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We admire you, Argentina!

Die Betrachtung verschiedener Perspektiven ist sehr aufschlussreich. Oft ist die Auffassung des Begutachtenden aussagekräftiger als die Position des Begutachteten. Ein Beispiel für diesen Zusammenhang ist die Berichterstattung im SPIEGEL und in anderen Organen der Presse zum Thema der Staatspleite in Argentinien. Die Legende, die dort der bundesrepublikanischen Leserschaft gewebt wird, ist schlicht und einfach: Argentinien droht nach 2001 nun der zweite Staatsbankrott. Dieser ist selbstverschuldet und zurückzuführen auf die störrische Haltung der nationalen Elite, die nicht verhandlungsbereit war und mit linken Phrasen populäre Zustimmung gesucht hat.

Die Geschichte, um die es geht, ist tatsächlich eine sehr einfach zu durchschauende: Angesichts der Zahlungsunfähigkeit des Landes im Jahr 2001 kauften diverse US-Hedgefonds argentinische Staatsanleihen zum Nominalwert in Landeswährung, was zu dem damaligen Zeitpunkt in Dollarkonversion Spottpreise waren. Nach der schrittweisen Erholung der argentinischen Wirtschaft, die durch einen de facto Schuldenerlass vieler Investoren von statten ging, klagten besagte Hedgefonds auf den vollen Preis der von ihnen erworbenen Staatsanleihen. Allgemein wird von einer durchschnittlich zu erwartenden Gewinnmarge von 1.600 Prozent gesprochen, was auf Kosten des argentinischen Staates und der Gesellschaft gehen würde.

Die argentinische Regierung ließ sich auf diese Art des Geschäftsmodells nicht ein und prangerte Moral wie Mentalität der Wall-Street-Börsianer als verkommen an. Das ist eine Position, die für eine halbwegs patriotisch gesonnene Regierung eines Landes normal sein sollte. Nicht für den Maitre de Plaisier des Spiegel, der harsche Kritik an der argentinischen Regierung übt und ihr vorwirft, sie sei störrisch gewesen. Zwar gebe es sympathischere Formen, sein Geld zu verdienen als die der Hedgefonds, aber letztendlich sei es dabei nur um ein paar Milliarden Dollar gegangen, die ein Land wie Argentinien relativ leicht hätte abdrücken können. Sicher, könnte man da antworten, aber es existieren noch Regierungen, die sich weder einer in den USA angesiedelten Börsenrechtsprechung noch den Geschäftsgebaren von Zockern unterwerfen und so etwas besitzen wie eine Haltung. Argentiniens drohender Staatsbankrot dokumentiert den Versuch, Nationalstaaten am Spieltisch der Börsen jetzt auch noch mit internationalem Recht im Rücken verzocken zu können. Angesichts von Argentiniens Bedeutung auf dem amerikanischen Kontinent handelt es sich dabei um eine gänzlich neue Dimension der globalen Finanzspekulation. Wenn es gelänge, ganze Nationalstaaten in die Verwertungslogik von Hedgefonds zu pressen, dann brauchen wir in Zukunft auch keine gewählten Regierungen mehr, die zumindest auf dem Papier die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger vertreten. Dann reicht es auch, jede Finanzierungsschwierigkeit des Gemeinwesens zum Anlass zu nehmen, um sich billig einzukaufen und danach das ganze Volk zu enteignen. Das wäre eine neue Qualität. Es wäre der Putsch der Hedgefonds gegen eine immer noch nationalstaatlich organisierte Weltgesellschaft.

In diesem Lichte wird deutlich, wie weit sich die schreibende Zunft hierzulande von einer nur in Rudimenten existierenden sozialen Gattung entfernt hat. Was ist hier falsch gelaufen, dass ein derartiger asozialer Unsinn die Schlagzeilen der renommierten Presse erobert? Sicher, die argentinische Regierung hat Fehler gemacht! Sicher, Argentiniens nationale Elite ist längst nicht so patriotisch wie sie es zur Stunde vorgibt! Aber Argentiniens Regierung hat den Stolz, sich gegen das Ansinnen von irgendwelchen wohlstandsverwahrlosten Subjekten zu stemmen und sich nicht im Hinterhof eines bröckelnden Imperiums missbrauchen zu lassen. Das verdient Anerkennung. We admire you, Argentina!

Die Tabuisierung von Leistung

Es gehört zu den Kuriosa unserer Zeit. Während erneut ein Streit aufflammt über den Kapitalismus und seine destruktiven Kräfte, scheint das, was ihn groß und mächtig gemacht hat, auch von Seiten seiner Befürworter gar nicht mehr geschätzt zu werden. Die Entfesselung der Produktivkräfte hatte Karl Marx, der scharfsinnigste und schärfste Kritiker dieses Wirtschaftssystems das genannt, was der aufkommende Kapitalismus zustande brachte. Keine Ökonomie vor ihm hatte vermocht, die Produktivität der Menschen so zu mobilisieren und diese auch noch in einem nie gekannten Maß zu organisieren und zu konzentrieren. Dem zugrunde lag und liegt der Gedanke von Leistung und Wertschöpfung. Beides Attribute, die man sich angesichts der zeitgenössischen Entwicklungen näher ansehen sollte.

Kapital, so skizzierte Marx in seinem gleichnamigen, voluminösen Werk, ist ein Prozess. Nicht Wert an sich, oder gar zu verwechseln mit Geld, dem allgemeinen Äquivalent, wie er es nannte. Nein, Kapital ist der Prozess der Wertschöpfung, d.h. der Synergie von Rohstoffen, Ideen und menschlicher Leistung unter Zuhilfenahme von Technik und Instrumenten. In diesem Prozess entstehen neue Werte, die sich von der Summe der verausgabten substanziell unterscheiden.

Die menschliche Leistung ist das Zentrale, um das es gehen sollte, aber genau sie ist es, die zunehmend tabuisiert oder verballhornt wird. Die niederländischen Protestanten wussten es schon immer: Es gibt keinen edleren Treibstoff für die menschliche Motivation als den Erfolg. Grundlage des Erfolges ist vor allem, nehmen wir einmal die Lotterie und die Finanzspekulation aus, die eigene Leistung. Und genau da wird dem Kapitalismus als produktivem System von zwei Seiten der Kampf angesagt. Zum einen von einer Ideologie der Passivität, einer korporierten Vorstellung davon, dass Menschen, die sich in einer Wertschöpfungskette befinden, per se schon bemitleidenswert wären. Dieser Ideologie geht es schon lange nicht mehr um Bedingungen, die es ermöglichen, Leistung gemäß eigener Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erbringen. Ihr ist das Faktum, dass Leistung aufgrund abgeschlossener Vertragsbedingungen zu erbringen ist, bereits ein Dorn im Auge.

Die andere Unterhöhlung der Leistung wird aus den vermeintlichen Hochburgen des Kapitalismus selbst betrieben. Die Börse, einst ein Markt für die Suche nach Investitionen mit guter Prognose, ist zu einem zunehmend wachsenden Anteil zu einem Forum geworden, dass wohl am treffendsten mit dem Begriff des Casino-Kapitalismus beschrieben worden ist. Um im Jargon zu bleiben: Die größten Assets des Kapitalismus, Leistung und Investition in Leistung sind genau dort, wo sie organisiert und gehandelt werden sollen, zu einem Tabu geworden. Es geht immer wieder so weit, dass intakte Wertschöpfungsprozesse von dort aus vernichtet und das luzide Beispiel von Leistung und ihrer Macht zerstört wird. Der Kapitalismus schändet sich an der Börse quasi in der eigenen Kirche.

Das profane Alltagsleben ist wie immer ein Spiegel dessen, was in den Konstruktionsbüros von Wirtschaft und Staat ersonnen wird. Insofern ist es kein Zufall, dass genau in der Zeit, in der die Grundlagen der Leistung multipel unterminiert werden, auch dort zunehmend von Achtsamkeit und Wertschätzung gesprochen wird. Es drückt ein tiefes Verlangen aus für etwas, dass nicht mehr stattfindet. Der beste Schutz sind allerdings nicht salbungsvolle Rituale und Gesten, sondern die Möglichkeiten zu erstreiten, auch dort, in der eigenen Tagespraxis, Leistungen erbringen zu können, die für das sie erbringende Individuum selbst und für andere von Wert sind. Das ist qualitativ eine andere Geschichte. Und sie zu realisieren, erfordert oft radikale Schritte.

Ein morbider Tanz um den Heiligen Gral der Börse

Martin Scorsese. The Wolf Of Wall Street

Hollywood-Produktionen lösen beim kritischen Publikum nicht zu Unrecht Zweifel aus. Cineastische Werke, deren Herstellungsbedingungen industriell sind und deren Zweckbestimmung die Massenvermarktung ist, tragen schwerlich revolutionäre oder kritisch enthüllende Botschaften mit sich. Es gibt nur wenige Protagonisten im Ensemble Hollywoods, die es mit einem eigenen Label so weit gebracht haben, dass sie sich den Gestus des Epatez-le-Bourgeois leisten können, ohne dass die notwendigen potenziellen Investoren von vornherein die Rote Karte zeigten. Martin Scorsese ist so einer. Ihm verdankt das weltweite Publikum Filmproduktionen, die nicht mit affirmativer Ideologie langweilen, schlecht gemacht sind oder in der Belanglosigkeit versinken. Martin Scorsese steht für den Schock, er steht für Action und geniale Komposition von Bild und Musik.

The Wolf Of Wall Street ist sein neuestes Produkt. Mit der für Hollywood typischen Marketingmaschine angekündigt und einem Namen, der den Nerv des Zeitunbehagens trifft, greift Scorsese mit Jordan Belfort eine tatsächlich historische Figur auf, die in den achtziger Jahren mit ihren unkonventionellen Methoden die Wall Street aufmischte und Furore machte. Ein Mann aus der Working Class entschied sich, Broker zu werden, machte am ersten Tag nach seiner Zulassung mit dem ganzen Laden Pleite und dealte sich danach aus einem Garagenunternehmen mit Penny Stocks nach ganz oben, bis er den Neid der Konkurrenz und das wachsame Auge des FBI auf sich zog und der kometenhafte Aufstieg in mächtige Turbulenzen geriet.

Im Grunde ist es das, was der Film erzählt. Insofern nichts Neues und kaum der Rede wert, wäre da nicht die Art und Weise, wie es Scorsese erzählt und Leonardo DiCaprio darstellt. Das kongeniale Arrangement zielt mit Präzision und Tempo auf die Psychodynamik der Akteure des Wertpapierhandels, der tatsächlich in den achtziger Jahren einem Wandel unterlag und sich endgültig abkoppelte von einer tendenziell vorliegenden Prognostik für die Entwicklung realer Werte zu einer illusionsgesteuerten Machtphantasie, mit der gehandelt werden kann. In diesen Kreisen geht es um die Macht, und nur um die Macht. Hin und her geschobene Geldwerte bilden nur noch den Schmierstoff für die Beschaffung der Trieb eskalierenden Mittel zur Realisierung der Allmachtsvisionen. Das, was sich in den immer größer werdenden, in immer edler gelegenen Stockmärkten des Jordan Belfort abspielt, ist ein einziges Happening, ein höllisches Gesamtkunstwerk aus Kokain, Alkohol, Psychopharmaka und Prostitution. Belfort, der König der Broker ohne Werte, belohnt seine Krieger mit archaischen Riten des Überflusses und der Verschwendung. Ihre Macht beschränkt sich auf Geld, Rausch und Verfügbarkeit über den Sex, befeuert und immer wieder angetrieben werden sie von einer Rhetorik totalitärer Qualität.

Die routinemäßigen Ansprachen Belforts vor seinen Brokern allein sind es Wert, sich den Film anzusehen. Sie sind in ihrer charismatischen Qualität genial, in ihrer Vernichtung sozialer Werte diabolisch. Er appelliert an den archaischen Instinkt der Macht und ihm gelingt es, aus Hinterhoffuzzis regelrechte Killermaschinen zu machen. Belforts Reden sind Oden an die Kraftzentren der Macht und des Wahns, sie treiben eine koksfüsilierte Horde auf die Expropriationsbeutezüge gegen den solide erwirtschafteten Wert. Grunzend und sabbernd geht die Meute auf die Einfaltspinsel los, die so naiv sind, für ihr Auskommen überhaupt noch zu arbeiten. Und der Wolf wäre kein Artefakt Scorseses, wenn nicht immer wieder Passagen wie Smokestack Lightning von der Urgewalt des bluesigen Howlin‘ Wolf zu hören wären und klirrende Gitarrenriffs den morbiden Tanz um den Heiligen Gral der Börse begleiteten. Nein, das ist nicht abgedroschen, das ist wirklich großes Kino.