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Globalisierungskosmopolitismus und Nation

Mit der Nation ist das so eine Sache. Vor allem in Zeiten, in denen die Existenz einer solchen als Anachronismus abgetan wird. Da wird es schwer, zumal mit einer Geschichte, auf die die Deutschen zurückblicken, noch eine Erzählung zusammenzubringen, die von einer wie auch immer gearteten Mehrheit getragen wird. Ginge man selbst von dem angezweifelten, aber lange als sicher geltenden Begriff einer Nation aus, die durch ethnische Kohärenz, sprachliche Gemeinsamkeit, kulturelle und religiöse Identitäten gekennzeichnet ist, dann wäre es schon schwierig genug. Im europäischen Umfeld galten die Deutschen lange Zeit als die Nachzügler in Sachen Nation. Politisch zersplittert in 36 Fürstentümer und Königshäuser, umgeben von mindestens 7 anderen Nationen mit entsprechenden gemeinsamen Grenzen und nationalen Undeutlichkeiten, hat es lange gedauert, bis sich ein Staat herausbildete, der die Aufgabe einer nationalen Identität zu seinem Geschäftsfeld zählte. Herausgekommen sind Krisen, systemischer wie kultureller Natur und ein immer schwelender Zweifel.

Historisch ist das zu erklären, vor allem durch den Dreißigjährigen Krieg, der eine Landkarte der tiefen Spaltung in Protestantismus und Katholizismus hinterließ, die bis heute wirkt. Das wurde weder groß thematisiert und schon gar nicht überwunden. Die so genannte Wiedervereinigung, derer heute gedacht wird, hat besonders diesen Widerspruch verschärft. Plötzlich wurde aus der rheinischen Republik, in der der Katholizismus kulturell dominierte, die Berliner Republik, die von den Maximen des Protestantismus bestimmt wird, abgelöst. Ein Verweis auf die offiziellen Statistiken der Religionszugehörigkeit, der die Beobachtung entkräften soll, gehört zur Blindheit des technokratischen Zeitalters. Nicht alles, was in den Akten steht, ist die erlebbare Realität.

Die Art und Weise dieser Wiedervereinigung, die nun als ein Sieg der Demokratie über die Diktatur dargestellt wird, ist nur ein verschwindender Teil der Geschichte. Alle wissen, dass ein Anschluss stattgefunden hat, dem auch Lebensformen geopfert wurden, die für eine neue Identität wichtig hätten werden können. Deshalb sind die Reden, die jedes Jahr am 3. Oktober gehalten werden, so fade und deshalb füllen diese Reden im Osten auch immer wieder von neuem die Zorndepots. 

Aber selbst das ist nichts im Lichte eines die Gestaltungskraft von Nationen leugnenden Kosmopolitismus, der das Zeitalter globaler, supra-nationaler Akteure längst für angebrochen hält, obwohl gerade in den letzten Krisen seit der Weltfinanzkrise deutlich geworden ist, dass die Akteure, bei denen Nation und Staat an Bedeutung verloren hat, sich auf dem absteigenden Ast befinden. Meinten es die Vertreter des Globalisierungskosmopolitismus ernst, dann würden sie akzeptieren, dass die Beteiligungsformen und Vertretungsregelungen in den so angepriesenen internationalen Organisationen eine Welt abbilden, in der Kolonialismus und Imperialismus in voller Blüte standen. Wo sind die Paritäten und Akteure, die die aufsteigenden Kräfte in der Welt repräsentieren? Wo sind die entkolonisierten Länder, die eine Stimme brauchen? 

Der Verdacht bleibt im Raum stehen, dass es sich bei dem Kosmopolitismus einer im Weltproporz kleinen urbanen Elite um eine selbstsüchtige Gruppe handelt, die gerne steuern würde, aber die Verantwortung strikt von sich weist. Ihnen im Kontext von nationaler Identitätsbildung eine Rolle zuzuweisen, ist verlorene Zeit. 

Nation wie Region sind die Ordnungsgrößen, in denen die große ökonomische wie politische Transformation, die längst wirkt, stattfinden wird. Das wissen auch die Verkünder des Kosmopolitismus, die im Stillen sehr eigensüchtige Interessen verfolgen. Die ganzen Erzählungen über die Nation fruchten nichts, solange sie die existenziellen Fragen ausblenden. Das ist momentan der Fall. Deshalb wirkt alles so schal.   

Weltschmerz, Nikotin und Psychoanalyse

Robert Seethaler. Der Trafikant

Vier Romane, drei Drehbücher, eine Anthologie und verschiedene Rollen als Schauspieler, Wohnsitze in Wien und Berlin. Der 1966 in Wien geborene Robert Seethaler bringt vieles mit, was unter dem neuzeitlichen Terminus eines Multitalents figurieren könnte. Letzterer steht allerdings nicht nur für die Fähigkeit, sich in verschiedenen Genres beweisen zu können, sondern auch für eine verlorene Gründlichkeit und Tiefe, die die Flexibilität einfordert. Das trifft allerdings nicht auf Robert Seethaler zu, den das deutsche Publikum auch als Gerichtspathologen in der Krimiserie Ein starkes Team bereits als Edelkomparse zur Kenntnis genommen hat. Sein neuer Roman Der Trafikant, seinerseits im Schweizer Edelverlag Kein & Aber veröffentlicht, hat ihm wahrscheinlich zum endgültigen Durchbruch als ernst zu nehmendem Schriftsteller verholfen.

Es kommt alles sehr leicht daher, in dem Roman, dessen Handlung im Jahre 1937 spielt und dessen Protagonist ein Junge vom Land ist, der aus Armut der Mutter vom Salzkammergut in die Trafik, d.h. das Tabak- und Zeitschriftengeschäft eines Bekannten nach Wien geschickt wird, um dort zu leben und zu lernen. Damit ist auch bereits das Motto des Romans genannt. Es geht um den Prozess der Großstadtsozialisation eines liebenswürdigen Landeis, das neben den Justierungsprozessen ins Erwachsenenleben Zeuge und Mitleidender wird bei der Faschisierung der österreichischen Gesellschaft, bei ihrem Abgleiten aus einer tradierten, vielleicht auch durch Nonchalance getriebenen Toleranz in eine Form der Verkommenheit und Barbarisierung, die aus dem heutigen öffentlichen Bewusstsein der rot-weiß-roten Rasse längst eliminiert wurde.

Seethalers narrative Konzeption ist bemerkenswert: Ein Strang führt vom Land in den Wiener Moloch mit seiner Zeitverwirrung, einer skizziert die Existenz des eigentlichen Trafikanten als den längst kleinbürgerlich etablierten Immigranten vom Balkan und einer den zum Bildungsbürgertum gehörenden Professor Sigmund Freud, der Kunde im Tabakladen ist und zwischen dem und dem Lehrling sich eine Beziehung entwickelt, die als Metapher gelten kann für die Tragik einer untergehenden Epoche.

Die Beziehung der beiden steht für die Dialogfähigkeit von Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Die soziale Permissivität des mit positiver Konnotation genannten Ancién Regime des Wiens der zwanziger Jahre tanzte in den Tagen der Schuschnigg-Regierung bereits den Makabré. Die Dialoge zwischen dem Lehrling Franz Huchel und Professor Sigmund Freud sind große Literatur. Da fragt der einfache Landmensch den Intellektuellen nach einer Welterklärung, die dieser nicht geben kann und will. Da wird versucht, das große Geheimnis der menschlichen Beziehungen zu lüften, indem der Gelehrte mit kubanischen Zigarren, entwendet aus dem Laden, bestochen werden soll. Letzterem gelingt es aber, mit der Magie des eigenen Zuhörens den Erkenntnisprozess des ersteren einzuleiten und zu fördern und somit die Theorie seiner therapeutischen Schule nicht zu erklären, sondern fühlbar zu machen.

Der Roman ist eine Referenz an die Qualität menschlicher Bindungen, eine Hommage an die Loyalität aus einem humanistischen Urgefühl. Dokumentiert wird dieses nicht nur durch die Dialoge zwischen Franz und Freud, sondern auch seine wunderbare Korrespondenz mit der Mutter auf dem Land sowie die wortlose Übereinkunft mit dem Trafikanten, der mit dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland genauso untergeht wie Franz, der sein Erbe rasend schnell einzulösen bereit ist, will er keinen Sinn mehr sieht in einem Leben ohne Moral. Freud, der Greis, quält sich noch ins englische Exil. Was bleibt, ist ein Wien, das nur noch in der Erinnerung existiert. Das Unwiederbringliche findet in diesem Roman eine prächtige Gestalt.