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Ein russischer Spion im Kanzleramt?

Da forderte die Schwester Agnes vom Waffenkontor im öffentlichen Kriegskanal den Kanzler auf, sein Herz über den Zaun zu werfen und der deutschen Lieferung von Taurus-Raketen in die Ukraine zuzustimmen, als dieser noch auf der Reaktionswelle seiner in die jüngere Geschichte eingehenden Münchner Rede ritt. Dort hatte er Demonstranten, die mit Friedenstauben aufgetreten waren, bescheinigt, sie seinen gefallene Engel aus der Hölle. Beide Formulierungen sind ungewöhnlich und illustrieren die aufgeladene Situation, in der wir uns befinden. Was die Waffenlobbyistin mit dem über den Zaun geworfenen Herzen meint, kann man sich denken, eine gewisse Trunkenheit im Sinne geistiger Vernebelung ist allerdings festzustellen. 

Was nun des Kanzlers Worte anbelangt, da ist kein Zweifel erlaubt. Er hat in der Rede den Großteil der Bevölkerung, der diesen Krieg nicht oder nicht mehr will, in ziemlich barscher Weise ausgegrenzt. Ja, er ging, einmal abgesehen von der seither immer wieder zitierten Stelle noch weiter, und bezeichnete den Willen zum Frieden als eine direkte Unterstützung des russischen imperialistischen Übergriffs. 

Einmal abgesehen von der Frage, wie imperialistisch die NATO unter Führung der USA insgesamt formiert ist, stellt sich bei diesem Desaster von Kanzler-Rhetorik tatsächlich die Frage, ob die russische Spionage es nicht mittlerweile geschafft hat, in den inneren Zirkel des bundesrepublikanischen Kanzlers vorgedrungen zu sein und sogar Einfluss auf die Konzeption seiner Reden hat. Und die mit dem guten Gedächtnis wissen, dass wir das alles schon einmal hatten. Willy Brandt, der von vielen so schrecklich vermisste Kanzler des Friedens und der Versöhnung, der wie kein anderer aus der deutschen Geschichte gelernt hatte, fiel einem solchen Konstrukt zum Opfer. Als der Spion der DDR, Günter Guillaume, in seinem engsten Kreis enttarnt wurde, trat Brandt prompt zurück. Und während sich im Westen viele Menschen weinend um den Hals fielen, sang man in der DDR: Wir grüßen Hauptmann G. Aus Bonn, wir haben noch mehrere davon! 

Wie gesagt, sollte tatsächlich ein russischer Spion sich in des Kanzlers Berliner Waschmaschine geschlichen haben, dann hat er ganze Arbeit geleistet. Denn die Münchner Rede, wie sie allenthalben genannt wird, wird ihrerseits Auswirkungen auf die bevorstehenden Wahlen in Bayern haben. Und sie hat das Zeug, den Fall eintreten zu lassen, der heute schon so manchen Sozialdemokraten nachts schweißgebadet vom Bette der Verzweiflung das eine ums andere Mal hochschnellen lässt. Dass nämlich die Partei nicht nur in ihrem bereits erbärmlichen Zustimmungsstatus verharrt, sondern sich merklich Richtung der Fünfprozentigen-Grenze nähern wird. Und träte dieser nicht unwahrscheinliche Fall ein, so berichten gut unterrichtete Kreise, dann drohe der ganzen Partei eine Nacht der langen Messer.

Insofern ist der stilistische Lapsus der eisernen Agnes eher eine Bagatelle, die ein altbekanntes Muster widerspiegelt. Die Ukraine fordert etwas, einige NATO-Verbündete kommen dieser Forderung nach, der Kanzler zögert und wird dann durch die Propagandamaschine weichgeklopft. Die andere Geschichte mit seiner Rede wiegt hingegen viel schwerer in Bezug auf das Schicksal seiner Existenz als Kanzler. Wer sich so verrennt, ist bald weg vom Fenster. 

Und die Frage, ob die Lieferung des besagten Waffensystems das Risiko eines Kriegseintritts erhöht, mutet doch an, seien wir einmal ehrlich, wie ein Kalauer. Längst befindet sich die NATO in toto im Krieg mit Russland. Das Bequeme daran ist die Tatsache, dass das kämpfende Bodenpersonal ausschließlich ukrainische Uniformen trägt. Und, sieht man sich den Verlauf der Kampfhandlungen an, so sind die Zähne des Tigers wohl doch nicht so scharf wie stets behauptet. Nach Afghanistan jetzt die Ukraine. Aber das ist eine andere, wenn auch lebenswichtige Geschichte. 

Wer nicht hören will…

Die schwergewichtigen Analysten des politischen Geschehens geben ihre Erkenntnis preis, die schlechten Ergebnisse für die CSU und die SPD in Bayern hätten mit dem Gezänke der großen Koalition in Berlin zu tun. Das ist etwas kurz gegriffen. Sicher, das gemeine Wahlvolk, das es so eigentlich gar nicht gibt, mag keinen Zank, es ist für Ruhe und besonnenes Handeln. Aber wenn die Ruhe die des Friedhofs wäre, könnte mit dem gleichen Unmut reagiert werden und niemand würde sich wundern.

Was sagt das bayrische Wahlergebnis? Und allen Euphorikern aus dem alternativ-protestantisch-bunten Bürgertum sei ein wenig Realität empfohlen: ca. 60 Prozent der bayerischen Wähler haben Rechts gewählt. CSU, Freie Wähler und AFD kommen auf diese Marge. Und da es sich bei der CSU nicht um eine sozialdemokratisierte Partei wie die Bundes-CDU handelt, ist die Behauptung keine Provokation. Neben diesem gewaltigen Block blitzen die Grünen als nunmehr zweitstärkste Partei auf, was dem Wunsch vieler Christdemokraten entsprechen dürfte, doch etwas mehr Liberalität zu bekommen wie zum Beispiel von der großen Mutterpartei im Bund. Und die SPD bleibt auf Talfahrt. Und zwar so dramatisch, dass sich viele Menschen, auch Nicht-Sozialdemokraten, betrübt der Lektüre historischer Werke zuwenden und im Stillen vergangene bessere Zeiten genießen.

Der wohl größte Schlag, den die Parteienlandschaft im Moment erlebt, ist nicht das Erstarken der AFD, sondern der dramatische Abstieg der Sozialdemokratie. Sie wird erlebt als eine in vielen Jahren unter Beteiligung an den Regierungsgeschäften mürbe gewordene Partei, in der sich viele Apparatschiks herumtreiben, die programmatisch nichts mehr zu bieten haben als abstrakte Formeln aus dem bürgerlich-libertäten Milieu.

Das alles zu erklären mit dem Absterben des Proletariats ist eine gezielte Verharmlosung. Noch arbeiten Millionen Menschen in diesem Land in der Wertschöpfung und zwar zu Bedingungen, die schlechter sind als die in europäischen Nachbarländern. Der Kollektivschlaf von Partei wie Gewerkschaften hat dazu geführt, dass die Klasse derer, die in diesem Land die Werte schaffen, sich mittlerweile vorkommt wie ein Zaungast im technokratisch-bürokratischen Labor für Selbstfindungsprojekte oder als erklärte Dumpfbacken, die die infantilen Selbstüberhöhungen der Kreativwirtschaft lediglich bewundern sollen. Anstatt den Parteinachwuchs aus den Zuchthäusern synthetischer Milieus zu rekrutieren, wären Menschen „aus dem richtigen Leben“ viel versprechender. Die werden nämlich schmerzlich von allen Seiten vermisst.

Der Ruck nach Rechts wurde also auch in Bayern manifest. Das wird so weitergehen. Und jeder ist schlecht beraten, nur auf das Geschimpfe derer zu hören, die nicht mehr gewählt werden. Die Verhältnisse sind anscheinend nicht so gut, wie die Gescholtenen das glauben. Ein guter Rat wäre, sich damit einmal selbstkritisch auseinanderzusetzen. Andere zu beschimpfen lenkt zumeist von der eigenen Leistung ab und vergeudet nur Zeit. 

Wie wäre es, sich nicht gleichzeitig allen, aber doch entscheidenden Themen zu widmen? Zum Beispiel, dass die Gewerkschaften mit den Belegschaften wieder so etwas wie eine gesellschaftliche Einmischung üben. Und natürlich, dass sie für anständige Löhne kämpfen. Und wie wäre es, eine Position gegen den Krieg zu vertreten? In der Ukraine, in Syrien, im Jemen? Oder, statt sich verdeckt an Milliardenprojekten in der Türkei zu beteiligen, die gleichen Summen in die Infrastruktur des eigenen Landes zu investieren?

Ach, es gäbe so vieles und die Themen liegen auf der Straße. Und wer nicht hören will, so wissen wir alle, wer nicht hören will, muss fühlen.