Was, wenn sich Menschen falsch verhalten? Wenn sie Fehler machen, die nicht zu verzeihen sind? Wenn sie so weit gehen, dass sie ihre Macht über andere Menschen missbrauchen? Zivilisationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Rechtssysteme entwickeln, die sich nicht auf Emotion und Ressentiment, sondern auf eine sinnvolle Markierung gesellschaftlicher Regeln und Interessen setzen, die für alle gelten. Für Täter wie Opfer, für die, die bewusst gegen das Regelwerk vorgehen und für die, die es unbedacht machen. Für alle ist gesorgt, was zählt, ist das Delikt und der damit verbundene Versuch der Gesellschaft, Recht walten zu lassen oder wieder herzustellen. Dazu zählt auch, den Tätern die Chance zu geben, zurück in das gesellschaftliche Leben zu kehren. Die permanente Ächtung ist etwas, was zu den barbarischen Kulturen zählt und in der modernen bürgerlichen Gesellschaft abgeschafft wurde.
Bis der aus dem amerikanischen Protestantismus und der europäischen metaphysischen Entsagung entsprungene Kodex dessen auf der Bildfläche erschien, was allgemein als political correctness bezeichnet wird. Hier findet sich eine Ansammlung aller möglichen ideologischen Versatzstücke, die etwas mit vermeintlichem Humanismus, mit religiöser Verdauungsphilosophie und einem sakralen Verständnis von Ökologie zu tun haben. Also mit allem möglichen, nur nicht mit dem bürgerlichen Recht. Dennoch besitzt dieser Kodex für viele eine hohe Attraktion und es ist zu beobachten, dass er bis in die höchsten politischen Kreise nicht nur gedrungen ist, sondern in vielerlei Hinsicht eine weitaus größere Rolle spielt als die bürgerlichen Rechtsvorstellungen.
Grundlage des bürgerlichen Rechts ist die Freiheit des Individuums. Diese Freiheit und ihr Schutz steht im Mittelpunkt. Es geht vor allem um die reibungslose Koordination der Individuen in ihrem Verkehr untereinander. Die zentrale Überlegung dabei ist die der Einsicht. Einsicht in Notwendigkeit, Einsicht in eigene Einschränkung, Einsicht in die Sinnhaftigkeit dessen, was die Freiheit der anderen von dem Individuum verlangt, das sich seinerseits selbst frei entfalten will. Das erfordert ein gewisses Abstraktionsvermögen, sonst funktioniert es nicht.
Im Gegensatz dazu besteht der Kodex der political correctness aus Verboten, die sich nicht aus dem, was gesellschaftliche Vernunft genannt werden kann, ableiten lässt. Es ist ein Kodex der gesellschaftlichen Sanktion ohne zugrundeliegendes Rechtssystem, sondern Sanktionen aufgrund einer Ideologie derer, die ihn bedienen. Da die political correctness nicht auf die Staatsgewalt zurückgreifen kann, bedient sie sich des Mittels der gesellschaftlichen Ächtung. Wer gegen den im Dunkeln entstandenen Kodex verstößt, der wird geächtet, notfalls existenziell vernichtet. Das betrifft die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, und, wenn es dumm läuft, währt es ein Leben lang. Wenn etwas jenseits der Barbarei mit den Betreibern der political correctness gemein hatte, dann war es die Inquisition der katholischen Kirche und der Kodex, mit dem die modernen Moralisten vorgehen, entspricht dem gefürchteten Hexenhammer.
Bei aller Wachheit gegenüber den Angriffen auf das bürgerliche Rechtssystem durch rechte Geheimbünde und den Tiefen Staat sollte immer im Bewusstsein bleiben, dass dem eine gewaltige Aggression durch die Apologeten der political correctness entspricht. Indiz dafür ist die allgemein politisch akzeptierte wie präsente Moralisierung von Politik. Da atmet aus jeder Pore bereits die Attacke auf alles, was die bürgerliche Revolution hervorgebracht hat. Es ist der Rückfall in die Zeit vor der Aufklärung. Es ist die pure Barbarei.
