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Brandgefährliches Cargo

„Das Wort geht der Tat voraus“, so Heine in seiner den Franzosen die Verhältnisse in Deutschland erklärenden Schrift „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“. Nicht, dass dieser Gedanke zu seiner Zeit neu war, aber Heine schuf mit dieser Schrift und den in ihr transportierten Thesen eine neue Bemessungsgrundlage für  Religion, Philosophie und Politik. Wenn die gedankliche Klärung, in Worte gefasst, das Programm ist, das sich in der Lebenspraxis materialisieren wird, dann ist es ratsam, sich unterschiedliche historische Phasen anhand dieser These noch einmal genauer anzuschauen.

Machen wir einen brutalen Schnitt und sehen uns die Botschaften an, die heute aus dem politischen Milieu heraus in die Öffentlichkeit geschleudert werden. Textanalysen bringen zutage, dass der größte Teil dieser Botschaften eingenommen wird von belanglosen Allgemeinplätzen. Diese wiederum korrespondieren mit Abstraktionen, die nie falsch sind, die aber euch keinen Eindruck davon vermitteln, wie sich die konkrete Botschaft in der Realität darstellt. Das Ergebnis sind Texte, die zwar an das Volk adressiert sind, die aber mit der Konkretion, in der das Volk sein Dasein zu gestalten hat, nicht korrespondieren. Den Worten, die der Tat vorausgehen sollen, können keine Taten folgen, weil sie keine Instruktionen für die Realität enthalten.

Praktisch folgenloses Reden seinerseits wiederum ist gesellschaftlich gesehen brandgefährliches Cargo. Denn es kann gedreht und gewendet werden, wie die Absender es auch wollen, die Absender der Worte wurden gewählt und in ihre Positionen gebracht, damit sie Gedanken so formulieren, dass sie in der Lage sind, das gesellschaftliche Dasein zu verbessern. Wenn sie das nicht tun, und, noch schlimmer, wenn sie das kontinuierlich nicht tun, dann strebt die Gesellschaft auf einen Punkt zu, in dem die Mandatsträger keine Rolle mehr spielen. Lenin hatte für einen derartigen Zustand eine sehr einfache, aber treffende Formulierung gefunden: „Wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen.“ Er nutzte diese Formulierung für die Beschreibung einer revolutionären Situation.

Der beschriebene Sachverhalt, dass die Worte, die den Taten vorausgehen, fehlen, ist angesichts des sich selbst definierenden Kommunikationszeitalters ein Desaster. Die Herrschenden, denen die Führung der gesellschaftlichen Geschäfte anvertraut wurde, sind nicht mehr in der Lage, mit ihren Auftraggebern zu kommunizieren. Dass sich letztere irgendwann mit Bitterkeit abwenden, ist mehr als logisch. Dass „die da oben“ diese Botschaft nicht verstehen, lässt neben dem Verlust an Sprache auch den Verlust sozialer Intelligenz vermuten. Es ist alles andere als schön, aber es ist so, wie es ist.

Der Aufstand gegen das Unerträgliche beginnt immer mit den richtigen Fragen. Bertolt Brecht, der Magier des subversiven Instinkts, wusste das sehr genau. Die „Fragen eines lesenden Arbeiters“ sind die Blaupause an sich für zersetzendes Nachfragen. Entsprechend dieser Konzeption ist es geraten, die Texte, mit denen wir unablässig traktiert werden, bei denen zu hinterfragen, von denen sie produziert werden. Denen wird das Vorkommen wie eine Inquisition gegenüber der politischen Korrektheit. Genau genommen ist es das auch. Denn die Formulierungen der politischen Korrektheit sind der Schutzwall, hinter dem sich die unbegründete neue Herrschaft geschickt verbirgt. Wir leben in Zeiten, in denen das Nachfragen tabuisiert wird. Die Klasse ohne Worte kann nur weiter ihre Macht erhalten, wenn es ihr gelingt, die Gegängelten mit ihrer absolutistischen Logik zu schikanieren. Dagegen helfen das Nachfragen, das Bloßstellen und das Enthüllen, auch wenn es zunehmend anstrengt!

Cargo aus Kunduz

Vielleicht ist es auch ganz normal. Die wirtschaftlichen Krisen um uns herum, die immer tiefere Spaltung zwischen Arm und Reich im eigenen Land, die Massenflucht in unser Land, der Verlust an Vertrauen in die Politik und die daraus resultierende, erodierende Wahlbeteiligung, die esoterischen Subkulturen und die dekadenten Eliten, die kasernierte Arbeiterklasse, für die es keine Arbeit mehr gibt und die Drückerkolonnen, für die außer schlechten Zigaretten und schlechtem Essen nichts mehr bleibt. Vielleicht ist das ganz normal für eine imperiale Macht. Denn die großen Player unserer Tage, die haben eine solche Bilanz in ihren Ländern. Weder die amerikanische, noch die russische oder chinesische Bevölkerung finden Verhältnisse vor, die sich deutlich von denen unterscheiden, die wir hier beklagen. Ja, denen geht es noch schlechter, da kann man sogar auf dem elektrischen Stuhl oder in einem Strafgefangenenlager landen, wenn es dumm läuft. Nur, weil die beiden deutschen Staaten, aber vor allem Westdeutschland unter dem temporären militärischen Schutz einer Supermacht waren, kann der Zustand der Befreiung der Kosten eines imperialistischen Krieges auf dem Markt und im Feld nicht ohne Kosten vonstatten gehen.

Wieviele Vietnamesen, die einst mit den USA kollaborierten, kamen danach in das Land? Wie viele Afghanen waren es? Wie viele Südamerikaner machten sich auf ins Zentrum der Aggression, als eine Militärdiktatur nach der anderen auf dem Subkontinent installiert wurden? Wir sollten uns umschauen in der Welt, bevor wir Zustände beklagen, die normal sind für ein Verhalten und Vorgehen von Bundesregierungen, die frei gewählt wurden. Alle lieferten Waffen in die arabische Welt, sie beteiligten sich am Sturz vieler Regime, ohne die Herstellung akzeptabler Verhältnisse danach ernsthaft zu unterstützen, sie unterstützten militärisch einzelne Parteien des syrischen Bürgerkrieges, sie beteiligten sich an der Polizeiausbildung im Irak und sie waren mit militärischen Einheiten über Jahre als Kriegspartei in Afghanistan. Die Demokratie, so hieß es, wurde auch am Hindukusch verteidigt. Dass es dort um Rohstoffe ging, erwähnte nur ein Bundespräsident, aber der musste dann schnellstens gehen.

Nach Abzug der Truppen zeigte sich schnell, dass die dort etablierte Ordnung nicht die Güte hatte, um lange zu bestehen. Längst haben die Taliban Teile des Landes erobert. Kunduz, die Region, in der die Bundeswehr stationiert war, ist längst in ihrer Hand. Und nun, wen wundert es, sind diejenigen, die als die Kollaborateure der Deutschen gelten, mit Leib und Leben bedroht. Bis dato liegen sogar Fälle vor, in denen deutsche Behörden deren Anträge auf Asyl als unbegründet abgelehnt hatten, ein Verhalten, das weitaus düsterer ist als das der USA, die immer ihre Kollaborateure mit einem Visum belohnten. Aber nun, da wir uns als Land mit einer Willkommenskultur geoutet haben, werden sicherlich auch die armen Seelen aus der afghanischen Region Kunduz bei uns landen, die einmal an die Zuverlässigkeit der Deutschen geglaubt haben.

Alles, was wir momentan erleben, ist normal für ein Land, das sich entschieden hat, sich am Kampf um Märkte und Ressourcen zu beteiligen. Der Preiskampf kann schon sehr heiß werden und die Sicherung von Arbeitsplätzen in einer Waffenfabrik dazu führen, dass in Mexiko Studenten von einer korrupten Junta abgeknallt werden die Hasen bei einer Jagd des französischen Sonnenkönigs. Da geht es nicht um Gut und Böse, da geht es um Interessen. Bei jedem Afghanen, der es geschafft hat und den ihr in Zukunft trefft, denkt daran, der ist jetzt hier, weil wir Seltene Erden brauchten, damit das Smartphone in deiner Hand gebaut werden konnte.