Ein Satz des großen Dramaturgen Bertolt Brecht hatte sich eine ganze Nation wie eine Mahnung auf die Seite Eins aller Agenden geschrieben: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Ob in der DDR oder der BRD, ob auf der Linken, bei den Liberalen oder selbst bei den Konservativen. Zukünftige Gesellschaftsmodelle sollten verankern, was an Lehre aus der braunen Finsternis zurückgeblieben war. Und darin waren sich alle schnell einig: Nie wieder sollte es so sein, dass Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrer Meinung verfolgt und gemaßregelt werden. Dass diese Maxime in Ost wie West auch regelmäßig beschädigt wurde, gehört zu den üblichen Kollateralschäden realer Politik. Dass beide Systeme das auch aus einer inneren Logik taten, ist auch keine große Überraschung. Aber dass das Diktum, so etwas dürfe sich nicht wiederholen, vom ersten Tage an durch kollektive Verhaltensweisen konterkariert wurde, ist zumindest eine nähere Betrachtung wert.
Denn, der Satz, dass niemand benachteiligt werden soll, bedeutet in positiver Formulierung, dass Toleranz herrscht und Vielfalt als Potenzial zu begreifen ist, dieser Satz, der war leicht gesprochen, aber nicht eingeübt. Dazu war die gemeinsame Deutsche Geschichte zu jung, als dass sich ein Konsens darüber hätte herausgebildet haben können, der nur durch die Nazi-Zeit durchbrochen gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Das große Paradigma in den deutschen Köpfen war das der Abgrenzung und Unterscheidung. Darin lagen gewaltige Kompetenzen, die sich der Faschismus massenpsychologisch zunutze machte und die nach der Niederlagenrhetorik nach dem Krieg wieder aktiviert werden konnten. Der Ost-West-Konflikt trug nicht zur Überwindung der Ab- und Ausgrenzung bei, sondern er schulte diese diabolische Größe im menschlichen Verhaltensmuster zu neuer Perfektion. Wenn überhaupt von einer Zeit gesprochen werden kann, in der auf deutschem Boden der Gedanke der Toleranz in nationaler Prägung eine Chance gehabt hätte, dann erst nach der Vereinigung vor einem Vierteljahrhundert.
Seitdem wurden Versuche unternommen, den Gedanken der Versöhnung vor den des Feindbildes zu setzen. Gefruchtet haben diese Unterfangen zumeist wenig. Das lag schlichtweg an der Kürze der Periode. Menschliches Verhalten, so wissen wir, ändert sich erst sukzessive. Nationalcharaktere noch langsamer. Die Beschwörung des fruchtbaren Schoßes ließ zwar nie nach, aber er blieb es. Die Idee der Abqualifizierung des Andersartigen, vermeintlich Gegenstand der anti-faschistischen Kritik, wurde in vielen Fällen spektakulär attackiert, wenn es um die Stereotype der Diskriminierung ging. Geschlecht, Hautfarbe, Nationalität, Religion, das sind Zugehörigkeiten, die tatsächlich im Laufe der Jahrzehnte diskriminatorisch abgenommen haben. Zeitgleich allerdings putzte sich ein Dogmatismus heraus, der sich bezog auf neue reine Lehren, die vom Charakter her elitär waren, weil sie sich von der Masse abzusetzen suchten und sie sehr gebunden waren an die Existenz einer so genannten neuen Klasse, nämlich des wohlhabenden kreativen Bürgertums.
Aus dem Dogmatismus hinsichtlich der eigenen Lebensform ist ein wilder Kampfschrei gegen alles andere geworden, das dem Konzept des favorisierten Lebensentwurfes widerspricht. Die verbale, mediale und zunehmend soziale Ausgrenzung von allen, die nicht mit der eigenen Konzeption synchron gehen, wird nicht nur immer zügelloser und aggressiver, sondern weist den intoleranten, totalitären Wesenszug seines historischen Vorgängers auf. Wenn jemand nichts aus dem Totalitarismus der Vergangenheit gelernt hat, dann sind es diese Hohepriester des guten Lebens. Trotz Rückgang der Geburtenrate, der Schoß ist fruchtbarer denn je!
