Egon Bahr war ein ausgesprochen kluger Mann. „Wenn Politiker damit beginnen, von Werten zu reden“, so riet er, „ist es besser, den Raum zu verlassen“. Denn so Bahr, in der Politik gehe es immer um Interessen. Und wenn die Werte bemüht würden, dann sei die Verschleierung von Interessen in der Regel nicht mehr weit. Mit dieser Einschätzung ist Bahr selbst und sein Chef, Willy Brandt, nicht schlecht gefahren. Zumindest ist es ihnen gelungen, das Koordinatensystem des Kalten Krieges nachhaltig außer Kraft zu setzen. Dazu bedurfte es einer klugen Strategie und unendlicher Geduld. Eine außerordentlich lange Periode des Friedens war die Folge.
Es bedurfte gerade 25 Jahre, die Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wiedervereinigung Deutschlands, um die Leitidee der Neuen Deutschen Ostpolitik, Wandel durch Annäherung, vertrauensbildende Maßnahmen auf beiden Seiten, Handel und gegenseitiger Vorteil, zu den Akten zu legen und stattdessen eine Expansionsrage sondergleichen zu entfachen. Das Deutschland, das bei den Verhandlungen zu seiner Einheit von der damaligen britischen Premierministerin Maggie Thatcher so geliebt wurde, dass sie am liebsten zwei davon hätte, dieses Deutschland hat sich mit der Wiedervereinigung schnell in seiner außenpolitischen Wirkung verändert.
Kanzler Kohl zelebrierte bis zum Ende seiner Amtszeit 1998 noch das außenpolitische Erfolgsrezept der Mäßigung und Liaison mit Frankreich und Kanzler Schröder verhinderte es mit seinem Nein zum Irak-Krieg, dass Deutschland in die US getriebene Allianz der Regime Change Fanatiker eintrat. Was die NATO und ihre seit Clinton bereits in den neunziger Jahren vorangetriebene Osterweiterung der NATO anbetraf, so taten sie alle mit. Die NATO war die Speerspitze gegen die soeben erlangte neue Friedensordnung in Europa.
Seit der Regierung Merkel im Jahr 2005 ist eine klare Linie der zunehmenden Expansion und Militarisierung festzustellen. Immer mehr militärische Beteiligungen, auch bei völkerrechtswidrigen Interventionen, eine nach wie vor dem Export unbändige Unterstützung gebende Außenpolitik und eine verheerende Finanzpolitik, die die Isolation Deutschlands innerhalb der EU zur Folge hatte.
Deshalb sind jetzt, zu Zeiten der Aufkündigung der strategischen Allianz mit den USA, die Appelle an eine neue Verantwortung an Europa und seine Werte eine so unschlüssige wie gefährliche Rhetorik. Die Forderung einer aktiveren Rolle der EU in der Welt, die neue Allianzen suchen müsse, ist der formulierte Bedarf für eine sich nicht verändern wollende BRD. Die Bundesrepublik als Heimat militärisch-industrieller Produktionsstätten will weiter eine wichtige Rolle auf dem Weltmarkt spielen und sucht daher nach einer immer schwierigeren Beziehung zu den USA nach neuen Märkten. Dazu, so zumindest das rasend plappernde Organ namens Verteidigungsministerin, bedarf es vielleicht auch des einen oder anderen Militäreinsatzes. Dass sich die Staaten der EU hinter einer derartig offensichtlich vorgehenden Ein-Punkte-Programmatik vereinen und aktivieren lassen werden, ist zu bezweifeln.
Es ist ein grandioses Stück der Zerstörung von Ordnung, das hinter dieser Regierung liegt. Bei aller Trump-Phobie, die momentan die Köpfe verwirrt, die Weichen für einen nicht von vielen und nicht zu Unrecht gefürchteten deutschen Sonderweg sind seit langem gestellt. Die USA und Großbritannien als Konkurrenten im Westen, Russland im Osten, und, wie der deus ex machina, plötzlich Partner wie Indien und China im fernen Asien, aber alles ohne europäische Partner, das ruft doch nach weltherrschaftlicher Nostalgie. Aber mal ganz schnell die Requisiten aus Opas Kleiderschrank geholt, angezogen und vor den Spiegel gestellt: Wir sind wieder wer!
