Wenn eine Formulierung im Bürokraten-Deutsch existiert, die in der Lage ist, die ganze Anonymität des entseelten Apparates zum Ausdruck zu bringen, dann ist es der Satzöffner „aus gegebenem Anlass“! Da braucht man sich nicht auf den tatsächlichen Anlass beziehen. Alle wissen es, aber aussprechen muss ihn keiner mehr. Das hat den großen Vorteil, dass man erst einmal über alles mögliche reden kann, ohne gleich voll verantwortlich gemacht werden zu können. Innerhalb der Bürokratie empfiehlt es sich, von dieser Formulierung Gebrauch zu machen, wenn es heikel werden könnte. Wenn nicht so richtig klar ist, um was es eigentlich geht, wenn aber auf der anderen Seite sehr deutlich ist, dass irgend etwas im Gange ist und dass sich etwas tun muss. Das ist dann der ideale Einstieg.
Und wenn diese Formulierung einmal so richtig in einen politischen Kontext passte, dann heute. Aus gegebenem Anlass sollten wir heute über die politische Zukunft dieses Landes sprechen. Denn irgend etwas ist im Gange, irgend etwas geschieht und irgend etwas muss unbedingt geschehen. Denn erstens scheint es klar zu sein, dass eine große Koalition zustande kommen wird und damit eine Regierung gebildet werden wird, die im Großen und Ganzen so weiter machen wird wie die vorher. Sie wird zu leiden haben unter strukturellen Defiziten, die man ihr gar nicht einmal wird ankreiden können, weil das überall so ist. Es geht besonders um die Geschwindigkeit des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und die Justierung der Gesetze an dieses Tempo. Verlierer ist immer das Staatswesen. Egal, wer das Mandat hat.
Es geht aber auch um etwas komplett anderes. Es geht um die tatsächliche Veränderung der Welt. Und zwar der Arbeitswelt. Das ist nicht absolut neu, aber es ist ungelöst. Die Arbeit an sich, der Akt der Produktion, hat sich fundamental verändert und die Menschen haben nicht mehr die Mittel, um mit diesen Veränderungen umzugehen. Eine Partei der Arbeit aber existiert nicht mehr. Und genau das ist es, was die Angelegenheit zu einer Situation macht, in der man am besten von einem gegebenem Anlass spricht. Unabhängig von den internationalen Konstellationen, der strategischen Überdehnung der USA und dem damit verbundenen Säbelrasseln, unabhängig von neuen, vor allem in Asien entstehenden geostrategischen Bündnissen und unabhängig von der neuen Dominanz Chinas wird die gesamte Welt überzogen von einer neuen Art von Arbeit, die bei weitem weiter geht in der Entfremdung und Entmündigung als das jemals der Fall war. Die schlimmsten James-Bond-Szenarien scheinen eine Petitesse zu sein in den Big-Data-Konstrukten, in denen sich die neuen Monopolisten bewegen.
Aus gegebenem Anlass sollten sich die Kräfte, die auf die Gestaltung von gesellschaftlichem Zusammenleben nicht völlig verzichtet haben, eine Vorstellung davon machen, was sich im Prozess der Digitalisierung aller verfügbaren Speichermedien und deren Verknüpfung tatsächlich positiv machen lässt und wo angesetzt werden muss, um aus einer pro forma entwickelten Maschinenlogik eine die Arbeit und dabei den Menschen unterstützende Hilfslogik wird. Noch nie ist es gelungen, so gut ausgebildete Menschen in völlig entfremdenden und fremdbestimmten Arbeitsprozessen als kleine Hilfsräder an Maschinen zu setzen, die einer anderen Logik folgen. Wenn es eine befreiende Logik des 21. Jahrhunderts geben kann, dann wird sie aus den humanen Objekten wieder Subjekte machen müssen. Das ist die alles entscheidende Frage. Alles andere spielt keine Rolle. Aus gegebenem Anlass.
