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ARD zwischen Hanna und Ismail

Der Bild war es gelungen, durch einen illegalen Livestream die Nachfrage nach einer Dokumentation dramatisch zu erhöhen, die der WDR in Auftrag gegeben hatte und die letztendlich den Titel trug: Gibt es einen neuen Antisemitismus? Die ARD wollte das Werk zunächst nämlich nicht freigeben, da es aus ihrer Sicht dramatische journalistische Mängel hatte. Nun strahlte sie es doch aus, mit zahlreichen Verweisen auf journalistische Mängel und korrigierendes Hintergrundmaterial. Ich will hier nicht auf die Personen eingehen, die nach der Ausstrahlung diskutierten und die sehr verunglückte Situation.

Ich hatte mir die Dokumentation angesehen und war über die sehr den israelischen Standpunkt referierenden Stimmen ebenso erstaunt wie über die kritischen Einblicke in den von der HAMAS dominierten Gaza-Streifen. Das war ich deshalb, weil ich es aus den öffentlich-rechtlichen Medien nicht gewohnt bin. Ich war erstaunt, aber nicht empört, weil ich die unglaubliche Blauäugigkeit gegenüber arabischen Quellen für absurd halte. Durcheinandergebracht hat mich die Dokumentation allerdings nicht. Das hängt damit zusammen, dass ich seit vielen Jahren versuche, mir die Perspektive aller Beteiligten zu erschließen. Dabei bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass die Leidtragenden in diesem Konflikt Palästinenser wie Israelis, Juden wie Muslime sind. Als Schachfiguren und Geiseln einer Politik des Hegemoniestrebens in der Region haben sie beide verloren, wenn sie sich nicht näher kommen. Gegenwärtig hat der Konflikt den Status einer Tragödie.

Doch, und diese Kritik an der Dokumentation ist aus meiner Sicht sehr berechtigt, die Frage war, ob es einen neuen Antisemitismus gibt. Und zwar in Deutschland und Europa. Die Dokumentation ging immer mal wieder auf die Frage ein, in dem sie Demonstrationen und Kundgebungen in Berlin oder Paris zeigte, in der antisemitische Parolen gerufen wurden. Und erst am Schluss wurde am Beispiel Frankreichs bzw. besonders Paris deutlich, wie dramatisch die Lage bereits ist. Dass Juden, nicht einzelne, sondern massenweise, auswandern, weil sie sich in Frankreich durch die täglichen antisemitischen Übergriffe nicht mehr sicher fühlen und Frankreich nicht mehr ihr Land ist. Eine Entwicklung, die auch in anderen Metropolen stattfindet, wie in Berlin und Amsterdam, aber dort noch nicht die furchtbaren französischen Ausmaße angenommen hat.

Diese Tendenzen sind bekannt und mit einem wachen Auge können sie leider oft und immer öfter beobachtet werden. Da entdecken manche Zeitgenossen plötzlich, dass Bayern München von Juden gegründet wurde und Ajax Amsterdam schon immer ein Juden-Club war. Da werden Eltern gefragt, warum sie ihre Kinder ausgerechnet Miriam oder Daniel genannt haben. Da werden Menschen, die die Kippa tragen, als Judenschweine beschimpft oder gar verprügelt. Das ist unerträglich und es ist unerträglich, wie sich die öffentlich-rechtlichen Medien seit langer Zeit sträuben, darüber zu berichten.

Reden wir nicht über die unsägliche Vergangenheit, das wurde oft gemacht und hat nicht dazu geführt, dass die Situation, wie sie heute ist, hat verhindert werden können. Reden wir über die Zukunft und stellen eine ganz einfache Frage: Kann eine wie immer geartete politische Bewegung, die für die vermeintliche Befreiung kämpft, das mit einem rassistischen, xenophobischen oder diskriminierenden Programm? Die Antwort ist Nein.

War die Position, die die ARD in dieser Angelegenheit eingenommen hat, schon schwach, so wirkte ihre revanchistische Meldung heute Morgen allerdings einer Ahndung würdig. Da kam ein Bericht auf tagesschau.de über die Diskriminierung am Mietmarkt. Der Titel: Hanna kriegt die Wohnung, Ismail nicht. Stellen wir die Frage, ob es einen neuen Antisemitismus gibt, noch einmal?

Sie wissen nicht, was sie tun?

Gestern, nach dem türkischen Referendum, tasteten sich die Nachrichten in den öffentlich-rechtlichen Sendern sehr langsam an eine Einschätzung des Geschehenen heran. Das muss nicht schlecht sein, verwundert jedoch in diesem Fall. Es ging schließlich um die Legalisierung eines bereits seit Monaten unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes verfolgten Kurses der Errichtung einer Diktatur. Das Tasten der Journalisten hatte einen Grund: Sie wollten zunächst herausfinden, welche Position die Bundesregierung einnimmt. Da nach einer Weile aus dem Kanzleramt wie dem Außenministerium die Devise kam, besonnen zu bleiben, taten es die Nachrichtenredakteure auch. Das hat System, denn einen Dissens mit der Bundesregierung, und sei es bei einer Einschätzung von Ereignissen, riskiert dort niemand mehr.

Dafür zeigte man, zumindest in der ARD, wie schnell die Redakteure sind, wenn es darum geht, Stimmung zu machen im eignen Lande. Diesmal traf es ausgerechnet diejenigen, die wahrscheinlich am meisten unter der Entwicklung in ihrer Heimat oder ehemaligen Heimat leiden. Die so genannten Deutschtürken. Ihnen wurde nämlich in der ARD bescheinigt, zu zwei Dritteln für das Referendum votiert zu haben. Was es mit dieser journalistischen Aufbereitung auf sich hat, liest sich folgendermaßen:

In der Bundesrepublik Deutschland leben 3,5 Millionen wahlberechtigte Menschen türkischer Abstammung. Davon besitzen gegenwärtig noch 1,5 Millionen einen türkischen Pass. Bei dieser Gruppe handelt es sich um die für türkische Angelegenheiten Wahlberechtigten. Die Beteiligung in Deutschland an dem Referendum betrug 50 %, d.h. Insgesamt gaben 750.000 Türken ihre Stimme ab. 63% stimmten mit Ja, was wiederum heißt, dass ca. 450.000 hier lebende Türken die Ermächtigung Erdogans befürworteten. In Bezug auf die gesamte Gruppe von 3,5 Millionen Türkischstämmigen sind das 13 %.

Die Meldung hatte sehr schnell zur Folge, dass in den sozialen Netzwerken die Posts inflationsartig verbreitet wurden, dass diejenigen, die mit Ja gestimmt hätten, sich bitte doch in die Türkei begeben sollten. Obwohl die Aussage nachvollziehbar ist, sie richtete sich natürlich an die Türkischstämmigen generell, was die Folge der Meldung aus den ARD- und sonstigen Nachrichten war: Zwei Drittel der Türken in Deutschland haben mit Ja gestimmt.

So schnell geht das, so schnell wird der Pfad der Demagogie beschritten und so schnell sind Verwerfungen etabliert, die so schnell nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, inwieweit zum Beispiel diese Meldung eine Art von staatlich autorisierten Fake News sind, die schnell aus dem Netz verschwinden sollten, oder ob es sich dabei um ein weiteres Testat für das miserable journalistische Niveau, das auch bei den teuren öffentlich-rechtlichen Anstalten vorherrscht, handelt.

Es wäre auch möglich, die Zahlen anders zu lesen: Wenn von 3,5 Millionen Türkischstämmigen in Deutschland nur noch 1,5 Millionen einen türkischen Pass haben, ist das ein gutes Zeichen für die Attraktivität der Bundesrepublik Deutschland. Wenn von den hier Wahlberechtigten nur 50 Prozent ihre Stimme abgeben, dann scheint das die hier Lebenden nicht mehr sonderlich zu interessieren. Und wenn von 3,5 Millionen nur 13 % mit Ja gestimmt haben, dann leben in unserem Land mehr als drei Millionen Bündnispartner für die Demokratie. So weit muss man nicht gehen, aber man könnte es. Was diese Interpretation zeigt, ist die erfolgte, auf Verwerfung zielende Desinformation. Das sollten sich diejenigen, die diese Anstalten zu verantworten haben, einfach mal durch den Kopf gehen lassen. Mit einem „sie wissen nicht, was sie tun“ ist es schon lange nicht mehr getan.

Toleranz ohne Prinzip?

Alljährlich, im November, geht es nicht nur auf die Friedhöfe. Nein, die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten haben es sich zur Tradition gemacht, ein besonderes Thema von möglichst vielen Seiten zu beleuchten. Die Kriterien für die Auswahl der Themen liegen nicht offen, die Abfolge ist zuweilen etwas skurril, wenn nach dem Tod die Toleranz folgt. Wie dem auch sei. Der Vorwurf an die staatlichen Monopolmedien, nicht mehr als Faktor demokratischer Kontrolle zu agieren, sondern zunehmend Positionen zu beziehen, die eher an Hausverlautbarungen der Macht erinnern, muss auch anhand der Themenwochen näher beleuchtet werden. Dient dieses Format der Aufklärung und moralischen Bildung, oder entmächtigt es diejenigen, die es erreichen soll?

Die gegenwärtig in der ARD angelaufene Sendungswelle zum Thema Toleranz ist hoch spannend, weil es um eine der brisantesten Fragestellungen in einer globalisierten Welt geht. Trotz der Diversität gesellschaftlicher Erscheinungsformen und trotz einer Interdependenz nahezu aller Handlungsfelder muss international, national, gesellschaftlich wie individuell ein Modus Vivendi gefunden werden, um Kommunikation und Interaktion zu gewährleisten. Kommunikation und Interaktion gelingen nur, wenn die Interagierenden das Prinzip der Gegenseitigkeit als Basis für den Verkehr anerkennen. Das ist in einer Welt, in der zunehmend fundamentalistische Heilsbringer unterwegs sind, nicht immer gegeben und das macht die Sache so schwer.

Toleranz ist wahrscheinlich das höchste Gut der Aufklärung. Es ist daher ratsam, sich des Verständnisses zu bemächtigen, das sie bei Protagonisten wie Immanuel Kant generierte. Die Grundlage für das Prinzip der Anerkennung der Verschiedenheit entsprang der Annahme, dass es unterschiedliche Wege zur Wahrhaftigkeit gäbe. Kant ging davon aus, dass bei dem Prozess der gesellschaftlich rechtschaffenden Verhaltensweise unterschiedliche Wege und selbstverständliche Irrtümer einzukalkulieren seien. Der gemeinsame Wille jedoch zöge die Linie, ob Toleranz zu walten habe oder Standhaftigkeit erforderlich sei. Diese Erkenntnis hat sich zwar bis in die neuesten Ansätze der Kommunikationsforschung gehalten, bei denen von einer gemeinsamen Intentionalität als Voraussetzung gelingender Interaktion gesprochen wird, nicht aber bis in die intellektuellen Gemüsebeete der Political Correctness.

Vieles, was bereits zur Unterstützung des ARD-Programms in den Radiosendern eingespielt wurde, deutet in eine Richtung, die mit der aufklärerischen Dimension der Toleranz nichts gemein hat. Toleranz in dem geschilderten Sinne ist eine Hochleistung an Duldungsdisziplin angesichts sehr genau beschriebener Prinzipien, denen sich das Individuum wie die Gesellschaft verpflichtet fühlt. Toleranz, wie sie nun kolportiert wird, ist Duldsamkeit ohne Prinzip. Duldsamkeit ohne Prinzip jedoch ist das Schlimmste, was in einer Demokratie geschehen kann. Ohne Klarheit darüber zu besitzen, was der Zweck des gesellschaftlichen Prozesses ist, dem alle unterliegen, wird die Verabsolutierung der Duldsamkeit eine Referenz für das Untertanentum.

Folglich wird sehr genau zu beobachten sein, inwieweit in den geplanten Beiträgen eine gemeinsame Intentionalität nicht nur eingefordert, sondern auch beschrieben wird. Unterbleibt dieses, dann haben wir es mit einem Propagandastück zur Unterwerfung zu tun. Die politische Programmatik, alles zu erdulden, ohne zu fordern, ist ein dreistes Stück. Die spannende Frage wird sein, ob es aufgeführt werden wird und wenn ja, mit welchem Erfolg. Die spirituelle Essenz der bürgerlichen Gesellschaft, dass das Sein etwas zu Leistendes ist, wäre passé. Was dann übrig bleibt ist Despotie, ein Prinzip der Willkür, das sich definiert aus der Wehrlosigkeit derer, die es ertragen müssen.