keine Chance. Nur du bist entscheidend und alles, was du in diesem Moment mobilisieren kannst. Muhammad Ali, der Größte, hat solche Situationen auf den Sport umgemünzt. Aber diese Beschreibung ist so treffend, dass sie auch im zivilen Leben hilft. Champions, so seine kluge wie gültige Definition, Champions haben eine Vision, sie sind schnell, sie können und sie wollen, aber der Wille ist wichtiger als das Können.
K.O.-Spiele simulieren die beschriebene Situation, in der es auf alles in nur diesem einen Moment ankommt. Und vor einer solchen stand gestern das deutsche Team. Bemüht man Alis Definition von Champions, dann ist die Messe schnell gelesen: Sie können, aber sie haben wohl keine Vision, sie sind nicht schnell und von Wille war erst sehr spät etwas zu spüren. Die meiste Zeit des Spiels war für uns Betrachter so gruselig, dass sie keine Zeile verdient. Algerien präsentierte sich als eine wunderbare Mannschaft, die eine Vision hatte, zuweilen schnell war, konnte und wollte. Dass sie nicht erfolgreich war, lag daran, dass die Deutschen spät begriffen, dass sie kämpfen mussten, ohne die Verluste im Vorhinein zu kalkulieren. Sie verließen für einige Augenblicke ihre Schwarzwälder Sparclub-Mentalität und hatten unsägliches Glück. Dass sie davon überhaupt noch etwas beanspruchen konnten, verdankten sie dem verlorenen Sohn im Tor, der über den Platz fegte wie ein American Footballspieler und sich damit als eine der spielerisch schillerndsten Figuren des Turniers empfahl.
Alles andere ist ein Desaster. Das Bilanzieren ist der Worte nicht wert. Wer sich mit dieser Mentalität durchsetzt, nimmt dem Turnier seinen bisherigen Glanz und reklamiert für sich den Coup. Das hat Holland gegen Mexiko bereits praktiziert, Frankreich in Grenzen gegen Nigeria, eine Partie, die auch zu Beschäftigungen in der nahegelegenen Küche stimulierte, und nun, in seiner ganzen Peinlichkeit, das deutsche Team. Nun verrät sich auch, in den Gesprächen danach, mit wem wir es im eigenen Lande zu tun haben. Wer jetzt davon faselt, es hat doch gereicht, den kann man als Bündnispartner für aktive Gestaltung des Lebens abschreiben. Die deutschen Edelathleten haben sich mit Algerien zu einem Ringkampf getroffen, sich hinein begeben und als sie nicht mehr weiter wussten, den Revolver aus dem Strumpf gezogen und abgedrückt.
Vor dem Turnier wurde in ernster zu nehmenden Kreise bereits darüber reflektiert, ob diese Generation von Deutschen, inklusive Trainer, noch das Gen besitzen, das sie in der Vergangenheit nicht nur im Fußball ausmachte: Kämpfen und, wenn es sein muss, zurückzukommen. Wir wissen es immer noch nicht. Aber egal, was noch passiert, sie haben sich schäbig präsentiert, auch wenn sie erfolgreich waren. Es war der Abend Algeriens. Chapeau, Respekt, und Bismillah, euer Gott war nicht bei euch, aber ihr, ihr allein habt den Fußball in dieser Nacht gerettet!
