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Se questo è un uomo

Heute vor 70 Jahren wurden die noch überlebenden Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz von der Roten Armee befreit. Es war das Ende dessen, was der deutsch-jüdische Philosoph Ernst Bloch als das Unsägliche bezeichnet hat. Damit fand er einen Begriff für das, was sich der menschlichen Vorstellungskraft entzieht. Allein in Auschwitz wurden mehr als eine Millionen Menschen fabrikmäßig ermordet. Alles, was sich danach an Trauer und Trauerzeremonien vollzog, konnte nicht dem entsprechen, was dort geschah. In deutschem Namen. Organisiert von einer Bürokratie, deren Kadergedanke bis heute weiterlebt.

Es existieren viele, bewegende, Herz zerreißende und furchtbare Berichte über die Menschen, für die Auschwitz das Ende ihrer menschlichen Existenz werden sollte. Ein Ende ohne Würde, ein Ende ohne Respekt und ein Ende ohne Hoffnung. Nur wenige überlebten. Einer davon war Primo Levi. Seinerseits italienischer Jude, Chemiker und Schriftsteller, der als junger Mann nach Auschwitz deportiert wurde und dennoch überlebte. Er ist aus meiner persönlichen Sicht der einzige, der jenseits der psychischen Belastung dazu in der Lage war, den Prozess der Entmenschlichung, der dem Gedanken von Auschwitz zugrunde lag, kalten Auges zu beobachten und zu beschreiben.

In seiner Schrift „Ist das ein Mensch?“ ist es nachzulesen. Der ausgereifte, durchdachte Mechanismus, der den Menschen die Würde, die Selbstachtung und die Hoffnung nahm. Geplant und durchgeführt von Beamtenseelen, die nicht unbedingt glühende Nazis sein mussten, um sich mit Inbrunst der Perfektionierung des Systems zu widmen. „Ist das ein Mensch?“ ist ein kaltes wie erschütterndes Dokument. Der Autor, Primo Levi, hielt sein Überleben 40 Jahre lang aus. Dann, 1987, stürzte er sich 68jährig in den Treppenschacht seines Hauses in Turin und setzte seinem Leben, das geprägt war von der Rückbetrachtung Auschwitz´, ein Ende.

Während die politische Basis dessen, was Auschwitz möglich gemacht hatte, von Anfang an bei der Verarbeitung dieses Fiaskos auf der Agenda stand, wurde genau das, was Primo Levi in seiner Schrift beschrieben hatte, ausgespart. Intoleranz, Fremdenhass und Dogmatismus gelten seit Auschwitz als Ursache für den Holocaust. Und ohne spitzfindig hinsichtlich der Kausalität werden zu wollen, ist es eine treffende Analyse. Das wie ein Mantra seitdem vorgetragene Ansinnen, dass sich so etwas wie Auschwitz nie wiederholen dürfe, ist ehrenwert, bezog sich aber immer auf diese vermeintlich evidente politische Dimension. Dass selbst das bis heute nicht als gelungen bezeichnet werden kann, bezeugen wir alle in diesen Tagen. Es ändert allerdings nichts am Auftrag und seiner Gültigkeit.

Was aber im Land der Täter komplett ausgeblendet wurde, ist die Tatsache, dass eine staatliche, technokratisch funktionierende Maschinerie die Perfektion des Grauens ausmachte. Ein Beamtenapparat, der für sich reklamieren konnte, nicht der Politik im Sinne des gemeinschaftlichen Diskurses verpflichtet zu sein, sondern einzig und allein der Effizienz des Systems, schuf die Vision des Grauens, angesichts dessen bis heute die Sprache versagt. Von den Arisierungen bis Auschwitz war eine Klasse am Werk, die es weltweit so nicht gab und bis heute gibt, außer in Deutschland.

Die politische Renaissance der Intoleranz ist in voller Blüte, die Maschinerie, die die Entmenschlichung realisierte, ist immer noch funktionsfähig. Heute, am 70. Jahrestag der Befreiung der Überlebenden von Auschwitz durch die Rote Armee, ist radikaleres Denken und Handeln erforderlich, um Analogien zu verhindern, als gemeinhin angenommen.