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Nach der Krise: Priorität der Notwendigkeiten?

Nach existenziellen Schocks empfiehlt es sich, die Petitessen der täglichen Routinen einmal  auszublenden und sich mit dem Wesentlichen zu befassen. Das betrifft das Private wie das Politische. Und es ist anzuraten, das Dasein nach Notwendigkeiten zu ordnen. Diese Notwendigkeiten, reduziert auf das Existenzielle, sind nicht schwer zu finden. Wie das bei jedem und jeder privat aussieht, unterliegt der Autonomie des jeweiligen Individuums. Wie eine solche Ordnung der Notwendigkeiten aussehen könnte, dazu bedarf es eines Paradigmas, das politisch seinerseits keine parteiliche Kontamination erfahren hat und insofern von unterschiedlichen Seiten akzeptiert werden kann. 

Was böte sich mehr an, als die gute alte Bedürfnispyramide des Abraham Maslow, die, basierend, aufsteigend vom kollektiv Essenziellen bis zum erstrebenswert Individuellen aufsteigt. Zur Vergegenwärtigung die aufsteigenden Dringlichkeiten der menschlichen Existenz:

  1. Physiologische Bedürfnisse
  2. Sicherheitsbedürfnisse
  3. Soziale Bedürfnisse
  4. Individualbedürfnisse
  5. Selbstverwirklichung.

Bei der Betrachtung sticht ins Auge, dass die Pyramide aus der Perspektive des Okzidents beschrieben wurde und das Individuum und das durch dieses erstrebte Glück über dem Kollektiv steht, aber da wir uns im Okzident befinden und es um eine Priorisierung der dringendsten Erfordernisse zu gehen hat, sei diese Schieflage für den Moment einmal ausgeblendet.

Nach und während einer, zumindest von ca. 140 Staaten dieser Erde anerkannten und als solcher wahrgenommenen Epidemie sind die physiologischen Bedürfnisse einfach zu benennen. Es geht ums nackte Überleben, es geht um das Gesundheitssystem, d.h. die Möglichkeiten, mit einer solchen Erscheinung umzugehen und diesen Umgang so zu ermöglichen, dass bereits die Existenz ein aus dem sozialen Status abzuleitendes Problem ist, wie es momentan am markantesten in den USA dokumentiert wird. Wer dort kein Geld hat, wird nicht behandelt. In abgemilderter Form existiert diese soziale Variante auch woanders, was sich bemerkbar macht bei Ausgangssperren, wenn die einem im parkähnlichen eigenen Garten sitzen während die anderen, beengt, im Arbeiterwohnregal verweilen. 

Gesundheit, Ernährung, Wohnen, Liquidität sind die Schlüssel, die zu der potenziellen Befriedigung des Existenziellen führen. Diese Dimensionen besitzen Priorität, und es ist gleichzeitig erforderlich, eine auch in der Krise zu beobachtende Wirkung auf das Kollektiv-Existenzielle nicht außer Acht zu lassen: die Sicherung der natürlichen Bedingungen, sprich, die Durchdringung politischen Handelns mit dem Geist ökologischer Protektion. Wer das erwähnte Primäre, d.h. Essen, Trinken, Warenkonsum gegen die Grundlagen der kollektiven Existenz durchzudrücken sucht, steuert auf das Scheitern bereits auf Ebene Eins, dem Physiologischen, zu.

Bei den Sicherheitsbedürfnissen geht es um Krieg und Frieden. Da wird es bereits heikel und ein Konsens ist in weiter Ferne. Das Bündnis, in dem die Bundesrepublik Deutschland mitstolpert, ist momentan eine Institution, die sich mehr auf die Initiierung militärischer Aktionen auf fremden Territorien konzentriert als auf das Ansinnen, Übergriffe auf die eigenen Territorien zu verhindern. Sicherheit gewinnt man, indem man die Lust anderer minimiert, sich gewaltsam in das eigene Geschehen einzumischen. Sicherheit gewinnt man nicht, wenn man sich auf dem Territorium Anderer mit Dritten um den Zugriff streitet. Wenn wir von etwas Dringlichem reden, was nach der Krise zu erledigen ist, dann ist es ein Verteidigungskonzept, dem es darum geht, die eigene Sicherheit zu gewährleisten und den Frieden zu sichern. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.

Die sozialen Bedürfnisse stehen als nächstes auf der Agenda und sie werden getragen werden von der bevorstehenden Entscheidung, ob der Markt alles regelt oder nicht. Sollte sich letztere Sichtweise durchsetzen, stehen wir vor einer neuen, spannenden Epoche, die sich um Arbeit, Besitz und kollektives Dasein drehen wird. Und, um das Individuum und die Selbstverwirklichung nicht unter den Tisch fallen zu lassen: Vieles wird sich aus den vorherigen Themenkomplexen ableiten lassen. Auch, ob der Stellenwert des Individuums und die Möglichkeiten seiner Selbstverwirklichung nach der Stunde Null nicht neu definiert werden muss. 

Gesundheit, Ernährung, Wohnen, Liquidität, Ökologie und Sicherheit. Das wäre der Fokus, der sich aus einer Priorisierung nach Maslows Pyramide ergäbe. Bereits die erste Stufe auf der Treppe einer neuen gesellschaftlichen Verfasstheit ist anspruchsvoll. Genommen werden muss sie dennoch.

Im Krieg ist die Toleranz dahin!

Es existieren Wirkungszusammenhänge. Nicht nur bei Individuen, sondern auch bei Gesellschaften. Es muss nicht unbedingt die Bedürfnispyramide Maslows bemüht werden, um zu begreifen, dass die Bedürfnisse im Leben einer bestimmten Priorisierung folgen. Gesellschaften, die in Kriege verwickelt sind, können sich um andere Anliegen, durch die sie geprägt werden, nicht mehr kümmern. Es geht ums Überleben. Gesellschaften, in denen die nackte Armut herrscht, haben vor allem dieses Problem. Es bestimmt den Grad der Toleranz gegenüber Minderheiten. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Und wer um seine bloße Existenz zu kämpfen hat, den interessiert keine Nachhaltigkeit in puncto Natur. Gesellschaften, die in Frieden leben und deren existenzielle Grundlage gesichert ist, können sich mit der gebotenen Intensität um Fragen von Toleranz und Ökologie kümmern. 

Die logische Folge dieser Zusammenhänge sollte Anlass dazu geben, die politische Agenda, nach der eine Gesellschaft sich selbst und ihr Umfeld gestaltet, zu überdenken. Um es sehr deutlich zu formulieren: Erst Frieden, dann soziale Sicherung, dann Toleranz und dann die Umwelt. Wird diese logische Kausalität missachtet, dann entstehen existenzielle Gefahren. Belege dafür bietet die Geschichte genug. Aktuell wird es in der Ukraine keine positive wirtschaftliche Entwicklung geben, solange der Frieden im Land nicht gesichert ist. Und in Griechenland wird die zu beklagende wachsende Feindlichkeit gegenüber Migranten est dann wirkungsvoll eingedämmt werden können, wenn die Armut erfolgreich bekämpft wird.

Die gegenwärtige politische Gemengelage in der Bundesrepublik Deutschland deutet auf einen hohen Grad von Verwirrung hin. Die sicherlich scheußlichen Ereignisse um die Pegida-Bewegung hat in vielen Städten zu sehr eindrucksvollen Mobilisierungen für das Prinzip der Toleranz geführt. Das ist gut, das ist löblich. Als Koinzidenz zum Ukraine-Krieg, denn von Konflikt kann nicht mehr gesprochen werden, ist diese Bewegung irritierend. Denn der Mobilitätsgrad gegen die Intoleranz steht in keiner Relation zu dem gegen den Krieg. Erklären, aber nicht entschuldigen kann den Umstand nur die Illusion, dass es in der wachsenden Konfrontation mit Russland schon nicht so weit kommen wird. Die Fakten sprechen jedoch dagegen. Russland wird von den eigenen Sicherheits- und Machtansprüchen nicht zurückweichen. Die NATO rückt Russland jedoch konsequent auf den Leib. Folgt man dieser Logik, dann ist eine Befriedung nur mit einer militärischen Niederlage Russlands oder einem Putsch innerhalb Russlands zu befrieden. Eine Illusion, genau wie die Vorstellung, die mehr als zwanzig Millionen Russen, die nicht in Russland leben, gäben sich protest- und kampflos einem solchen Szenario hin.

Einmal abgesehen von logischen Brüchen, die erklären soll, wer will, die aber niemanden mit etwas analytischem Denken befriedigen, seien folgende Fragen erlaubt: Wie glaubwürdig ist das Reklamieren von Toleranz, wenn das offene, gesprochene und gedruckte Ressentiment gegen Russen oder Griechen auch von denen hingenommen wird, die die Toleranz für sich reklamieren? Und wie logisch ist das Eintreten für eine nachhaltige Ökologie, wenn zu den schweren sozialen Ungerechtigkeiten im eigenen Wirkungskreis ebenso nachhaltig geschwiegen wird? Die Prinzipien, die die Prioritäten gesellschaftlicher Bedürfnisbefriedigung beschreiben, sind unteilbar. Frieden ist unteilbar, Wohlstand ist unteilbar, Toleranz ist unteilbar und die Bewahrung und Unversehrtheit der Natur ist unteilbar. Wer das leugnet, betreibt das Handwerk der Mystifikation. 

Die politischen Schlussfolgerungen aus der gegenwärtigen Lage sind einfach und bestechend. Es wird darum gehen, einen Frieden herzustellen, der allen Völkern gerecht wird, es wird darum gehen, den Menschen in Europa ein einträgliches Leben zu ermöglichen. Alles andere ist Schmu. Im Krieg ist die Toleranz dahin.

Maslows Vermächtnis

Nicht nur der 1908 in Brooklyn geborene Abraham Maslow hatte eine Vorstellung von den Motivationslagen des Menschen. Im Rahmen seiner Arbeiten zur humanistischen Psychologie entwickelte er jedoch ein Schema, dass bis heute eine gute Orientierung darüber liefert, wo sich Menschen und Gesellschaften befinden. Berthold Brecht, der große Zuspitzer und Vereinfacher, hatte das Maslow´sche Schema auf den Punkt gebracht: Erst kommt das Fressen, so hieß es bei ihm, dann kommt die Moral. Maslow war da anders vorgegangen, hätte sich aber kaum gegen die Brecht´sche Pointierung gewehrt.

Maslows Ausführungen, die in die Geschichte als Bedürfnispyramide eingegangen sind, können wie folgt zusammengefasst werden: Bevor sich der Mensch mit dem befasst, was ihn als kulturelles und zivilisiertes Wesen ausmacht, müssen bestimmte Bedürfnisse gesichert bzw. befriedigt werden. In Stufen bedeutet dieses in besagter Pyramide, dass zunächst Grund- und Existenzbedürfnisse befriedigt werden müssen, danach die Sicherheit gewährleistet sein muss und dann erst das Sozialbedürfnis zur Geltung kommt. Ist das alles geschehen, treten Wünsche nach Wertschätzung und zu guter Letzt die Selbstverwirklichung in den Vordergrund. Aus heutiger Sicht klingt das alles andere als sensationell, als Gradmesser für den Entwicklungsstand einer Gesellschaft ist die Anwendung der Pyramide allerdings eine brisante Angelegenheit.

Es ist ein Screening wert: Welche Themen auf den Titelblättern der wichtigsten Tageszeitungen, welche Themen in den digitalen Nachrichtenkanälen beschäftigen sich in unserer Sphäre eigentlich mit welchen Stufen der Maslow´schen Bedürfnispyramide? Ganz so einfach, wie zunächst zu vermuten wäre, ist es nämlich nicht. Die gegenwärtige Gesellschaft ist kein homogenes Gebilde, dem man eindeutige Charaktermerkmale zuweisen könnte. Bezogen auf die Nachrichtenmagazine kann eine Tendenz ausgemacht werden, die bis auf die Stufe der Grund- und Existenzbedürfnisse alle Fragen abdeckt. Es scheint davon abzuhängen, unter welcher Rubrik die Sache beleuchtet wird.

Bezogen auf die unterschiedlichen sozialen Gruppen und Klassen ist die Sache jedoch klar: wenn Jobs vorhanden sind, dann geht es mehr um Wertschätzung und Anerkennung und je besser sie sind, desto mehr geht es um Selbstverwirklichung. Die, die keine Arbeit haben, die finden meistens gar nicht statt, dass es denen allerdings zunächst um die Sicherung der Grundbedürfnisse gehen wird, liegt auf der Hand. Gesamtgesellschaftlich spielt das Thema Sicherheit eine Sonderrolle, was keine Frage des sozialen Status, sondern eine des biologischen Alters der Gesellschaft ist. Je älter die Population, desto mehr fürchtet sie um ihre Sicherheit.

Betrachtet man die Themen in besagten Kanälen, so ist sehr schnell zu erfahren, dass unsere Gesellschaft gehörig altert, dass sie die tatsächlich vorhandene Kohorte derer, die um die Existenz kämpfen, konsequent ignoriert und dass die Form von Herrschaftsideologie darüber kommuniziert wird, wie Wertschätzung und Selbstverwirklichung erlangt werden können. Saturiert wäre ein Attribut, das für den Status Quo zuträfe, wäre da nicht das Phänomen der Tabuisierung. Denn die Ignorierung der Mittellosigkeit betrifft nur einen, allerdings nicht zu unterschätzenden Teil der Gesellschaft, aber die Frage nach dem Sozialbedürfnis betrifft alle. Letzteres ist in der Ära der Digitalisierung einer Deprivationsoffensive ausgesetzt gewesen, wie sie vorher noch nie in der Geschichte stattgefunden hat. In einer Gesellschaft, die ihren gesamten Wohlstand dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu verdanken hat, ist es verständlich, dass die Vorbehalte gegen die Technisierung der sozialen Beziehungen nicht so groß waren, wie die angerichteten Verheerungen es verdient hätten. Das Kommunikationszeitalter hat das mittlere Glied aus Maslows Pyramide geschossen und alle starren ins Leere.