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Was wird morgen sein?

Ein entscheidender Unterschied zum Einzeller ist die Zukunft. Auch wenn diese Dimension existenziell immer auf dem Trugschluss aufgebaut ist, das Leben währte für immer, so ist sie eine entscheidende Kategorie bei der Beurteilung menschlicher Qualität. Diejenigen, die bei all dem, was sie tun und planen das Räsonnement im Kopf haben, was ihre Taten denn in der Zukunft bewirken, haben zumindest eine strategische Kompetenz aufzuweisen, ob sie ethisch begründet ist, steht dann noch zu bewerten. Menschen, Organisationen und Parteien sind sehr gut unter diesem Aspekt zu durchleuchten. Und wie immer im Universum, die Ergebnisse sind erschreckend, moderat und hoffnungsvoll zugleich.

Nun, am Ende eine Jahres, kommt noch etwas hinzu, dass die Übung erleichtert. Menschen und Organisationen ziehen Bilanz, bevor sie planen. Was war gut, gar erfolgreich, und was hat sich als Fehler erwiesen oder zu Niederlagen geführt. Da ist manchmal ein Jahr wesentlich zu kurz, um dieses gleich beantworten zu können. Denn die Geschichte, auch die kurze menschliche, hat manchmal größere Dimensionen, als es die Betrachtenden vermuten. Erinnert sei an das weise Wort Karl Liebknechts, kurz bevor er erschlagen und in den Landwehrkanal geworfen wurde: Und es gibt Siege, verhängnisvoller als Niederlagen, und Niederlagen, wertvoller als Siege. Allein diese Klugheit dokumentiert, warum dieser Mann in der verhängnisvollen deutschen Politik keinen Platz hatte.

Im Alltag, jetzt, wo es bereits jeden Tag einen Hahnenschrei früher heller wird und, steht man früh genug auf, wenn nur die Raben davon zeugen, dass noch Leben auf der Erde ist, genau jetzt erleben wir unsere Mitmenschen, wie sie auf das neue Jahr blicken und sich vornehmen, was sie verändern wollen. Ist es ein ritueller Vorsatz, dann ist es gut, aber belanglos. Denn Rituale haben ihre Funktion. Ist es ein Plan, der eine Veränderung strukturiert, dann sollten wir das unterstützen, weil es ein hohes zivilisatorisches Gut ist, das wir hier zu verteidigen haben. Die Anzahl derer, die an der Zukunft arbeiten, ist ein zuverlässiger Indikator für die Potenziale, über die eine Gesellschaft noch verfügt. Dazu gehört, wie formuliert, die Planungsrationalität, dazu gehören aber auch Träume. Denn wer von der Zukunft träumt, dessen Hirn liegt noch nicht im Eisfach der Gegenwart.

Der Revers zu diesen Überlegungen ist in der Berliner Politik zu finden. Eine Nomenklatura, die während der größten Finanz- und Wirtschaftskrise mit der Aussage reüssierte, man fahre auf Sicht, dokumentiert nicht unbedingt die zivilisatorische Qualität, von der hier die Rede ist. Und bei Betrachtung der Felder, die sowohl der Größe als auch der wirtschaftlichen Kraft dieses Landes entsprechen, ist die Suche nach einer in die Zukunft weisenden Kontur vergebens. Weder im Hinblick auf die energetische Versorgung dieses Landes, oder der Perspektive für Millionen Menschen, die die Digitaltechnologie ausgespuckt hat, noch bei Brandherden wie der Ukraine, Syrien oder, zu befürchten, auf dem Balkan, finden sich programmatische Aussagen, die auf ein Konsens fähiges Politikmodell hinweisen.

Da kann vermutet werden, dass das Kalkül ist und gar nicht an den mangelnden Fähigkeiten liegt. Das nützt nur nichts, denn dann wäre es Betrug. Unter dem Strich fehlt die politische Plattform in dieser Gesellschaft, auf der die Zukunft beschrieben wird. Das ist ein schwer wiegendes Defizit, das alle, die über Regungen strategischer und ethischer Kompetenz verfügen, nicht so hinnehmen dürfen. Was wird morgen sein? Diese vermeintlich kindliche Frage ist revolutionär bis zum Anschlag.

Drohgebärden auf dem Balkan

Endlich fallen die Masken. Der Auftritt der EU-Emissäre im serbischen Belgrad lassen kaum noch Zweifel an der geostrategischen Dimension des Ukraine-Konfliktes. Offiziell hat die EU Serbien nun aufgefordert, sich an den Sanktionen gegen Russland zu beteiligen. Kurz zuvor, quasi als Journal für die offizielle EU-Politik, hatte Kanzlerin Merkel schon ihre Sorge in die Mikrophone gehüstelt, dass Russland seine expansionistische Politik, die sie wörtlich als Großmachtstreben bezeichnete, auch noch auf Länder wie Moldau oder den Balkan ausdehnen könnte. Prompt folgte das offizielle Brüssel. Ganz im Sinne der im Falle der Ukraine gescheiterten Politik der Nötigung wurde nun Serbien aufgefordert, wenn es Mitglied der EU werden wolle, müsse es sich an den Sanktionen gegen Russland beteiligen. Warum das im Falle Serbiens gelingen soll, das in puncto nationaler Einheit, historischer Tradition und dem Wunsch nach Unabhängigkeit eine völlig andere Qualität als die Ukraine darstellt, ist eine Frage, die sich die erfolgsverwöhnten Diplomaten der EU erst gar nicht mehr stellen.

Einmal abgesehen davon, dass es ein diplomatisches No-Go ist, einem Antragsteller auf Mitgliedschaft in einem freiwilligen Bündnis einen aggressiven Akt gegen Dritte vorzuschreiben, um die Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen, steckt hinter dem vermeintlichen russischen Großmachtstreben das eigene wirtschaftliche Interesse. Es geht dabei nämlich um die von Russland geplante South-Stream-Pipeline, die über das Schwarze Meer, Bulgarien und Serbien nach Südost-Europa führen soll. Das will das amerikanische Big Oil ebenso verhindern wie die EU. Warum, kann man sich ausrechnen. Die South-Stream-Pipeline gefährdet das amerikanische Monopol auf dem Balkan, welches seinerseits die militärische Sicherung des europäischen Marktes auf dem Balkan absichert. Dass die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland derart unverblümt die geostrategische Karte spielt, ist eine neue Qualität. Anscheinend geht die Bundesregierung davon aus, dass die ideologische Begründung der Ukraine-Politik die Bevölkerung empfänglich für mehr vom eigenen Expansionskurs gemacht hat.

Im Kontext freundschaftlicher Beziehungen zweier Staaten, die durch lange historische und kulturelle Bande unterlegt ist und der Planung einer Pipeline von russischer Expansionspolitik zu sprechen, ist ein netter Versuch, die Realität nach eigenem Gusto zu modellieren. Mit dieser Qualität wird das staunende Publikum nun täglich bedient. Die interessante Frage, die allerdings gestellt werden muss, ist die, was denn passiert, wenn Serbien sich nicht durch die EU nötigen lässt. Einmal abgesehen von der verkraftbaren Drohung der Nichtaufnahme in die EU, was soll dann folgen als nächster Repression? Ein erneutes Bombardement Belgrads, wie als Folge des Kosovo-Konfliktes bereits geschehen? Welche Gräueltaten derer, die sich nicht beugen, werden wohl medial aus dem Hut gezaubert, um vielleicht dieses Mal endlich Leos auf den Balkan zu schieben? Nachdem die Propagandamaschinerie so richtig geölt ist, scheint der Durst nach mehr jegliches politisches Räsonnement außer Kraft gesetzt zu haben.

Die ungeheuerliche Befürchtung, dass es sich im Falle der Ukraine nicht um eine diplomatische Panne und einen außenpolitischen Unfall gehandelt hat, sondern den Charakter einer durchaus entwickelten politischen Programmatik aufweist, scheint sich mit dem nächsten Schritt auf dem Balkan als triste Realität herauszustellen. Die Bundesrepublik tritt nun innerhalb kurzer Zeit als eine internationale Macht auf, die an exponierter Stelle dabei ist, andere, unabhängige und souveräne Staaten zu bestimmten Verhaltensweisen und Taten zu nötigen. Dabei beruft sie sich auf alles Mögliche, und wenn alle Stricke reißen, dann notfalls auch noch auf das Völkerrecht. Die Bundesrepublik wirbt nicht für ihre Position mit Attraktivität, sondern sie droht mit Sanktionen. Notfalls mit militärischen.

Mitten im Sommer

Mitten im Sommer, gut eine Woche nach Erlangung des Weltmeistertitels seitens der deutschen Fußballnationalmannschaft, wird es heiß getrieben seitens der mit Steuermitteln finanzierten Propagandaindustrie. Da ist zunächst der Abschuss einer aus den Niederlanden kommenden malaiischen Passagiermaschine über dem Territorium der Ukraine. Es erübrigt sich, zu beschreiben, wie heikel und explosiv die Situation dort ist, auch in Bezug auf mögliche Konsequenzen in ganz Europa. Doch weit ab davon, Sorgfalt und Räsonnement bei der Beurteilung der Katastrophe walten zu lassen, stehen von vorneherein die Übeltäter fest. Es sind die russischen Separatisten, die selbstverständlich von Putin persönlich gesteuert werden.

Das suggerieren alle Medien, sei es durch direkte Suggestivfragen oder durch die Platzierung der Nachrichten, wie erst eine Meldung zum Abschuss der malaiischen Maschine, dann eine Meldung zu Putin. Dass die ukrainische Regierung das Verbrechen den Separatisten zuschreiben würde, war klar, dass die USA den Verdacht sofort, sehr zeitnah, lancierten, ist diplomatisch genauso ein Gau wie die frühe Festlegung durch deutsche Politiker. Erstaunlich ist allerdings die Tatsache, dass die Separatisten, auf deren Terrain das Wrack nun liegt, den Flugschreiber an internationale Ermittler übergeben haben. Da ist Spannung angesagt, wie die Deutung, völlig unabhängig von dem Ergebnis, seitens der psychologischen Kriegsführung ausfallen wird.

Die öffentliche Berichterstattung vor allem durch das ZDF in Sachen Gaza und Israel ist relativ eindeutig dem verkommenen Moralismus antisemitischer Prägung verpflichtet, in der ARD bemüht man sich zumindest um Differenzierung. Mit dem Kontrollorgan demokratischer Willensbildung hat das jedenfalls alles nichts zu tun. Die Ächtung von Kriegsverbrechen, die in diesem Konflikt zum Standard zu werden drohen, findet wenn, dann nur einseitig statt. Doch das hat seit dem Balkankrieg in den neunziger Jahren bereits Tradition. Da waren exklusiv die Serben die Bösen und Opfer auf dieser Seite des Konflikts wurden bis heute verschwiegen. Der verfettete Kriegstreiber, den die Grünen zuletzt zum Europawahlkampf noch einmal aus den Requisiten des Revanchismus geholt haben, glänzte dort mit der gleichen Rhetorik wie bei seinem Initiationsritual während der Balkankrise: Wer in der Ukraine zu differenzieren suche, so sinngemäß seine Worte, sei ein Anti-Amerikaner und ein Befürworter des russischen Imperiums.

Wer derartige Auftritte politisch zu verantworten hat, der darf sich nicht wundern, wenn es zu Reflexen kommt, die sich mehr dem Original als der Kopie zuwenden. Kriegstreiberei, Intoleranz und Dogmatismus führen nach rechts, egal unter welcher politischen Camouflage betrieben. So wundert es nicht, dass bei vielen Kommunalwahlen im Mai auch faschistische und nationalistische Kräfte in den Stadtparlamenten landeten. Begünstigt wurde ihr Erfolg vor allem in Baden-Württemberg durch ein neues Wahlrecht, dass aus einem anderen Kalkül politisch durchgewunken wurde und nun zu der berechtigten Verärgerung führt. Die Proteste gegen die Nazis sind wichtig, aber, und das ist das Entscheidende, sie sind nur dann glaubwürdig, wenn sie über die rituelle Waschung hinausgehen. Besagte Kriegstreiberei, besagte Intoleranz und besagter Dogmatismus sind die Wurzeln einer drohenden Radikalisierung. Den Initiatoren dieser Formen der Mystifikation haftet jedoch bis heute das positive Stigma eines friedlichen und alternativen Lebenskonzeptes an. Das zu dechiffrieren, ist nicht so ohne. Aber es geht, wenn die mit diesen Kräften einhergehende tägliche Diskriminierung großer Bevölkerungsteile entlarvt und kritisiert wird. Genauso wie die durch diesen Geist beflügelte öffentlich-rechtliche psychologische Kriegsführung, die sich längst von einem kritischen Journalismus verabschiedet hat.