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Willkommen Dada!

Es ist schon auffällig. Besonders in den letzten 12 Monaten häufen sich die Verweise auf die Kunstrevolte, die in der Schweiz begann und dann vor allem Deutschland und Frankreich erfasste. Unter dem onomatopoetischen Namen Dada ging eine Bewegung in die Kunstgeschichte ein, die gar keine Kunst im traditionellen Sinne sein wollte. Es ging Dada vor allem um die Kritik am klassischen Kunstbetrieb. Eine Kritik, die sich auf die Vereinbarkeit des bürgerlich-saturierten Lebens mit aufrüttelnden Botschaften aus der Kunst richtete. Eine Kritik, die nicht hinnehmen wollte, dass auf den Schlachtfeldern Europas Millionen Menschen ihr junges Leben aushauchten, während der Bourgeois mit seiner pelzbemantelten Begleitung ins Theater ging und hinterher Champagner soff. Dada, das war die Revolte gegen die sublimierte Verdauung der Kapitalisten.

Die wesentlichen Züge von Dada lassen sich wie folgt beschreiben: Der Schock ist die entscheidende Instanz. Nur der Schock ist in der Lage, die in den falschen Verhältnissen Lebenden noch zu irgend etwas zu bewegen. Hergestellt wird der Schock durch die Auflösung aller Formen, die die Kunstästhetik bis dahin hervorgebracht hat. Das geschieht durch die Aufhebung der Trennung von Kunst und Lebenspraxis. Der Alltag, bis hin zum Dreckeimer und zur Badewanne, fand Einzug in das Artefakt. Wir alle kennen das, Dada war vor über einhundert Jahren und Dada unterlag dem Schicksal wie alle Revolten gegen den bürgerlichen Kunstbetrieb vor ihr. Dada wurden als Produkt des Kunstmarktes alle Zähne gezogen. Heute beziehen sich Menschen auf Dada, die mit dem ursprünglichen Lebensgestus nichts, aber auch gar nichts gemein haben. Und trotzdem stört es nicht. Das beste Zeichen für eine erfolgreiche Vermarktung.

Dennoch ist es kein Zufall, dass aus dem Kunstbetrieb heraus wie auf der Straße die Verweise auf Dada sich mehren. Warum? Weil der radikale Impetus, zu dem Dada gelangte, aus dem Entsetzen über gesellschaftliche Zustände entstand, die an Ungeheuerlichkeit auf ihre destruktiven Kräfte und an Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit im gesellschaftlichen Diskurs nicht überboten werden konnten. So, wie eine politische Radikalisierung von Teilen des Mittelstandes und der gesellschaftlich längst Preisgegebenen zu verzeichnen ist, so sind die Verweise auf Dada die ersten Hinweise darauf, dass sich auch Teile des Bildungsbürgertums gegen die allgemeine Bewegung der kollektiven Verunstaltung des Gemeinwesens zu stellen beginnen.

Es ist, als Erklärung, historisch immer riskant, die eine Zeit mit der anderen zu vergleichen. Dennoch, im gesellschaftlichen Ringen um Haltung existieren bestimmte Muster, die psychosozial durchaus eine Wirkungsdauer haben können, die über einen Zeitraum von einem Jahrhundert gelten können. Das Beunruhigende, was momentan bereits festgestellt werden kann, ist die Analogie von gleich zwei Phänomenen, die die gesellschaftliche Destabilisierung vor der Diktatur beschrieben haben. Und es geht nicht um Schuldzuweisungen, es geht um Erklärungen.

Die Abwendung von einer globalisierten kapitalistischen Gesellschaft, die lokal, national, ethnisch, religiös im uniformen Zustand nicht mehr existieren kann, ist bereits weit fortgeschritten. Diese Tendenz zu stoppen, ist genuin Aufgabe derer, die die politische Macht ausüben. Nicht, indem sie dem beschränkten Winkel der formulierten Kritik folgen, sondern indem sie der beschränkten Form des Politikverständnisses den Rücken kehren, dem sie ihrerseits seit langer Zeit folgen. Die sukzessive Abwendung derer, was Karl Marx einmal so lakonisch die Künstler, Leibärzte, Advokaten und Huren der Mächtigen genannt hatte, ihre Abwendung von der ästhetischen Sinnentleerung der gegenwärtigen Verhältnisse kann nur durch eine breiter angelegte Revolte in produktive Bahnen geleitet werden. Da reicht der Schock alleine nicht mehr aus. Willkommen Dada!

Avantgarde und Mainstream

Thelonious Monk, einer der prägenden Jazzmusiker des 20. Jahrhunderts, brachte es auf den Punkt. Nach seinem Prinzip gefragt, wie er spiele und was er komponiere, antwortete er: Spiele deine Musik und nicht das, was die Leute hören wollen. Vielleicht brauchen sie zehn, fünfzehn Jahre, bis sie es mögen. Das war schlicht und einfach das Bekenntnis eines Avantgardisten zu einem alten Prinzip des künstlerischen Schaffens, dem die eigene Idee und Kreativität innewohnt. Monk richtete sich nicht gegen etwas, sondern er sprach sich für eine Selbstverständlichkeit aus, die große Künstlerinnen und Künstler immer wieder ausgezeichnet hat. Um sie zu leben, nahmen sie Armut und Exil in Kauf, um sie zu vollenden, verzichteten sie teilweise sogar auf ihr soziales Leben. Das Streben nach Einzigartigkeit schuf das Große, mit dem wir sie bis heute in Verbindung bringen. Als Resümee könnte der Satz stehen, dass gute, ausdrucksvolle, forminteressante und inspirierende Kunst immer Avantgarde und nie Mainstream ist.

Die Avantgarde, historisch eine Entwicklung in der Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war die Antwort auf ein bürgerliches Zeitalter, das es sich bequem gemacht hatte und darauf hinstrebte, sich in Kriegen zu zerfleischen. Der Kunstbetrieb war es, gegen den sich die Avantgarde richtete, der so tat, als sei alles in Ordnung und der Standards entwickelt hatte, die Kunst als Konsumartikel auf den Warenmarkt warf. Die Avantgarde war sehr politisch und wollte mittels des Schocks das bürgerliche Publikum zum Nachdenken bringen. Die wohl spektakulärste Strömung der Avantgarde war Dada. Und gerade Dada ist das beste Dokument dafür, wie der Kunstmarkt funktioniert. Selbst die revolutionärsten Appelle gegen den Mainstream schockieren zunächst, aber ihr rebellischer Gehalt wird dadurch entleert, als auch für sie das Prinzip der Vermarktung gilt. Da unterscheidet sich Dada nicht vom Punk.

Die Kritik an den Funktionsmechanismen des Warenmarktes in Bezug auf die Kunst ist nicht neu. Neu ist allerdings die Dimension der Anstrengungen, die auf den Prozess der Waren-Werdung der Kunstwerke ausgerichtet sind. Immer mehr Institutionen fokussieren sich darauf, jungen Menschen, die sich künstlerisch betätigen wollen, die Techniken, Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, derer es bedarf, um Erfolg zu haben, d.h. Waren zu produzieren, die auf dem Markt absetzbar sind. Das ist skurril, weil es einer Vorstellung entspricht, als könne man den Prozess des künstlerischen Schaffens erlernen, ohne eine Idee zu besitzen. So sieht dann vieles, was aus diesen Institutionen kommt, auch aus: Es ist technisch gut, es ist von der Vermarktungsstrategie pfiffig gemacht, aber es ist oft inhaltsleer und fade, geschweige denn inspirierend und weiterführend. Die leitende Idee der Produktion ist der Absatz und der Absatz wird dem etablierten Geschmack auf dem Markt zugesprochen.

Um bei der Musik zu bleiben: Viele Produkte aus der marktkonditionierten Retorte haben keine Seele. Soul, an dem sich nach den anfänglichen Erfolgen einer Amy Winehouse eine ganze Generation junger Frauen in Lehranstalten abarbeitete, ist ein Genre, das von den sozialen Erfahrungen eines Milieus lebt. Entweder sie werden mitgebracht oder nicht. Wer aus dem Mittelstand oder der Upper Class kommt, wird die Melancholie, die aus der Ausgrenzung und Verweigerung resultieren, immer nur artifiziell, aber nie authentisch zum Ausdruck bringen können, es sei denn, die eigene Biographie wiese diese Erfahrungen aus. Der Mainstream versucht es, aber er besitzt keine Spiritualität, die aus dem Streben resultiert, etwas Einzigartiges schaffen zu wollen, auch um den Preis, dass es sich nicht gleich vermarkten lässt. Der göttliche Mönch hat es gewusst.

Ancién Regime

Manche Zitate kehren thematisch immer wieder. Zuweilen sieht das aus wie die Rondo-Formationen im Garten Versailles kurz vor dem Debakel des Ancién Regime. Alle wissen es, alle tanzen auf die Melodie und dennoch glaubt niemand, dass es trotzdem kommt. So ist es mit dem Satz von Berthold Brecht, stell dir vor es ist Krieg, und keiner geht hin. Wie vieles bei Brecht ist es die Negation der allgemeinen Wirkungslogik, intrinsisch aber dennoch logisch. Das war sein Genius. Er vermochte die Welt auf den Kopf zu stellen und erklärte sie gerade damit. Vielleicht wäre das ein Zugang, der über die alltäglichen Schmerzen hierzulande hülfe.

 Stell dir vor, wir reden über einen Krieg im Osten, anlässlich der Ukraine, und keiner nähme das ernst außer dem Westen. Der bläst sich auf, will dem Despoten Putin mal so richtig zeigen, wie weit er gehen darf, und gleichzeitig betätigt sich Russland an der Schaffung einer völlig neuen Sicherheitsarchitektur, die auf Kooperationen beruht und den Westen Westen sein lässt. Nachweislich passiert das nämlich. Russlands Außendiplomatie konzentriert sich momentan auf die BRICS-Staaten, vor allem die Kooperationen mit Brasilien, Südafrika und China stehen auf Expansionskurs. Gleichzeitig hat sich das Band zum Iran gefestigt. Während sich Europa auch im Nahen oder Mittleren Osten, je nach Perspektive, aus der man es sieht, eher zu einem Störenfried denn zu einem Kooperationspartner entwickelt hat, verliert es zunehmend an Bedeutung. Zudem, weil die Kohäsion mit den transatlantischen USA in letzter Zeit erheblich gelitten hat.

Ja, seit der Theorie der Avantgarde galt es als gesichert, dass es zu den großen, strategischen Vorteilen des Kapitalismus gehöre, in der Lage zu sein, Proteste gegen ihn und seine Funktionsweise rasend schnell dadurch zu entschärfen, als dass er vermöge, die Ideen gegen ihn zu vermarkten und sie damit zu domestizieren. Zwischen den Auftritten der ersten Punker, die einen Schock auslösten und der ersten Punk-Boutique lagen bekanntlich nur wenige Monate. Nun, zum ersten Male, sieht es so aus, dass die Gegenbewegungen gegen den freien Kapitalismus in Form der gesteuerten Märkte aus anderen Gesellschaftssystemen die Oberhand gewinnen. Nicht, weil sie den Charme der intellektuellen oder kulturellen Dominanz besäßen, sondern weil der Trash, den sie produzieren, das einzige noch Übrige sind, was die Geldbeutel der großen Gesellschaftskohorten noch hergeben.

 Der Kapitalismus hat mit dem Übergang zur Börsenspekulation den Zugang zum Reichtum der Warenproduktion in den eigenen Ländern versperrt. Übrig geblieben sind Minderheiten, die sich auf der ganzen Welt den Bauch vollschlagen können und Mehrheiten, deren Träume zerborsten sind und die nur noch existieren können, weil in China mit Lohndumperei, Kasernierung und Umweltverpestung Massenschrott produziert wird, der notwendig ist, um amerikanische, britische und zunehmend zentraleuropäische Märkte zu bedienen, deren waren die jeweiligen Unterschichten noch bezahlen können. Und die politische Stabilität des Westens hängt von diesem Warenstrom ab.

 Da hilft es nicht, sich darüber zu mokieren, dass gerade Russland auf tönernen Füßen steht oder dass China mit seinen 50 Millionen Wanderarbeitern auch irgendwann vor großen sozialen Problemen stehen wird. Das löst nur nicht das Problem vor der Haustür. Die Illusion, es hier noch machen zu können, egal aus welchem Loch der Hierarchie du kommst, ist für viele nicht einmal mehr nachbuchstabierbar. Geschweige denn das Märchen von der Überlegenheit gegenüber anderen Systemen. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass es verschiedene Wahrheiten auf dem Globus gibt. Ein Todesstoß für die Verkünder missionarischer Ideen.