Schlagwort-Archive: Augenhöhe

Augenhöhe

Das mit der Augenhöhe ist so eine Sache. Kaum eine Diskussion, in der unterschiedliche Interessen oder Meinungen aufeinandertreffen, in der nicht zumindest eine Seite reklamiert, dass die Augenhöhe gewährleistet werden muss. Aus der Perspektive der Kommunikationstheorie ist die Forderung trivial. Denn dort streitet sich niemand darüber, dass Augenhöhe der Aufeinandertreffenden die Voraussetzung für jede gelungene Kommunikation ist. Aber das Leben verläuft zumeist anders als es die kluge Theorie verortet hat.

In diesem Zusammenhang fällt mir ein Beispiel ein, dass zu großem Schmunzeln geführt hat und unverfänglich ist, weil es sich weit genug entfernt zugetragen hat. Da traf ein deutscher Emissär in Sachen Entwicklungszusammenarbeit auf einen indischen Wirtschaftsminister. Er kam mit einem kleinen, sicherlich wichtigen Projekt und stellte es einem Mann vor, der die Regierungsverantwortung für ein Land mit einer Milliarde Menschen trug. Der Deutsche umriss dem Mann das Prozedere und bedeutete ihm, wenn die indische Seite sich darauf einließe, dann könnten die beiden alles weitere auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Die Reaktion des indischen Ministers war eindeutig: Wenn das der Fall sein soll, dann müssen Sie noch merklich wachsen!

Neben der wohl bekannten Tatsache, dass Deutsche im Ausland gerne einmal sich selbst überschätzend und belehrend auftreten, weist die Geschichte auch auf etwas anderes hin: Augenhöhe hängt mitunter von Macht und Kompetenz ab. Wer das ignoriert, bringt immer eine gute Voraussetzung mit für eine große Enttäuschung.

Zum anderen kann mit der Reklamation von Augenhöhe auch ein anderer Aspekt aufgehellt werden. Er hat die Dimension eines entwicklungspsychologischen Moments. Wenn eine Seite Augenhöhe fordert, obwohl weder Kompetenz noch Macht vorhanden ist, kann die andere Seite das Postulat der Augenhöhe dennoch annehmen, muss das Gegenüber dann allerdings als für die Augenhöhe qualifiziert behandeln. Das hört sich jetzt vielleicht etwas gespreizt an, ist aber, wiederum an einem einfachen Beispiel konkretisiert, sehr einfach.

Die Fridays-for-Future-Bewegung fordert Augenhöhe, und angesichts ihrer demographischen Bedeutung ist es richtig wie wichtig, ihr die reklamierte Augenhöhe zu gewährleisten. Diese beinhaltet jedoch für die Bewegung dahingehend Stress, weil ganz hart gefordert werden muss, was sie zu leisten hat, um das Privileg der Augenhöhe zu behalten. Da reicht dann nicht mehr Unmut, Wut, Angst oder der Verweis auf die Erkenntnisse bestimmter Wissenschaften. Das mag alles richtig sein, aber die eigenen Forderungen einem wirtschaftlichen wie politischem System gegenüber so zu stellen, als könnte die andere Seite dem gerecht werden, wenn sie die Notwendigkeit der Veränderung nur erkenne, ist mehr als blauäugig. Und zu glauben, man könne exklusiv durch Erkenntnis und Gesetze die Welt verändern, ist an Scharlatanerie nicht zu überbieten.

Der Ressourcenverbrauch einer auf Privateigentum basierenden freien Marktwirtschaft neoliberaler Färbung ist mit den Forderungen der Bewegung nicht kompatibel. Der Verweis auf das individuelle Konsumverhalten ist ruchlose Augenwischerei in Bezug auf die destruktive Kraft des Systems. Das Ausblenden der chronischen militärischen Aktionen dieses Systems, die ihrerseits alles in den Schatten stellen und stellen können, was als Maßnahmen gegen den Klimawandel gefordert wird, ist eine inakzeptable Fehlleistung eines Ausmaßes, die auch so gedeutet werden kann, dass die Vermutung einer ideologischen Ablenkung durchaus platziert wäre.

Wer Augenhöhe reklamiert, muss auf seiner Seite die Voraussetzungen schaffen, dass die andere Seite sie guten Gewissens zu akzeptieren bereit ist. Der Appell an ein schlechtes Gewissen ist da einfach zu wenig. 

Von Selbsterfüllung und Überleben

Augenhöhe, Wertschätzung, Achtsamkeit, Nachhaltigkeit, Wertegemeinschaft: im politischen Diskurs wie im Arbeitsleben der bundesrepublikanischen Gesellschaft dominieren momentan Begrifflichkeiten, die aus der eigenen Historie erklärlich sind und vieles von dem widerspiegeln, was sich zumindest in der Mittelklasse in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Im Hinblick auf die Bevölkerungsteile, die im täglichen Existenzkampf stehen, dürften diese Kategorien graue Theorie sein. Und wir reden von mindestens 10 Millionen Menschen. Zugegeben, das ist ein Schätzwert, gehen wir jedoch von einer realen direkten Arbeitslosenzahl von ca. 3,3, Millionen aus und ca. 7 Millionen, die als unterbeschäftigt gelten, also denjenigen, die von ihrem Verdienten nicht leben können, sind wir bereits über zehn Millionen. Und bei der Betrachtung der Weltereignisse, die gekennzeichnet sind von Naturkatastrophen, Kriegen und daraus resultierenden Migrationsbewegungen, dann dürfte schnell klar sein, inwiefern Augenhöhe und Wertschätzung, Achtsamkeit etc. Werte sind, die momentan globale Relevanz genießen.

Dass den Globus Krisen überziehen, ist kein Novum. Dass die Menschheit diese bisher alle in ihrer eigenen Geschichte überlebt hat, lag an schlichtem Überlebenswillen und der Bereitschaft, sich gegen das Übel entgegenzustellen. Die drei großen, immer wiederkehrenden Plagen waren Hungersnöte, Krankheiten und Kriege. Dank einer mächtigen Zivilisationsentwicklung sind die ersten beiden Faktoren de facto Gefahren, die vermieden werden könnten, griffe die Menschheit auf die Mittel zu, die sie als Kollektiv bereits besitzt: Es gäbe genug Nahrung für alle, würden die Produktionsweisen und Güter disseminiert und es gäbe die Chance, große Epidemien zu verhindern, würden die Mittel von denen bereit gestellt, die sie entwickeln und inne haben. Beides gelänge nur, wenn sich die sozialen Rahmenbedingungen um die Katastrophe herum verbesserten: gute Regierungsform statt Korruption, Räson statt Gier.

Lediglich eine der immer wiederkehrenden Katastrophen ist quasi in der historischen DNA des Homo Sapiens vorhanden. Es handelt sich um den Krieg als Mittel der Konfliktlösung. Momentan wurden wir wieder Zeugen, wie die unterschiedlichen Interessen der Welt, die geleitet sind von Vormachtstreben, Ressourcenbeherrschung und Marktbesitz, alles, was das humane Kollektiv seit dem letzten Weltkrieg an Räson gefunden hatte, wieder zu schreddern. Das Fazit: Es gelingt hervorragend. 

Sehen Sie genau hin: diejenigen, die in ihrer politischen Rhetorik fließend von Wertschätzung und Nachhaltigkeit sprechen, beherrschen ebenso die militärische Eskalationsterminologie. Das mag man Rollenkompetenz nennen, aber es ist auch nicht ganz abwegig, einen Begriff zurück ins Leben zu rufen, der seit dem Kalten Krieg aus dem Vokabular verschwunden war. Es ist der des Doppelzünglers und bezeichnet jene, die dazu in der Lage sind, morgens von Wertschätzung und Work-Life-Balance in der Bundeswehr zu reden und die aus Afghanistan zurückkehrenden traumatisierten Soldatinnen und Soldaten totzuschweigen und nachmittags neue Kriegsdrohnen zu bestellen. Da mutiert der Homo sapiens schnell mal zum Reptil, und da wird es Zeit, sich an die Realitäten zu gewöhnen.

Denn die eingangs genannten Begriffe und mit ihnen bezeichneten Werte sind Fremdworte für die französischen Gelbwesten wie für die Menschen in Venezuela, sie helfen nicht den Umweltopfern in Brasilien und nicht den ersaufenden Migranten im Mittelmeer. Gut gemeint sind die Begriffe vielleicht einzuordnen als Seufzer der geschundenen Seele, als ein religiöser Strohhalm, weil in realiter der Humanismus längst auf der Straße liegt und verblutet. Nicht Selbsterfüllung, sondern Überleben steht auf dem Programm. 

Lohn und Amt

Es ist ein zweischneidiges Schwert. Nicht wenige beklagen in diesen Tagen, dass wir es mit einem neuerlichen Verfall der Sitten zu tun hätten. Der Respekt vor einander, vor allem vor dem Andersdenkenden und Andersartigen sei, verloren gegangen. Das, was immer wieder als Augenhöhe reklamiert werde, spiele immer weniger eine Rolle. Gerade deshalb habe das Wort eine derartige Konjunktur. Und die Bedürfnisse des Anderen spielten keine Rolle mehr. Andererseits wiederum wird beklagt, ein richtiger Streit um die Sache sei gar nicht mehr möglich. Wir befänden uns in einer debattenfeindlichen Konsesdemokratie, wo alles so lange durch Medien und Foren gejagt werde, bis alle nur noch müde seien und ein Kompromiss am Ende stehe, der keine Kontur mehr habe. 

Beides ist sicherlich richtig. Wer sich ständig in einem Prozess von Meinungsbildung und Entscheidung befindet, kennt beide Szenarien. Ersteres übrigens, der mangelnde Respekt und der Verfall der Sitten, wird zunehmend der Existenz der Neuen Rechten zugeschrieben. Dem kann nur zustimmen, wer sich mit dem Erinnern schwer tut. Viele derer, die den Verfall beklagen, sind durch Auftreten und Anmaßung längst ein Argument für den wachsenden Widerwillen. Letzteres, das Nicht-Mehr-Streiten können, wird zumeist den Repräsentanten und politisch Verantwortlichen in den mächtigen Ämtern vorgeworfen. 

Auch dabei handelt es sich um eine Täuschung. Es liegt begründet in der von Ihnen gewählten Strategie, wie Meinung gemacht wird. Diejenigen, die kritisieren und auf eine Veränderung der Verhältnisse drängen, sollen nur nicht in der Lage sein, die Auseinandersetzung zu suchen und zu führen.

Und an dieser Stelle greifen die beiden beklagten Zustände zusammen und ergeben einen Sinn. Respektlosigkeit, Bevormundung, Verleumdung und Impertinenz sind das Besteck derer, die sich nicht im Kampf um die richtige Idee durchsetzen wollen. Sie beherrschen ihr Handwerk, aber sie haben kein Programm, dass durch seinen sozialen Charme überzeugen könnte. Ihnen geht es ausschließlich um sich, um ihre Person. Da kommt es gut, wenn auf der anderen Seite die stehen, die zwar widersprechen wollen und für eine andere Realität stehen, aber nicht geübt sind im Führen der Auseinandersetzung.

Die große Masse der Kritiker an den Verhältnissen, die nicht so sind, wie sie dargestellt werden, weil sie mehr Konflikte und Probleme beinhalten als in Jahrzehnten zuvor, diese Masse der Kritiker ist durch einen langen Prozess der Wohlfühentmündigung nicht vorbereitet auf den Waffengang, der bevorsteht und der notwendig ist. 

Es ist keine überraschende Erkenntnis, dass aus der beschriebenen Unfähigkeit eine Unzufriedenheit entsteht, die von Tag zu Tag größer wird. Da sowohl die eigenen rhetorischen Mittel wie die psychische Stabilität fehlen und da die Organisationen, die in derartigen Auseinandersetzungen helfen können zu regierungsaffirmativen, immer weniger Resonanz findenden Wahlvereinen mutiert sind, wachsen Zorn und Hass. Die Mehrheiten, die sich, obwohl sie sozial dort völlig deplatziert sind, plötzlich auf der rechten Seite auftun, sind tatsächlich auch eine Revolte gegen den Zynismus, den die Funktionäre in den bestehenden Institutionen und Apparaten generieren, weil sie sich zu sicher fühlen und glauben, ihre Person sei wichtiger als das Amt.

Letzteres ist eine kleine Unterscheidung mit großem Sinn, von der bereits Seneca zu berichten wusste. Auf die Frage, was der gerechte Lohn für die Belastung sei, die ein öffentliches Amt ohne Zweifel bedeute, gab er die logische wie verblüffende Antwort: Das Amt selbst.