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Bürokraten in der Mittagspause

Für viele Arbeitende sind die Mittagspausen der Korridor ins richtige Leben. Vor allem jene, die sich im Rumpf der Bürokratie bewegen, sind während der Arbeitszeit von grundsätzlich anderen Regeln und Werten umgeben als die da draußen, die sich so benehmen können, wie es ihrem sozialen Stand und ihren Werten entspricht. Bei jeder abhängigen Arbeit ist das anders. Da gibt das Unternehmen vor, nach welchen Regeln und wie gearbeitet, kommuniziert und miteinander verkehrt wird. Und das ist anders als im eigenen Leben, nur die Logik ähnelt sich. In der Bürokratie hingegen herrschen nicht nur andere Regeln, sondern auch eine andere Logik.

Die Logik der deutschen Bürokratie wirkt kalt und unempathisch, aber sie entspringt einer gewaltigen Liebeserklärung an die Demokratie. Das klingt absurd, stimmt aber genau. Genau das Anonyme, Kalte und Unpersönliche zeigt, dass die Zweckausrichtung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland der Gleichheitsgrundsatz in Kombination mit der Rechtstreue ist. Und diejenigen, die diese Ausrichtung als zu wenig individuell und anonym kritisieren, sollten sich einmal mit Menschen austauschen, die aus Kulturkreisen kommen, wo man individuell von den staatlichen Instanzen alles bekommt, wenn man über genug Geld oder Beziehungen verfügt, der große Rest jedoch mit einem Apparat der Willkür konfrontiert wird, der es in sich hat und unberechenbar ist. Sie beschreiben diese Zustände als die Hölle und schauen romantischen Blickes auf die deutsche Kälte, die allen gleich garantiert wird.

Die Logik, die innerhalb dieser Bürokratie herrscht, ist von ihrem Zweck unverzichtbar, aber dennoch macht sie etwas mit den Menschen, die ihr immer folgen müssen. Auf Dauer, und das ist das nicht Überraschende, aber das Kuriose, auf Dauer werden die menschlichen Partikel dieser Bürokratie im richtigen Leben zu Fremdkörpern, die von den übrigen Sozialpartnern mit Skepsis beobachtet werden. Dabei ist es nur natürlich, dass man die Angewohnheiten, die bei der Arbeit zur guten Routine gehören, auch auf das private Verhalten ausdehnt. Und dort fangen die Probleme dann an.

Gute Bürokraten leben nach dem Grundsatz der ständigen Effektivierung. Es gehört zu ihren Aufgaben, im Sinne der verantwortungsvollen Mittelverwendung, denn wir reden von Steuergeldern, nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie mit weniger Geld mehr erreicht werden kann. Allein diese Einstellung kann eine Ehe bereits bis zur Grenze belasten. Eine andere Geschichte ist die bei jedem neu auftretenden Phänomen die obligatorische Mahnung an sich selbst, dass die Art und Weise, wie dieses Phänomen behandelt wird, die Dimension eines Präzedenzfalles haben könnte. Für die öffentliche Bürokratie ist das eine essenzielle Frage, im Kontext privater menschlicher Beziehungen ein mächtiger Störfaktor, der situatives Handeln und Spontaneität ausschließt. Wer bei jeder neuen Lebenssituation den Präzedenzfall reflektiert, hat bereits den Passierschein in die Isolation.

Eine weitere Besonderheit aus dem Bauche der Bürokratie ist das Verhältnis von persönlichem Impuls und der von Disziplin geprägten Ordnung. Wer dem Lustprinzip folgen will, ist in der Bürokratie deplaziert, denn dort gilt die Disziplin, gepaart mit Gefühlskälte, als eine der höchsten Tugenden. Sich dieses auch noch in einem normalen, privaten sozialen Konsortium vorzustellen, bedeutet endgültig das Überschreiten der Grenze zur Satire. In den Mittagspausen, wenn die Bürokraten in das richtige Leben schreiten, lässt sich beobachten, wie irritiert die Bürokraten auf das Leben und wie verwundert die Restgesellschaft auf die Bürokraten reagiert. Aber es ist oberflächlich und mit Leichtmut zu ertragen. Dorthin, wo sich die eigentlichen Tragödien abspielen, gelangen sie alle nicht, in der Mittagspause, das findet erst am Abend statt.

Bürokraten, diesseits und jenseits des Rheins

Es ist ein Kuriosum. Vor allem Deutschland und Frankreich können historisch als die Länder betrachtet werden, die sich bei der Organisation der bürgerlichen Gesellschaft in hohem Maße verdient gemacht haben. Während die Revolution im Wesentlichen und mit Wucht in Frankreich zuhause war, konnten die Deutschen damit weniger anfangen. Dafür taten sie, besonders in Preußen das, wofür sie schon immer weltweit bekannt sind: Sie bauten Systeme auf und organisierten sie. Die Verwaltung der bürgerlichen Gesellschaft, an der auch die Franzosen sehr erfolgreich und vielleicht gegen ihr Naturell gearbeitet haben, ist ein entscheidender Baustein der bürgerlichen Gesellschaft.

Vielleicht hat es doch mit der Revolution zu tun, dass man in Frankreich durchaus die Formulierung zu hören bekommt, bei dieser oder jener Person handele es sich um einen Spitzenbürokraten oder eine Spitzenbürokratin. Dass ist ernst gemeint und vor allem als außergewöhnliches Lob zu verstehen. In Deutschland wäre ein solcher Kommentar hingegen undenkbar, weil die Bürokratie generell unter dem Stigma leidet, sie sei unsensibel, mache alle gleich und vor allem von den wahren Verhältnissen, in denen die Menschen leben, weit entfernt.

In diesem Kontext fällt mir immer die Episode ein, dass mir gerade indonesische Kolleginnen und Kollegen, die sehr unter einer individualisierenden und einzelfallbezogenen Bürokratie litten, wie sie selbst sagten, sprich einem Apparat, der auf Beziehungen und monetären Zuwendungen beruhte, ihre Auffassung zu Protokoll gaben, dass sie ein Land wie Deutschland beneideten, weil die Bürokratie alles gleich mache und ohne Einfluss von irgendwo ihren Gang ginge.

Ein anderer Zugang ist der etymologische. Bürokratie heißt, wörtlich übersetzt, die Herrschaft des Büros. Das ergibt natürlich keinen Sinn, denn eine Organisationsform der Gesellschaft, der Arbeit oder des Sports etc. sollte nicht das Maß dessen sein, wohin sich die Körperschaft entwickelt. Das riecht fürchterlich nach Selbstzweck und erklärt das Ressentiment, das in Deutschland herrscht. Mangels Revolution hat sich dort der Selbstzweck, zunächst durchaus in staatsräsonaler Absicht, weit in der Vordergrund drängen können, weil mangels demokratischer Revolution der Konnex zu dem sozialen Ereignis nicht hergestellt werden konnte. Die französische Variante hatte es da leichter. Dort wurden die Bürokraten willkommene Helfer, um die Revolution in den Alltag zu gießen. Die Arbeit mochte niemand so richtig, aber diejenigen, die sie zu verrichten vermochten, genossen und genießen hohes Ansehen.

In Deutschland hingegen, wo die Organisation an sich bereits eine hohe erotische Ausstrahlung hat, laufen diejenigen, die sich mit ihr befassen, immer wieder Gefahr, ihr Geschäft überzubewerten und ohne Skrupel zum Selbstzweck werden zu lassen. Das ist immer wieder gefährlich, weil es einen gesellschaftlichen Überdruss erzeugt, den die Politik dann irgendwie kanalisieren muss. Die Lobby der Bürokraten ist in Deutschland ausgenommen stark und nicht selten bestimmt sie die Politik anstatt dass die Politik die Bürokraten vor sich her treibt. Das ist in Frankreich immer noch anders, auch wenn ebenfalls immer einmal wieder eine bestimmte Eigendynamik zu verzeichnen ist.

Der Sinn von Bürokratie ist es, den Zweck der Organisation, von der Gesellschaft bis hin zum kleinen Verein, zu einem möglichen Ziel zu machen. Die Probleme und Routinen des Alltages sind von ihr so zu gestalten, dass sich die Beteiligten zurecht finden und zu ihrem Recht kommen. Der eigentliche Zweck jedoch sollte immer eine höhere Kategorie sein als die temporären Bedürfnisse der Bürokraten. Wenn dem so ist, dann stehen die Verhältnisse auf dem Kopf.